- Venezuela ertrinkt praktisch im Öl. Aber nicht so, wie man es für das ölreichste Land der Welt vermuten könnte.
- Der Ölreichtum bedroht vielmehr die Küsten, Mangrovenwälder und Nationalparks.
- Die Pipelines und Raffinerien sind marode, gammeln vor sich hin und laufen aus.
Als im Sommer 2019 plötzlich ein fast 1.500 Kilometer langer Ölteppich an der Nordostküste von Brasilien für Schlagzeilen sorgte, rätselten Fachleute lange, woher diese große Menge Öl stammen könnte. Die Regierung des rechtsradikalen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro mutmaßte damals ganz offen, dass die schwarze zähe Brühe aus Venezuela stammen könnte.
Logisch, dachte jeder – glaubte aber insgeheim an ein ideologisches Manöver. Das kommunistische Venezuela ist bekanntlich eines der Lieblingsfeindbilder des Rechtpopulisten.
Klar also, dass der nur zu gerne versuchen könnte, die Umweltkatastrophe dem Klassenfeind in die Schuhe zu schieben. Inzwischen weiß man: Wahrscheinlich hatte er gar nicht so Unrecht.
Öllecks bedrohen Nationalpark in Venezuela
Diesen August nun machten Berichte aus Venezuela von Lecks in Öl-Pipelines der Raffinerie El Palito Schlagzeilen. Sie liegt nahe Puerto Cabello, einer Stadt mit rund 160.000 Einwohnern im Nordwesten des Landes.
Puerto Cabello ist rund 75 Kilometer von der venezolanischen Hauptstadt Caracas entfernt und besitzt einen der größten und wichtigsten Häfen des Landes. Und es ist nicht weit zum Nationalpark Morrocoy, etwas weiter nordwestlich: ein Naturparadies mit weißen Traumstränden, Mangrovenwäldern und Korallenriffen.
All das ist akut bedroht. Im August schlugen Umweltorganisationen, wie die venezolanische FUDENA, Alarm. Wegen einer Panne in El Palito sollen rund 20.000 Barrel Rohöl ins Meer gelaufen sein. Eine ökologische Katastrophe nicht nur für den Nationalpark, sondern auch für die Küstenbewohner, die vielfach vom Fischfang leben. Die Regierung unternimmt nichts und schweigt. Mehr noch: Sie verweigert Mitgliedern der Nationalversammlung den Zugang zur Raffinerie in El Palito, die sich einen Überblick über das Ausmaß der Katastrophe verschaffen wollen.
Nicolás Maduro in der Rolle des Quasi-Diktators
Von einem "Ökozid", einem Mord an der Natur, spricht María Gabriela Hernández, die den Zugang zum Betriebsgelände gefordert hatte. Sie ist die Vorsitzende der Umweltschutzkommission der Asemblea Nacional, der Nationalversammlung Venzuelas. Jenem Parlament, dessen Parlamentspräsident Juán Gaiodó ist.
Guaidó selbst hatte sich im Januar 2019 zum Interimspräsident Venezuelas erklärt, nachdem die Nationalversammlung kurz zuvor die vorgezogene Wiederwahl des sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro für nichtig erklärt hatte. Es soll bei der Abstimmung im Herbst 2018 zu erheblichen Wahlfälschungen gekommen sein. Maduro bestreitet das natürlich, hebelte seinerseits die Kompetenzen der Nationalversammlung aus um an der Macht zu bleiben und regiert seither praktisch wie ein Diktator. Die politische Lage ist kompliziert. Guaidó versucht seit seiner Selbsternennung eine Volksabstimmung über die Absetzung von Nicolás Maduro zu erwirken. Es gab viele Proteste, Maduro griff hart durch, viele Menschen starben. Hinzu kommen eine Wirtschaftskrise und eine galoppierende Inflation. Die Bevölkerung leidet und hungert. Wer kann der flieht.
Wirtschaftlicher Kollaps trotz gigantischer Ölreserven
Wirtschaftlich passiert seither kaum noch etwas. Die Ölindustrie, einst der Motor des Landes und Quelle aller sozialen Wohltaten liegt völlig am Boden. Wurden vor einigen Jahren noch zwei Millionen Barrel pro Tag gefördert, schätzen Experten die aktuellen Fördermengen auf gerade einmal 100.000-200.000 pro Tag – Tendenz sogar noch fallend. Und das, obwohl die Ölvorkommen, die im Boden des Karibikstaats schlummern auf mehr als 300 Milliarden Barrel geschätzt werden – rund ein Viertel der weitweiten Ölreserven.
Ein Embargo, das die USA 2019 verhängt hatten, zeigt Wirkung. Anfang November verließen die letzten Tanker italienischer, spanischer und indischer Ölabnehmer die Häfen – die Trump-Regierung in den USA hatte nochmal die Schrauben angezogen. Nur der Iran, wie Venezuela von den USA geächtet, baut seine Wirtschaftsbeziehungen aus und liefert Treibstoffe im Tausch für Schweröl und Gold nach Venezuela. Aber auch die durch Corona gesunkene Nachfrage leistet ihren Beitrag.
Die Probleme sind hausgemacht
Alles hausgemacht, sagt Hernández auf Anfrage unserer Redaktion. Ein wichtiges Datum, das sie zur Erklärung heranzieht, liegt schon ein paar Jahre zurück – der Putschversuch gegen den damaligen Präsidenten Hugo Chavez. Im Februar 2002 hatte dieser die komplette Führungsriege des staatlichen Ölkonzerns PDVSA gegen regierungstreue Köpfe ausgetauscht. Er kam zu einem breit angelegten Streik, mit dem Ziel, Chavez zum Rücktritt zu zwingen. "Chavez, der keinerlei staatsmännische Vision verfolgt, schlug den Protest in den Straßen brutal nieder und verfolgte die aufständischen Arbeiter politisch", sagt Hernández. "Diese 20.000 Arbeiter verfügten mit Sicherheit über das Wissen und die Erfahrung aus 100 Jahren Ölgeschäft."
Zu diesem gewaltigen Verlust an Know-How gesellte sich Korruption "und der Missbrauch des Unternehmens als politisches Instrument". Dies habe zu einer Vernachlässigung der Arbeit aber auch der Einrichtungen selbst geführt, erklärt Hernández weiter. "Heute verlieren fast alle vergammelten Pipelines Rohöl in Flüsse, Seen und das Meer. Wir beobachten im Osten bei Überlandpipelines an verschiedenen Stellen schwarze Pfützen", fährt sie fort, "all das ist ausgetretenes Öl."
Traumstrände seit Jahren mit Öl verschmutzt
Als Beispiel nennt die den Maracaibo See, eigentlich ein Binnenmeer, mehr als 13.000 Quadratkilometer groß. Der See ist berühmt dafür, dass nirgends auf der Welt bei Gewittern mehr Blitze auftreten als dort. Das lockt Touristen und verschaffte dem See einen Eintrag ins Guinness-Rekordebuch. "Der See wird immer schwärzer", erzählt María Gabriela Hernández. "Die Ölaustritte gibt es dort schon seit vielen Jahren." Schon 2003 veröffentlichte ein Tochterunternehmen der US-amerikanischen Raumfahrbehörde NASA Satellitenbilder, auf denen die dunklen Ölflecken deutlich zu erkennen sind. "Wäre der See ohne Wasser, sähe er aus wie ein Teller voller Pasta", sagt die Umweltpolitikerin. Mehr als 15.000 Meilen Ölpipeline sind kreuz und quer über den Grund des Binnenmeeres verlegt. "Fast alle verlieren heute Öl."
"Die Raffinerien von Amuay, Punta Cardon, El Palito und José Antonio Anzoategui laufen nicht nur deutlich unter ihren Kapazitätsgrenzen. Sie vermelden auch regelmäßig Störfälle." Die Akkumulation von Koks, ein umweltschädliches Nebenprodukt der Ölverarbeitung, sei ein ernüchterndes "Spektakel" in Anzoategui. "Schwarze Berge aus Staub kontrastieren mit dem Blau des Meeres und dem Grün der Küstenvegetation", beschreibt Hernández. "Die giftigen Partikel werden vom Wind fortgetragen und schädigen alles Leben, mit dem sie in Berührung kommen."
Umweltschutz im Meer der Korruption
Nicht nur die Anlagen der PDVSA sind völlig heruntergekommen. "Die zuständigen Abteilungen des Umweltministeriums und auch die Umweltschutzbehörden sind korrupt oder ganz verschwunden mit der Zeit." Hernández erklärt: "Früher waren die Kontrollen des Ministeriums anspruchsvoll und tiefgreifend. So schufen sie eine objektive Verantwortlichkeit der Manager und der Arbeitsabläufe. So schützten alle Beteiligten alle Abläufe mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Alles das gibt es heute nicht mehr."
"Heute sind Ölfelder Geisterfelder. Ohne Arbeiter, ohne Betrieb, aber mit Tonnen an Metallabfällen und Verschmutzung überall dort, wo einst grüne Felder, sauberes Wasser und beeindruckende Landschaften waren. Die Verantwortung liege alleine beim venezolanischen Staat, der die Anlagen besitze, fährt sie fort. "Das sind dieselben Personen, die auch die Ölindustrie leiten."
Verwendete Quellen:
- DW.de: Displaced: Öl und Ruin - Der Exodus aus Venezuela
- Blickpunkt-lateinamerika.de: Venezuela: Öl-Panne bedroht Nationalpark
- Amerika21.de: Ölkonzerne beenden Venezuela-Geschäfte wegen US-Sanktionen
- BBC.com: Venezuela's National Assembly investigates oil spill
- Nasa.gov: The Maracaibo beacon
- Caracaschronicles.com: PDVSA Turns a Blind Eye to Oil Spills in Venezuela
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