• Materialmangel und fehlendes Personal machen den Unternehmen zu schaffen.
  • Lieferengpässe bei zahlreichen Produkten sind die Folge.
  • Für das kommende Weihnachtsgeschäft könnte es eng werden.

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Wer an Weihnachten ein neues Smartphone verschenken will, könnte in Schwierigkeiten geraten. Denn fehlende Fachkräfte und ein Mangel an wichtigen Materialien bremsen die deutsche Wirtschaft aus. Weltweit reißen wichtige Lieferketten ab. Ausgerechnet im Weihnachtsgeschäft droht nun ein Versorgungsmangel.

"Einzelne Produkte werden zu Weihnachten nicht verfügbar oder lieferbar sein", sagt Klaus Wohlrabe vom ifo Institut für Wirtschaftsforschung im Gespräch mit unserer Redaktion. "Es gibt teilweise deutlich längere Liefer- oder Wartezeiten."

Zwei Probleme greifen dabei ineinander – der Mangel an Rohstoffen und Vorprodukten sowie das Fehlen von qualifiziertem Personal. Für die fehlenden Materialien sieht Wohlrabe drei Hauptgründe: "Die Preise für Rohstoffe sind teilweise sehr stark gestiegen. Zum zweiten gibt es gerade sehr große Nachholeffekte in Folge der Corona-Wirtschaftskrise im letzten Jahr. Da hat man sich mit Bestellungen zurückgehalten und holt das nun nach."

"Sand im Getriebe der weltweiten Logistik" – Firmen klagen über Lieferengpässe

Als dritten wichtigen Faktor nennt Wohlrabe Probleme in der weltweiten Logistik. "Dort ist sozusagen Sand im Getriebe. Container stehen in den falschen Häfen. In Asien sind Häfen temporär wegen Quarantänemaßnahmen geschlossen. Das führt dazu, dass wichtige Bauteile mit deutlicher Verzögerung geliefert werden."

Laut Pressemitteilung des ifo Instituts berichteten im September 77,4 Prozent der Industriefirmen in Deutschland über Engpässe und Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen. Aufträge seien zwar da, aber die Unternehmen könnten diese nicht abarbeiten.

Am deutlichsten macht sich die Knappheit in der Autoindustrie bemerkbar. 96,6 Prozent der befragten Unternehmen in diesem Sektor berichten von Beschaffungsproblemen. Insbesondere die sogenannte Halbleiter-Krise, also der Mangel an Mikrochips, macht den Autobauern zu schaffen. Mancherorts stehen bereits die Bänder still, aktuelle Modelle können nicht geliefert werden. Und immer mehr Unternehmen planen, die Preise zu erhöhen.

Fachkräftemangel wird immer deutlicher – das sind die Gründe

Das zweite Phänomen, das zurzeit die deutsche Wirtschaft beschäftigt, ist der eklatante Mangel an Fachkräften. Laut Umfrage des ifo Instituts klagten im Juli 34,6 Prozent der Unternehmen über Fachkräftemangel – der zweithöchste jemals erreichte Wert. Im April waren es noch 23,6 Prozent gewesen.

"Einer der Hauptfaktoren hierfür ist der demographische Wandel", sagt Klaus Wohlrabe. "Aufgrund der abnehmenden Geburtenraten in den letzten Jahrzehnten stehen dem Arbeitsmarkt immer weniger Fachkräfte zur Verfügung. Gleichzeitig gehen nun die geburtenstarken Jahrgänge nach und nach in Rente. Das Problem wird sich somit auch noch verschärfen."

Auch die Digitalisierung mache viele Berufe anspruchsvoller, sagt der ifo-Experte. "Für viele hochkomplexe Berufe stehen immer weniger Anwärter zur Verfügung. Schließlich ist es teilweise die schlechte Bezahlung oder die fehlende Anerkennung, die in bestimmten Bereichen dafür sorgen, dass sich weniger Menschen für diesen Beruf entscheiden."

Kraftfahrermangel – darum ruft die Branche zum Umdenken auf

Dazu gehören auch die Kraftfahrer, eine der Berufsgruppen, in der sich der Arbeitskräftemangel am deutlichsten zeigt. Das bewegte den Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) zu einem eindringlichen Appell. So ruft der Verband auf seiner Website "Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zum Umdenken und sofortigem Handeln auf, um englische Verhältnisse in Deutschland und einen drohenden Versorgungskollaps zu verhindern".

Deutschland drohe in zwei bis drei Jahren ein Versorgungskollaps ähnlich wie in England, heißt es dort weiter. Bereits heute fehlten 60.000 bis 80.000 Berufskraftfahrer - und die Auswirkungen zeigen sich schon jetzt. So warnte der Elektronikhändler MediaMarktSaturn vor Lieferengpässen im Weihnachtsgeschäft. Das berichtete "merkur.de". Insbesondere bei Smartphones, Tablets, Druckern, Geschirrspülern und Kühlgeräten könne es eng werden.

Materialmangel, Lieferengpässe – was lernen wir für die Zukunft?

Klaus Wohlrabe hofft auf einen Lerneffekt: "Die Krise zeigt den Unternehmen, dass sie ihre Lieferketten überprüfen müssen. Diese müssen breiter aufgestellt und robuster gemacht werden. So besteht die Möglichkeit, dass man in Zukunft flexibler auf Knappheiten reagieren kann. Auch die Politik sollte sich überlegen, ob sie strategisch wichtige Produktionen wie für Chips und Halbleiter nicht auch in Europa fördert."

Wohlrabe sieht die Industrie aufgrund der angespannten Lage in einer Rezession. Das bestätigen auch die Zahlen, die das Statistische Bundesamt in einer Pressemitteilung veröffentlichte. Demnach fiel die Produktion der deutschen Industrie im August um 4,0 Prozent gegenüber dem Vormonat. Das ist der stärkste Abfall seit der ersten Coronawelle im Frühjahr 2020.

Trotz allem bleibt Wohlrabe optimistisch: "Die Auftragsbücher sind noch voll. Es besteht die Hoffnung, dass beim Abklingen der Probleme die Aufträge abgearbeitet werden können und der Aufschwung zurückkommt."

Über den Experten: Klaus Wohlrabe ist stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Befragungen.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Klaus Wohlrabe
  • Pressemitteilung ifo Institut: Materialmangel der Industrie verschärft sich erneut (29. September 2021)
  • Pressemitteilung ifo Institut: Immer mehr Firmen klagen über Mangel an Fachkräften (12. August 2021)
  • auto-motor-und-sport.de: Bänder stehen still - Kurzarbeit bei Audi
  • bgl-ev.de: Fahrermangel JETZT entgegenwirken! BGL stellt Aktionsplan Fahrermangel vor
  • merkur.de: MediaMarktSaturn warnt vor „Engpässen zu Weihnachten": Bei diesen Produkten wird es knapp
  • Website des Statistischen Bundesamtes: Produktion im August 2021: -4,0 % zum Vormonat

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