Die schwere Explosion mit fünf lebensgefährlich verletzten Einsatzkräften in Ratingen war vermutlich ein gezielter Angriff. Am Sonntag beginnt die Verhandlung gegen den 57-jährigen Tatverdächtigen.
Eine verheerende Explosion hat vor einem halben Jahr bundesweit Entsetzen ausgelöst. Im zehnten Stock eines Wohnhochhauses in Ratingen bei Düsseldorf standen plötzlich neun Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungsdienstmitarbeiter in einem Feuerball. Mehrere von ihnen kämpften wochenlang um ihr Leben. Eine Polizistin blieb monatelang im künstlichen Koma.
Ein 57 Jahre alter Ratinger steht im Verdacht, die Einsatzkräfte mit mehreren Litern Benzin übergossen und angezündet zu haben. Vom kommenden Freitag an (24. November) muss er sich wegen neunfachen versuchten Mordes vor dem Düsseldorfer Landgericht verantworten. Acht der Opfer würden absehbar bleibende Schäden zurückbehalten, steht in der Anklageschrift.
Die Polizei stieß auf eine Leiche im Rollstuhl
Brennend waren die Schwerverletzten am 11. Mai durch das Treppenhaus zehn Stockwerke nach unten gelaufen. Geschmolzener Kunststoff ihrer Einsatzkleidung tropfte auf die Stufen und hinterließ dort Spuren ihres Überlebenskampfes. Die Polizei hatte nach der Explosion 35 Verletzte gezählt, die meisten waren mit Verdacht auf Rauchvergiftung behandelt worden.
Die Explosion löste einen stundenlangen Großeinsatz mit 650 Kräften aus, an dessen Ende Spezialeinheiten der Polizei den verwahrlost wirkenden Mann überwältigen konnten. Dabei stießen sie in der Wohnung auf eine im Rollstuhl sitzende teilweise skelettierte Leiche.
Wie sich herausstellte, waren es die Überreste der Mutter des Ratingers, mit der dieser wochenlang in der Wohnung ausgeharrt hatte. Er sitzt seither in Untersuchungshaft und schweigt seit gut einem halben Jahr zu den Vorwürfen.
Unklares Motiv
Die Tat sei heimtückisch gewesen, besonders grausam und mit gemeingefährlichen Mitteln verübt worden, sagt Staatsanwältin Laura Neumann. Mit dem von der Staatsanwaltschaft beauftragten Psychiater wollte der Ratinger nicht sprechen. Der Sachverständige stufte ihn vorläufig als voll schuldfähig ein.
Verteidigt wird der Deutsche von Rechtsanwalt Frank Schubert aus Düsseldorf, der vor dem Prozess zu den Vorwürfen der Anklage keine Stellung nehmen wollte.
Unklar ist weiterhin das Motiv des 57-Jährigen. Er soll zu Verschwörungstheorien neigen und große Vorräte in seiner Wohnung angelegt haben. Im Chaos der verwüsteten Wohnung gefundene Zettel gaben Einblick in seine Gedankenwelt.
Es lag ein Haftbefehl vor
"Wir haben Hinweise darauf, dass er auch ein Corona-Leugner ist", hatte eine leitende Ermittlerin kurz nach der Tat gesagt. "Da ist bei der Covid-19-Impfung von einer "Impfung des Teufels" die Rede. Zudem hat er seine Abneigung gegen Kirche, Staat und Arbeitsamt zum Ausdruck gebracht."
Wenige Tage vor der Tat hatte ein Polizist mit einem Haftbefehl bei ihm geklingelt: Dem 57-Jährigen waren drei Körperverletzungen vorgeworfen worden, deretwegen zwei Strafbefehle verhängt worden waren. Unter anderem soll er einen Nachbarn geschlagen haben. Weil er eine Geldstrafe nicht bezahlt hatte, sollte er ins Gefängnis, um eine Ersatzfreiheitsstrafe abzusitzen.
Nur einen Tag später, am 12. Mai, sollte der Haftbefehl gegen den Mann vollstreckt werden. Er hätte seine Inhaftierung aber noch abwenden können, wenn er die ausstehende Geldstrafe bezahlt hätte. Der 57-Jährige war keiner Arbeit nachgegangen.
Die Polizei war wegen eines überquellenden Briefkastens und Verwesungsgeruchs zu seiner Wohnung gerufen worden. Der Einsatzgrund lautete "hilflose Person". Es handele sich "um eine kaum vorstellbare Tat mit unfassbarer Brutalität", hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) festgestellt.
Ein Bewohner wurde tot gefunden
Die Explosion hatte eine Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst: Spenden in Höhe von 700.000 Euro kamen für die Opfer zusammen. Zu einer Mahnwache kamen in Ratingen mehr als 800 Menschen.
In einer anderen Wohnung des Hochhauses war nach der Räumung ein 73 Jahre alter Bewohner tot aufgefunden wurde. Der schwer pflegebedürftige Mann könnte ums Leben gekommen sein, weil er wegen der Evakuierung zu lange unversorgt geblieben war.
Ob der Tod tatsächlich durch den Einsatz bedingt war und auch dem 57 Jahre alten Ratinger anzulasten ist, wird in einem getrennten Verfahren ermittelt. Das Landgericht hat bis 11. Januar kommenden Jahres neun Verhandlungstage für den Strafprozess angesetzt. (dpa/Frank Christiansen)
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