Am Montag geht nach einer zweiwöchigen Pause das Verfahren gegen Oscar Pistorius weiter. Der Prozess geht damit voraussichtlich in seine entscheidende, letzte Phase. Schon Mitte Mai könnte das Urteil fallen. Zuletzt waren der Angeklagte und seine Verteidiger massiv unter Druck geraten.

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Tag 26 beginnt: Richterin Thokozile Masipa hatte den Mordprozess gegen den Sportler Oscar Pistorius Mitte April für zwei Wochen unterbrochen. Sowohl Anklagevertretern als auch den Verteidigern des 27 Jahre alten Paralympics-Star aus Südafrika sollten Zeit bekommen, um Akten zu studieren. Jetzt geht das Verfahren an diesem Montag im südafrikanischen Pretoria weiter. Die eine Frage, die über das Schicksal des Angeklagten entscheiden wird, steht dabei noch immer genau so unbeantwortet im Raum wie schon zu Beginn des Prozesses: Hat Pistorius seine damalige Freundin Reeva Steenkamp in der Nacht zum Valentinstag 2013 vorsätzlich erschossen – oder war der Tod des Models die Folge einer tragischen Verwechslung?

Zweifel und Unglauben

Es besteht kein Zweifel daran, dass der behinderte Sportler Steenkamp erschoss. In den kommenden Prozesstagen werden voraussichtlich wieder eine Reihe von Experten ihre Sicht auf die Tatnacht schildern. Anklage und Verteidigung werden dann wiederum die Sicht der Experten der gegnerischen Seite anzweifeln. Alleine die Verteidigung hatte vor der Unterbrechung des Prozesses angekündigt, etwa ein Dutzend weitere Zeugen präsentieren zu wollen.

Schon die bislang letzten Verhandlungstage Mitte April waren von diesem Hin und Her der Argumente, des Glaubens, des Nicht-Glaubens und des Nicht-Glauben-Wollens geprägt. Weil nur Pistorius und Steenkamp anwesend waren, als die tödlichen Schüsse fielen, beruht der ganze Prozess neben der Aussage von Pistorius vor allem auf Gutachten, Beweisen, Indizieren, Annahmen, Schlussfolgerungen und Behauptungen. Und zu jeder Expertenmeinung, die bisher vor Gericht vorgetragen wurde gab es bald eine Gegenmeinung oder mindestens Zweifel an der Kompetenz des Fachmannes.

Forensiker erweist sich als schlechter Zeuge

So hatte zum Beispiel unmittelbar vor der Unterbrechung des Prozesses ein Forensik-Experte namens Roger Dixon als Zeuge von Pistorius’ Verteidigung zu belegen versucht, dass der Sprinter Steenkamp für einen Einbrecher hielt und aus Angst um sein Leben und das seiner Freundin vier Schüsse durch eine Badezimmertür abgab. Hinter der befand sich allerdings kein Einbrecher oder Angreifer, sondern Steenkamp.

Dixon widersprach dabei unter anderem einem Ballistiker und einem Mediziner der Polizei, die zuvor für die Anklage vor Gericht ausgesagt hatten. Staatsanwalt Gerrie Nel untergrub die Glaubwürdigkeit dieses Experten so sehr, dass Prozessbeobachter rund um den Globus urteilten, Nel habe Dixon de facto "vernichtet". Die US-Zeitung "Daily News" schrieb damals sogar, Pistorius brauche keine Feinde mehr, wenn er solche Gutachter als Zeugen zu seiner Verteidigung laden lasse.

Auf bohrenden Nachfragen Nels – der in Südafrika "Pitbull" genannt wird – hatte Dixon unter anderem eingeräumt, er habe die Tonaufnahmen von solchen Schüssen nachbearbeiten lassen, die abgegeben worden waren, um sie mit den tödlichen Schüssen aus dem Jahr 2013 zu vergleichen. Es war ein schlechter Abschluss dieser Prozess-Phase für den Sportler. Allerdings: Welchen Experten und Meinungen Richterin Masipa am Ende des Prozesses schließlich glauben schenken wird – bislang ist das noch ziemlich offen.

Gespieltes Leid?

Gerade auch weil der Prozess sich in den bisherigen 25 Verhandlungstagen so komplex und widersprüchlich entwickelt hat, stand immer wieder das Auftreten des Angeklagten im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Immerhin steht und fällt mit Fragen nach dem Auftreten von Pistorius auch dessen Glaubwürdigkeit – und damit seine Darstellung der Ereignisse.

Nicht zufällig wurde vor diesem Hintergrund während der Prozesspause intensiv darüber gestritten, ob Pistorius vor seinen Auftritten vor Gericht Schauspielunterricht genommen hatte. Pistorius war während der bisherigen Verhandlungstage mehrfach zusammengebrochen, hatte mit tränenerstickter Stimme von seiner Liebe für Steenkamp berichtet, sich geweigert, Fotos vom Tatort anzusehen, weil er den Schmerz angeblich nicht ertragen konnte.

Aus Sicht der Verteidigung passt dieses Verhalten nur zu gut zur in ihre Strategie, die Tat zu einem Unfall zu deklarieren, während die Ankläger davon ausgehen, dass Pistorius und Steenkamp unmittelbar vor dem Tod der damals 29-Jährigen einen heftigen Streit hatten. Die südafrikanische Journalistin Jani Allan hatte Pistorius in einem offenen Brief unter Berufung auf eine "vertrauenswürdige Quelle" vorgeworfen, sich für seine Auftritte Gericht coachen zu lassen. Eine Sprecherin der Familie des Angeklagten hatte das bald darauf dementiert. Noch so ein Widerspruch im Zusammenhang mit diesem Verfahren.

Ursprünglich sollte das Urteil in dem Mord-Prozess Ende März fallen. Nun wird der 16. Mai als Tag der Urteilsverkündung anvisiert – weshalb das Verfahren jetzt offenbar in seine entscheidende Phase geht.

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