- Der Ausbildungsnotstand in Deutschland erreicht einen neuen Höhepunkt.
- Die Gründe dafür sind vielfältig: Zum einen bilden seit der Corona-Pandemie deutlich weniger Unternehmen aus.
- Zum anderen sehen sich potenzielle Bewerberinnen und Bewerber großen Hürden gegenüber. Das soll sich nun ändern.
In Deutschland herrscht Ausbildungsnotstand - und das schon seit Jahren. Die Corona-Situation hat diese Lage noch verschlimmert. Auf der einen Seite ist die Zahl der Ausbildungsstellen deutlich zurückgegangen. Denn viele Unternehmen mussten während der Pandemie Stellen streichen, um den wirtschaftlichen Betrieb aufrecht halten zu können.
Auf der anderen Seite mangelt es aber auch an Bewerberinnen und Bewerbern. Noch nie blieben in den jüngsten Jahren so viele Ausbildungsplätze unbesetzt. Gründe dafür gibt es zahlreiche. Das erfahren unterschiedlichste Ausbildungsbereiche wie etwa in der Pflege oder auch in der Gastronomie.
Betriebe haben offene Stellen, doch keine Bewerberinnen und Bewerber
Ein Beispiel ist das Mercure Hotel Stuttgart Airport Messe. Hier sollten eigentlich junge Leute stehen - in der Küche, an der Rezeption und auch im Service. Doch Wunsch und Wirklichkeit klaffen im Fall von Hoteldirektor Gürkan Gür jedoch weit auseinander. Es fehlen Auszubildende, und zwar einige. Gür würde gerne 10 bis 15 Menschen im kommenden August oder September eine Ausbildung anbieten. Doch davon ist er noch weit entfernt, denn es gibt schlichtweg keine Kandidatinnen und Kandidaten auf diese Stellen.
"Die Suche gestaltet sich schwer. Wir müssen heute den jungen Leuten hinterherlaufen", sagt Gür. Aktuell habe er vier Bewerbungen auf dem Tisch liegen. "Früher haben wir uns die Rosinen unter den Bewerbern rauspicken können, jetzt bin ich über jede Bewerbung froh", sagt der 52-Jährige.
Was kann er noch machen? Stellenanzeigen und Social Media brachten laut Gür bisher nicht den gewünschten Erfolg. Eine Möglichkeit wäre es, sich bei Berufs- und Ausbildungsmessen zu präsentieren, um vor Ort für mögliche Bewerberinnen und Bewerber als Ansprechpartner verfügbar zu sein.
Schulabgängern fehlt die Möglichkeit, "ihren" Beruf zu finden
Umgekehrt gilt das genauso: "Diejenigen mit schlechteren Schulnoten können sich da besser präsentieren als auf dem Papier", erklärt Muhammat Karatas von der IHK Region Stuttgart. Als sogenannter Ausbildungsscout berät er Unternehmen kostenlos und wirbt dafür, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Karatas Ziel ist es, bis Jahresende mindestens 200 Unternehmen zu erreichen, die aufgrund der Pandemie-Lage ihre Ausbildungsstellen weitestgehend eingekürzt haben.
Mit dieser Art von Ausbildungsscouts will etwa Baden-Württemberg den Fachkräftemangel eindämmen. Rund 262.000 Euro lässt sich das Ministerium das kosten und fördert fünf Vollzeit- und zwei Teilzeitstellen bei verschiedenen Trägern. Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) rechnet damit, dass ab dem Ausbildungsjahr 2022 mehr Schulabgänger einen Platz suchen, weil sich 2020 und 2021 viele zurückgehalten hätten.
Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) weist darauf hin, dass die niedrigen Bewerberzahlen nämlich auch mit der sinkenden Zahl der Schulabgänger durch geburtenärmere Jahrgänge zusammenhängen. Doch das ist nicht der alleinige Grund.
Lieber ein beliebiges Studium als einen tollen Ausbildungsplatz?
Selbst wenn sich ein Schüler oder eine Schülerin für eine Ausbildung interessiert und gewillt ist, einen Ausbildungsberuf zu ergreifen, sind durch Corona Berufsberatung, Praktika und Ausbildungsmessen überwiegend ausgefallen. Genau diese sind aber wichtig, damit sich Schulabgängerinnen und Schulabgänger überhaupt ein Bild davon machen können, welche Ausbildungsmöglichkeiten sich ihnen bieten und welche davon zugleich ihr Interessenfeld bedienen.
"Jugendliche haben vor Abschluss der Schule nur sehr unvollständige Vorstellungen über ihre beruflichen Neigungen und beruflichen Fähigkeiten", erklärt der Bernd Fitzenberger, Leiter des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). "Die bestehende hohe Unsicherheit über die zukünftigen Entwicklungen lässt viele Jugendliche eher dazu neigen, länger im Schulsystem zu verbleiben". Viele Schulabgänger würden aus demselben Grund auch ein Studium beginnen.
Das wirkt sich deutlich auf die Zahlen des Arbeitsmarktes aus: Bundesweit sind laut einer Studie des IAB knapp 40 Prozent der Plätze im laufenden Ausbildungsjahr bis September nicht vergeben worden. Die Zahl der Bewerbungen sinke zwar schon länger, durch die Corona-Pandemie habe sich der Rückgang aber nochmals verstärkt, sagt Fitzenberger.
Image von Ausbildungsberufen schlecht
Trotz mehr Ausbildungsplätzen als Bewerbern waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 27.100 Bewerberinnen und Bewerber im Januar 2022 noch ohne Ausbildungsplatz. Dieses Ungleichgewicht hängt unter anderem mit den genannten Problemen zusammen, nämlich der mangelhaften Möglichkeit, sich über einen Wunschberuf zu informieren, als auch mit der Tatsache geburtenschwacher Jahrgänge. Aber auch die Unterschiede zwischen den Berufs- und Ortswünschen und ausgeschriebenen Stellen, sowie fehlenden Qualifikationen oder auch Imageprobleme eines Berufs spielen eine große Rolle.
So hält Karatas letzteren Punkt, nämlich das Image von Ausbildungsberufen, für einen schwerwiegenden Grund für die niedrigen Bewerberzahlen. "Viele junge Leute kennen nicht die Chancen, die eine Ausbildung bietet", sagt er. Mit Imageproblemen speziell bei handwerklichen Ausbildungsberufen kämpft auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). "Nur mit genügend Azubis haben wir die dringend nötigen Fachkräfte in der Zukunft", mahnt der Verband.
Bleibt für Hoteldirektor Gür und andere Ausbildungsbetriebe die Hoffnung, dass sich Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund auf Ausbildungsplätze bewerben. Doch auch hier müsse man geeignete Bewerber erst durch die sogenannte betriebliche Einstiegsqualifizierung finden, also ein langes Praktikum. Erfolg könnte außerdem auch die Bewerbervermittlung der IHK bringen, die genau für Zeiten wie diese eingerichtet wurde. (ncs/dpa)
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