Jaycen ist 15, Springreiter, Influencer – und ein Mut-Macher. Denn Jaycen hat das Down-Syndrom – und zeigt jeden Tag, dass fast alles möglich ist. pferde.de sprach mit ihm und seiner Mutter über die therapeutische Wirkung von Pferden und Träume, für die es sich zu kämpfen lohnt…

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Die Pferdeliebe wurde ihm wohl in die Wiege gelegt. Schließlich kann sich seine Mutter ein Leben ohne Pferde nicht vorstellen. Und sie wollte ihren Kindern immer das ermöglichen, was sie sich selbst früher erarbeiten musste. "Ich komme aus einer Nichtreiterfamilie", erzählt Marion Hupperts (52). "Trotzdem saß ich als Kind zu Hause und habe aus unserer Fernsehzeitschrift alles ausgeschnitten, was mit Pferden zu tun hatte. Niemand wusste, wo meine Leidenschaft herkommt…

Sie sparte ihr Taschengeld für Reitstunden, verbringt jede Minute im Stall. "Ich habe vier Boxen ausgemistet, damit ich ein Pferd mal Schritt reiten konnte." Nach dem Abitur war für sie klar: Sie will Pferdewirtin werden. "Mein Vater war nicht so begeistert. Er meinte, ich hätte doch nicht mein Abi gemacht, um Boxen zu misten." Doch sie lässt sich nicht beirren, macht die Ausbildung und arbeitet seit Jahren als Ausbilderin im Pferdesport für Menschen mit Behinderung. Sie ist überzeugt: "Egal, ob mit oder ohne Handicap: Pferde sind für Kinder fantastische Lehrer."

Kurz nach der Geburt bekam Jaycen seinen Glücksbär

Und so nahm sie ihre Kinder schon früh mit in den Stall. Ihr Sohn Jaycen bekam kurz nach seiner Geburt sogar sein erstes Pony namens Glücksbär geschenkt. "Den Namen haben wir gewählt, weil das Pony ihm Glück bringen sollte", erzählt Huppert. Eine Extra-Portion Glück schien ihr Sohn damals auch zu brauchen…

Denn Jaycen kam mit Trisomie 21 auf die Welt. Das heißt: Bei ihm ist das 21. Chromosom dreifach vorhanden. Diese genetische Veränderung beeinflusst das Aussehen sowie die geistige, motorische und sprachliche Entwicklung. Nach der Diagnose stand für seine Mutter sofort fest: Jaycen kommt so früh wie möglich aufs Pferd. "Ich konnte reiten, bevor ich laufen konnte", sagt Jaycen verschmitzt. Denn mit vier Monaten saß er zum ersten Mal auf Glücksi, wie die Familie den Welsh-Pony-Wallach liebevoll nennt. "Seine Schwester saß hinter ihm und hielt ihn fest", erinnert sich seine Mutter.

Kurz nach seiner Geburt bekam er sein erstes Pony.
Kurz nach seiner Geburt bekam er sein erstes Pony. © Foto: Privat

Mit elf Jahren will Jaycen Turniere reiten…

Jaycens großer Vorteil: Durch seine Mutter ist er schon als Kind täglich im Stall und kann oft aufs Pferd. Durch das therapeutische Reiten macht er immer mehr Fortschritte. Doch irgendwann ist ihm das zu wenig. Er will "richtig" reiten. Mit neun Jahren beschließt er deshalb: "Ich will springen!" Das war damals sogar seiner Mutter eigentlich zu viel: "Kinder mit Downsyndrom fehlt die Muskelkraft. Daher ist Springen für sie besonders schwer. Aber durch das Reiten hatte sich Jaycen so gut entwickelt, dass es für ihn möglich war."

Und der mittlerweile Elfjährige will noch mehr: Er will auch Turniere reiten. Für ihn ist das eine besondere Herausforderung. Denn zuerst hat Jaycen Schwierigkeiten, sich die Reihenfolge im Parcours zu merken. Die Lösung: Sein Springlehrer Daniel Könemund, selbst erfolgreicher Springreiter, läuft im Parcours vor ihm her. Doch je mehr Jaycen übt, umso besser klappt auch das. Sein Trick: Er merkt sich die Reihenfolge anhand der Farben der Sprünge. Heute kann er einen Parcours ganz alleine springen.

Kuscheln steht ganz oben auf der Liste

Zuhause verbringt Jaycen längst jede freie Minute bei Glücksi. Was er als Erstes macht? "Ich gebe ihm ein Küsschen", erzählt er. Denn das Kuscheln steht für ihn ganz oben auf seiner Lieblings-Liste. Obwohl: Eigentlich macht er einfach alles gerne mit seinen Pferden. Neben Dressur und Springen stehen auch Bodenarbeit und Zirkuslektionen auf seinem Programm. Das Besondere an Jaycen? "Er bekommt die Pferde immer auf seine Seite", sagt seine Mutter. Sein einziges Manko: "Er vergisst die Zeit im Stall. Es kann schon mal eine Stunde dauern, bis er sein Pferd gesattelt hat…"

2019 kam dann sein "Durchbruch": Jaycen nimmt am "KATINA Show Cup" auf der "Equitana" teil, zeigt mit Glücksi Zirkuslektionen. Und die 4.000 Zuschauer sind begeistert. Erst gibt es Standing Ovations – und dann noch den ersten Platz für die Beiden. "Dort wurden wir dann auch gefragt, ob er nicht eine Instagram-Seite hat", erinnert sich seine Mutter. "Seine Geschwister waren auf Social Media aktiv. Also dachte ich: Warum sollte er nicht auch eine Seite bekommen."

Jaycen sagt immer, was er will

Und so postet sie am 25. März 2019 das erste Foto von Jaycen und Glücksi auf Instagram auf der Seite jaycen_liebt_gluecksbaer. "Wir wollten eigentlich nur sein Leben zeigen." Dass er einmal Influencer werden könnte – daran hat keiner gedacht. Doch Jaycen und Glücksi kommen an, mittlerweile haben sie 32.100 Follower, Tendenz steigend. Was den Followern gefällt? "Wir machen keine Show. Jaycen sagt das, was er will. Niemand gibt ihm Texte vor. Das merken die Menschen", sagt seine Mutter.

Dafür zeigt Jaycen auch mal traurige Momente. Zum Beispiel als er seinen Glücksi zur Rente auf Neuwerk verabschieden musste. Der Wallach hat schweres Asthma und die Seeluft ist ideal für ihn. "Wir hatten ihn zur Kur dort, haben ihn zwei-, dreimal wieder zu uns geholt. Aber es ging ihm dann schnell wieder schlecht. Deshalb mussten wir die Entscheidung treffen, die für Glücksi die Beste ist." Und auch seinen schlimmsten Moment teilt er ganz ehrlich: Im Juli schloss Glücksi jetzt für immer die Augen. "Run free….mein bester Freund und once-in-a-lifetime-pony❤️🌈", nahm Jaycen emotional Abschied.

Keine Paralymics für Reiter mit geistiger Behinderung

Meist zeigt Jaycen jedoch glückliche Momente. Zum Beispiel, wie er mit seinem Schimmel Teddy beim Turnier im Stilspringen zwei Schleifen holt. Oder mit ihm beim Geländetraining durchs Wasser galoppiert. Und auch die besonderen Momente im Leben zeigt Jaycen. Denn sportlich hat er bereits viel erreicht: Er durfte bei den "Deutschen Meisterschaften" in Balve einen kleinen Parcours springen und holte bei den "Special Olympics" eine Medaille. "Das war toll", freut er sich. Und seine Mutter bestätigt: "Das war eine tolle Zeit." Doch die ist bei den "Special Olympics" zeitlich begrenzt: "Sie sind eher breitensportlich orientiert. Deshalb darf jeder nur einmal an den Weltspielen teilnehmen."

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Dafür war Jaycen in diesem Jahr in Vichy, bei den "Global Games" 2023, den Weltspielen für Athleten mit einer geistigen Behinderung von "Virtus Sport". "Sie setzen sich dafür ein, dass Menschen mit geistiger Behinderung im Sport auch gesehen werden", so seine Mutter. Denn beim Para-Reiten darf Jaycen nicht mitmachen. Bei den Para-Reitern gibt es zwar fünf verschiedene Grade – aber die betreffen ausschließlich körperliche Handicaps. Im paralympischen Dressursport sind Athleten mit geistiger Behinderung nicht startberechtigt. Genau dafür setzt sich Jaycens Mutter ein: "Es sollte noch einen sechsten Grad geben." Denn einmal bei den Paralympics zu starten – das wäre Jaycens größter Traum.

Sein Traumberuf ist Schauspieler.
Sein Traumberuf ist Schauspieler. © Foto: Privat

Sein Traumberuf? Schauspieler!

Andere Träume sind für ihn bereits in Erfüllung gegangen. "Er durfte bei der TV-Serie ‚Bettys Diagnose‘ hinter die Kulissen gucken", so seine Mutter. Im Mai durfte er mit seinen Pferden eine Folge von "Anna und die Haustiere" drehen. Das wird in der nächsten Staffel ausgestrahlt. Für Jaycen sind das ganz besondere Momente. Denn auch wenn er Pferde liebt, beruflich will er etwas anderes: "Ich möchte Schauspieler werden", sagt Jaycen. Und wer ihn kennt, weiß: Er schafft auch das. Denn Jaycen beweist, dass fast nichts unmöglich ist…  © Pferde.de

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