Ihre Leidenschaften? Pferde – und Musik. Und beides gehört zusammen, sagt Sarah Immer. Auf ihrem Gnadenhof greift sie oft zur Geige. pferde.de sprach mit ihr über die besondere Wirkung der Musik, warum Pferde die besten Partner sind und wie alte Pferde menschlichen Senioren schöne Momente schenken.

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Als ganz kleines Kind lebte Sarah Immer mit ihren Eltern mitten in der Stadt. Doch mit fünf Jahren änderte sich alles: Die Familie zog nach Kappel, einem Ortsteil von Freiburg. Und dort, in der dörflichen Umgebung, fand sie sofort ihre erste große Liebe – die Pferde. "Mit fünf Jahren saß ich zum ersten Mal auf einem Pferd", erinnert sie sich. "Seitdem geht es nicht mehr ohne. Bei meiner Oma war nebenan ein Reiterhof. Da war ich so oft wie möglich." Und eins war ihr da schon klar. "Ich habe damals bereits gesagt: Ich werde später Bäuerin und Musikerin", so die heute 47-Jährige lachend.

Und tatsächlich studierte sie nach dem Abitur in Freiburg, Köln und Aachen Musik. Ihr Instrument: die Geige. Sie gehörte zum Kammerorchester Basel und Freiburger Barockorchester, gründete das Janus-Ensemble und das Tango Quartett "Immortal". Dazu war sie immer wieder auf Konzert-Tournee. Dann wurde sie Mutter und stellte fest: "Zehn Tage in Südamerika ohne Kinder – das macht keinen Sinn."

Auch alte Pferde wollen beschäftigt werden.
Auch alte Pferde wollen beschäftigt werden. © Foto: pixabay.com/dendoktoor (Symbolfoto)

Mit dem Junghof geht ein Kindheitstraum in Erfüllung

Also machte sie einen Schnitt – und pachtete den Junghof Kappel in Freiburg. "Als Kind bin ich dort geritten", so Immer. Doch der Reiterhof war nun insolvent. Und sie griff zu. "Damit ging mein Kindheitstraum in Erfüllung." Für sie stand von Anfang an fest: Sie wollte dort keinen klassischen Pferdehof führen. "Ich wollte einen Platz für Tiere und Menschen schaffen, wo sie sich sicher und geborgen fühlen", so Immer. Und es sollte auch ein Ort für Pferde werden, die keiner mehr will. Wie Flint, ihr eigenes Pferd.

"Ich habe ihn bekommen, da war er gerade acht Monate alt", erinnert sich Immer. "Er hatte auf einer Fohlenauktion nicht so gut abgeschnitten und sollte deshalb zum Schlachter. Eine Tierschutzorganisation hatte ihn gerettet." Immer lacht. "Eigentlich wollte ich nur Patin für ihn werden. Aber beim Gespräch hieß es dann: Wenn du ihn nimmst, können wir ein weiteres Pferd retten. Da habe ich ihn genommen…"

Ihr Herz für Pferde sprach sich rum

Mit dem Hof übernahm Sarah Immer auch Mascha und Salomon. "Die beiden waren zu alt, niemand wollte sie mehr. Mascha hat Arthrose. ‚Die bringt nichts mehr‘, hieß es. Sie sollten eingeschläfert werden." Doch für Immer kam das nicht in Frage. "Ich habe Mascha damals gefragt, ob sie leben will. Und sie hat ganz deutlich gezeigt: Sie will!" Mittlerweile ist das Pony über 30 Jahre alt und "unsere liebe, sture Oma. Sie genießt ihr Leben und mit Salomon benimmt sie sich wie ein altes Ehepaar."

Die älteren Pferde werden zu Therapie-Tieren
Die älteren Pferde werden zu Therapie-Tieren © Foto: pixabay.com/rihaij (Symbolfoto)

Dass alte Pferde aussortiert werden – das kann Immer nicht verstehen. "Wir werden doch auch älter. Da sagt niemand: ‚Das lohnt sich nicht mehr‘." Dass sie ein Herz für die Pferde-Oldies und nicht gewollten Pferde hat, sprach sich rum. So entwickelte sich der Junghof zu einem Gnadenhof. Dabei war Sarah Immer nicht allein. "Ich habe viele tolle Menschen, die mich mit Leib und Seele unterstützen. Ohne dieses tolle Team ginge es gar nicht", betont sie. Und mit den Freunden und Unterstützern gründete sie 2018 den "Junghof e.V.", einen gemeinnützigen Verein im Bereich der Jugend- und Altenhilfe, Förderung von Kunst und Kultur, Erziehung, Volks- und Berufsbildung.

Pferde-Oldies als tierische Therapeuten

Neben dem Team hat sie vor allem tierische Helfer – ihre Pferde-Oldies. "Nur weil die Pferde alt sind, heißt das nicht, dass sie nutzlos sind", so Immer. Im Gegenteil: Auch alte Pferde wollen arbeiten – und beschäftigt werden. "Bei uns finden sie nicht nur ein neues Zuhause. Sie werden zu wertvollen Therapie-Tieren für Jung und Alt." Vor allem Kinder profitieren von dem Umgang. "Durch Pferde werden sie selbstbewusst, lernen Verantwortung zu übernehmen", so Immer. Vor allem aber lernen sie sich selbst genau kennen. "Pferde spiegeln uns. Anderen Menschen können wir vielleicht etwas vormachen. Aber Pferde sehen uns so, wie wir sind. Sie erkennen unsere Angst, unsere Zweifel. Und sie machen uns mutig."

Aber auch für demente Senioren sind die Pferde Therapeuten auf vier Hufen. "Alle zwei Wochen bekommen wir Besuch von einem Stift aus Freiburg", so Immer. Dann werden die Pferde besucht, es wird zusammen gegessen – und natürlich gibt es auch Musik. Denn die gehört für die Musikerin genauso dazu. "Musik öffnet das Herz. Die Tiere können dann therapieren", sagt sie. Ganz besonders ist die Begegnung von Pferden mit behinderten Kindern, findet Immer. "Die Kinder sind so authentisch, leben absolut im hier und Jetzt. Es ist extrem, wie Pferde darauf reagieren, wie schnell sie sich mit den Kindern verstehen."

Die Therapie-Pferde sind toll für demente Senioren
Die Therapie-Pferde sind toll für demente Senioren © Foto: pixabay.com/Rainer_Maiores (Symbolfoto)

Musik entspannt Pferde

Und Pferde lieben noch etwas: Musik. Warum? Für Immer ganz klar: "Wenn wir Angst haben und anfangen zu singen, dann geht unser Puls runter und die Atmung wird langsamer. Kurz: Wir entspannen. Und genau so wirkt Musik auch bei Pferden. Wenn ein Pferd scheut, dann singe ich. Hat ein Pferd Sattelzwang, dann singe ich. Und auch wenn ein Pferd eingeschläfert werden muss, bin ich da und singe leise. So haben sie im letzten Moment noch etwas vertrautes, das sie beruhigt."

Nicht nur der Gesang hilft. Sie greift auch gerne zur Geige. "Pferde haben ein ganz besonderes Taktgefühl. Je nachdem, was ich spiele, beruhigen sie sich – oder bekommen mehr Energie." Mit ihrer Geige kann sie Pferden auch helfen. "Eine Freundin hatte einen spanischen Hengst gerettet. Ihm ging es überhaupt nicht gut, er hat total gewebt. Ich habe ihm etwas vorgespielt und er hat sich total beruhigt."

Reitunterricht mit Geige tut allen gut

Den Effekt, den die Geige auf Pferde hat, nutzt sie auch beim Reitunterricht. "Mit der Musik finden Reiter und Pferd gemeinsam den Takt", so Immer. Dabei geht es auf dem Junghof nicht nur ums Reiten. "Viel wichtiger ist der Umgang mit den Pferden. Hier lernen alle, dass Pferde keine Sportgeräte sind." Denn das ist ihr wichtig: Die Achtung vor den Tieren. "Wer Tiere kennt, kann sie liebhaben. Und was wir liebhaben, das achten wir."

Musik entspannt Pferde.
Musik entspannt Pferde. © Foto: pixabay.com/Digwen (Symbolfoto)

Zur Achtung gehört für sie auch die artgerechte Haltung. "Pferde sind Fluchttiere und Herdentiere. Ein Leben in Boxen passt nicht." Auf dem Junghof haben die 20 Pferde einen Offenstall, einen Trail, einen natürlichen Bachlauf. "In die Box muss ein Pferd nur, wenn es krank ist. Und dann stellen wir immer eins dazu, damit es nicht allein ist."

Ein Paradies für alte Pferde – und Menschen

Neben den Pferden leben auch Schweine, Hasen, Hühner, Ziegen und Katzen auf dem Junghof. Es ist ein Paradies für die Tiere und ein Zufluchtsort für die Menschen. Viele sagen: Es ist eine kleine heile Welt. Und das soll der Hof auch sein – für jeden. "Bei uns ist jeder willkommen", sagt Sarah Immer. Hier sollen Menschen einen Zugang zur Natur finden. "Wir machen alles, was geht, selbst. Aus unseren Pferdeäpfeln wird Humus. Und unser Gemüse bauen wir selbst an."

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Finanziert wird der Hof zum Beispiel durch Konzerte, die in der Reithalle oder im kleinen Kammermusiksaal stattfinden. Und natürlich lebt er auch von Spenden und Mitgliedschaften. Dass jeden Monat ausreichend Geld da ist, das ist Sarah Immers größter Wunsch. "Die Tiere haben ein Recht, hier zu bleiben." Und natürlich würde sie gerne noch mehr Tiere retten. "Ich höre zwar oft, dass ich nicht jedes Tier retten kann", sagt sie. "Aber ich kann manchen helfen. Und das alles, was zählt!"  © Pferde.de

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