Zum ersten Mal wird in der deutschen Geschichte ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter wegen des heimtückischen Mordes im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit angeklagt.
Knapp 50 Jahre nach einem tödlichen Schuss auf einen Polen am DDR-Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße in Ost-Berlin beginnt am Donnerstag der Prozess gegen einen Ex-Stasi-Mitarbeiter. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat den inzwischen 80 Jahre alten Leipziger wegen heimtückischen Mordes angeklagt. Bis es dazu kam, vergingen Jahrzehnte. Erst im vergangenen Jahr sah die Behörde eine Chance, den Fall vor Gericht zu bringen. Zum Auftakt der Verhandlung am Donnerstag schwieg der 80-Jährige.
Pole hinterrücks an Berliner Grenzübergang erschossen
Der Oberleutnant soll das 38 Jahre alte Opfer am 29. März 1974 hinterrücks an dem belebtesten Grenzübergang zwischen Ost und West erschossen haben. Der Leipziger soll zur Tatzeit einer Operativgruppe des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) angehört haben und mit der "Unschädlichmachung" des Polen beauftragt worden sein. Vorangegangen sein soll, dass der 38-Jährige mit einer Bombenattrappe in die polnische Botschaft im damaligen Ost-Berlin eingedrungen war, um seine Ausreise in den Westen zu erzwingen.
Einsatzkräfte der Stasi sollen entschieden haben, den Mann zum Schein ausreisen zu lassen. Zugleich sollen sie beschlossen haben, den 38-Jährigen währenddessen zu töten. Der damals 31-jährige Angeklagte wartete der Anklage zufolge im Transitbereich am letzten Kontrollpunkt hinter einer Sichtblende und schoss dem Opfer aus einem Abstand von knapp zwei Metern in den Rücken.
Der Fall wurde von der Zentralen Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter erfasst, die Unrechtstaten in der DDR dokumentierte und Beweismittel sammelte. Nach dem Fall der Mauer 1989 wurde er weiter verfolgt. Allerdings kamen die Ermittlungen laut Staatsanwaltschaft über viele Jahre nicht voran. Erst 2016 habe es einen entscheidenden Hinweis zur Identität des Schützen aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv gegeben. Zunächst ging die Staatsanwaltschaft nach Angaben eines Sprechers jedoch von einem Totschlag aus. In diesem Fall wäre die Tat verjährt gewesen. Inzwischen sieht die Behörde jedoch das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt.
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Erste Anklage nach einem vollzogenen Mord im Auftrag des MfS
Dieser Argumentation ist das Gericht bislang gefolgt und ließ die Anklage zu. Wegen seiner zeitgeschichtlichen Bedeutung wird der Prozess aufgezeichnet. Nach Angaben des Historikers Gerhard Sälter von der Stiftung Berliner Mauer ist es das erste Mal, dass ein Mordauftrag des MfS vor Gericht kommt, der vollzogen wurde. "Bisher kannten wir nur unausgeführte Mordplanungen, einen nachgewiesenen Mordversuch und Spekulationen darüber, ob das MfS nicht an Todesfällen beteiligt gewesen sei", erklärte er.
Da die Tat während des Bestehens der DDR auf deren Staatsgebiet geschah, birgt der Fall außerdem andere juristische Besonderheiten. Die Berliner Staatsanwaltschaft stützte ihre Anklage nach eigenen Angaben zunächst auf das zum Tatzeitpunkt für den Angeklagten geltende Strafgesetzbuch der DDR, das für den Fall von Heimtückemorden sogar die Todesstrafe vorsah.
Allerdings wurde bei der deutschen Wiedervereinigung geregelt, dass bei der juristischen Aufarbeitung früherer Verbrechen aus DDR-Zeiten künftig die Strafvorschriften aus dem bundesdeutschen Strafgesetzbuch angewendet werden. Dieses kennt die Todesstrafe nicht, das Grundgesetz verbietet sie.
Kinder des getöteten Polen – ein Sohn und eine Tochter – treten im Verfahren als Nebenkläger auf. Am ersten Prozesstag ist nach Gerichtsangaben unter anderem ein Kriminalhauptkommissar geladen. Der Angeklagte hat sich bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert. Das Landgericht Berlin hat zunächst sieben Prozesstage geplant. Ein Urteil könnte demnach am 23. Mai gesprochen werden. (afp/dpa/the)
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