Vor dem Landgericht Heidelberg musste sich am Mittwoch ein 30-Jähriger verantworten, weil er sich fälschlicherweise als Polizist ausgegeben hatte. Rund 300.000 Euro erbeutete er auf diese Weise von einer 64-Jährigen. Sie leidet aber nicht nur finanziell, sondern ist auch "menschlich ruiniert". So ergeht es vielen Opfern solcher Tricks.
Alles fing mit dem Telefonläuten an. Der Griff zum Hörer kostete Susanne K. (Name geändert) Schmuck, Wertsachen und viel Bargeld. Rund 300.000 Euro Gesamtschaden - im Leben der Frau aus Sinsheim bei Heidelberg ist seit dem Abend des 19. Februar 2018 nichts mehr so, wie es war.
Susanne K. schildert die Ereignisse dieses verhängnisvollen Abends am Mittwoch dem Landgericht Heidelberg. Dort muss sich ein 30-Jähriger wegen des Falsche-Polizisten-Tricks verantworten. Als angeblicher Polizeibeamter soll er laut Anklage die 64 Jahre alte Frau um ihre Habseligkeiten gebracht haben.
Schaden in Millionenhöhe
Die Frau mit auffälligem pinken Haarschopf und langer blauer Fransenjacke gehört zu den zahlreichen älteren Menschen in Deutschland, die auf die Polizisten-Masche hereingefallen sind.
Einige Schlaglichter: Allein in Baden-Württemberg wurden damit Senioren um 5,3 Millionen Euro geprellt. Die meisten der 1.955 Versuche scheiterten allerdings. In Hessen wurden im vergangenen Jahr 462 Fälle angezeigt, 392 davon waren erfolgreich. Die Beute: mehr als 1,6 Millionen Euro.
Und die Zahlen wachsen - etwa in Rheinland-Pfalz von 1.584 Fällen im Vorjahr auf jetzt schon 2.183 im laufenden Jahr.
Bundesweite Angaben zu diesem Delikt gibt es nicht. Die bekannten Länderzahlen sind nur die Spitze des Eisbergs, denn viele Senioren melden sich nicht aus Scham, sich derart haben abzocken zu lassen.
Im Fall von Susanne K. gingen die Täter besonders perfide vor. Die beiden vermeintlichen Beamten des Polizeipräsidiums Mannheim schilderten ihr die Festnahme eines Einbrechers, bei dem eine Liste mit 47 potenziellen Opfern - darunter auch sie - gefunden worden sei.
"Sie sind die Nächste", warnten die falschen Polizeibeamten
Bei ihrem eine Straße weiter lebenden Sohn sei bereits eingebrochen worden. Auch andere mit richtigen Namen genannte Nachbarn seien betroffen. "Sie sind die Nächste", warnten die zwei im Wechsel agierenden vermeintlichen Oberkommissare.
Später erweckten sie den Eindruck, dass ein Einbrecher bereits im Garten sei. Von einer Pistole und Betäubungsgas war die Rede. "Ich war so starr, dass ich nicht auf den Gedanken kam, das sei nicht richtig", erläutert die Zeugin.
Die beiden noch nicht gefassten Täter bearbeiteten die Hausfrau fünf Stunden am Telefon. Auf Geheiß der falschen Beamten schaltete Susanne K. sogar das Handy aus.
Schließlich stopfte die frühere Sekretärin Uhren, Schmuck, Münzen, Bargeld sowie den Fahrzeugbrief eines neu gekauften Jeeps aus ihrem Safe in eine Plastiktüte. Sie verschloss das Haus und traf auf den von den beiden Anrufern angekündigten Kollegen. "Ich habe dem irgendwie vertraut." Deshalb ließ sie den freundlichen Mann in Zivil die Tasche "beschlagnahmen".
Als diesen sogenannten Abholer identifizierte sie nach eigenen Worten den Angeklagten im Gerichtssaal. "Ich bin wirklich sicher, dass er das ist." Der Mann habe die gleichen "Schweinsäuglein" wie der Mann auf der Anklagebank gehabt.
Opfer sind oft traumatisiert
"Ich bin menschlich ruiniert", sagt Susanne K. auf die Frage, wie es ihr nach der Tat gehe. Sie lebe ständig in Angst, verriegele das Haus ab 17:30 Uhr und könne nur noch schlecht schlafen. Sie erhoffe sich von dem Prozess Gerechtigkeit.
Nach Auskunft des Weißen Rings sind psychologische Probleme bei den Opfern keine Seltenheit. Ihr Sicherheitsgefühl leide, sie trauten sich nicht mehr aus dem Haus, erläutert der stellvertretende Landesvorsitzende der Organisation, Thomas Franz. Traumatherapeuten könnten da helfen. Opfer in wirtschaftlich prekären Situationen unterstütze der Weiße Ring auch finanziell. Oft ist die Altersvorsorge der Opfer dahin.
Der Angeklagte wurde zwei Tage nach dem Fall in Sinsheim auf frischer Tat festgenommen. Er sollte bei einem 74-Jährigen in Magstadt bei Stuttgart einen Umschlag mit 47.000 Euro abholen. Anrufer hatten das Geld als Falschgeld bezeichnet, das angeblich in echte Scheine gewechselt werden sollte.
Doch die Polizei hatte Wind bekommen und ertappte ihn. Wegen des versuchten Betruges an dem alten Mann ist er zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt worden. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig.
Im jetzt verhandelten Fall der Frau aus Sinsheim bestreitet der 30-Jährige die Tat und will an dem Abend im westfälischen Hagen gewesen sein; ein Zeuge sagt, er könne das bestätigen.
Das Urteil wird am 22. November erwartet. Der Strafrahmen reicht von einem bis zu zehn Jahren. (dar/dpa)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.