- Kaum ein Thema spielt in der gesellschaftspolitischen Diskussion so eine Rolle wie die Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen.
- Deutschland liegt beim Thema "Gender Pay Gap" im europäischen Spitzenfeld.
- Während Frauen in personenbezogenen Dienstleistungen wie Pflege oder Gastronomie überrepräsentiert sind, zieht es Männer deutlich häufiger in technische oder naturwissenschaftliche Berufe.
Kaum ein Thema spielt in der gesellschaftspolitischen Diskussion eine so prominente Rolle wie die Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen. Zweimal im Jahr wird besonders intensiv diskutiert: Erstens am sogenannten "Equal Pay Day" (in diesem Jahr der 7. März), also dem Tag, bis zu dem Frauen bezugnehmend auf die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen theoretisch umsonst arbeiten.
Und zweitens Anfang des Jahres, wenn das Statistische Bundesamt zwei Maßzahlen für die Lohnungerechtigkeit veröffentlicht: den bereinigten und den unbereinigten Gender Pay Gap (GPG). Ersterer beschreibt die Differenz zwischen dem durchschnittlichen Bruttostundenverdienst aller Frauen und dem Bruttostundenverdienst der Männer. Er lag im Jahr 2022 bei 18 Prozent. Frauen verdienten also im Durchschnitt knapp ein Fünftel weniger als ihre männlichen Kollegen.
Da dieses Maß nur den Durchschnittsverdienst aller Beschäftigten berücksichtigt, ist es relativ grob und mit Vorsicht zu betrachten. Unterschiedliche Branchen und Berufe, die Dauer der Betriebszugehörigkeit oder das Beschäftigungsausmaß bleiben unberücksichtigt. Es werden also Äpfel mit Birnen verglichen.
Deshalb "bereinigen" die Bonner Statistiker den GPG um jene Einflussfaktoren, die sich mit den statistischen Schätzmodellen erklären lassen. Vereinfacht gesagt, werden beim bereinigten Gender Pay Gap strukturelle Faktoren wie Unterschiede in den Berufen, in der Wochenarbeitszeit und im Bildungsniveau herausgerechnet, sodass Frauen und Männer in vergleichbaren Positionen betrachtet werden. Für das Jahr 2022 liegt dieser Wert bei sieben Prozent und damit deutlich unter dem unbereinigten Index. Da die Statistik für diesen Gehaltsunterschied keine Erklärung liefert, wird er auch als "unerklärter Teil" des GPG bezeichnet.
Deutschland liegt beim Gender Pay Gap im Spitzenfeld
Beim unbereinigten Index liegt Deutschland im europäischen Spitzenfeld. Nur in Lettland (22 Prozent), Estland (21) und Österreich (19) ist der Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen größer. Besonders gering ist er dagegen in Luxemburg (1), Rumänien (2) und Italien (4). In der gesamten EU, die die Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen offiziell als politisches Ziel verfolgt, liegt er bei rund 13 Prozent. Gleichzeitig zeigt der Blick auf das europäische Ausland, warum der GPG als alleiniger Indikator für geschlechtsspezifische Ungleichheiten nur bedingt geeignet ist. So ist beispielsweise Rumänien mit einem GPG von zwei Prozent weit unter dem EU-Durchschnitt und aus gleichstellungspolitischer Sicht besonders "gerecht". Gleichzeitig ist Rumänien aber auch eines der Länder mit der prekärsten Einkommenssituation in Europa. In keinem Land ist das durchschnittliche Jahreseinkommen niedriger, auch nicht kaufkraftbereinigt. Spöttisch könnte man deshalb sagen: In Rumänien verdienen Männer und Frauen gleich wenig. Sozialpolitisch ist diese Nachricht nur bedingt erfreulich.
In Deutschland, da sind sich die meisten Forscher einig, ist die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen mehr als ein statistisches Artefakt. Gesellschaftliche Strukturen, gläserne Decken, Stereotype oder mangelnde Lohntransparenz sind einige der Gründe, mit denen Ökonomen versuchen, die Lohnunterschiede rational zu erklären. Die Forschung zu diesem Thema liegt weltweit im Trend: Allein das Rechercheportal "Google Scholar" verzeichnet über zwei Millionen wissenschaftliche Arbeiten zum Thema "Gender Pay Gap".
Stabile Geschlechterverhältnisse zementieren ungleiche Bezahlung
Eine der Hauptursachen für den Gender Pay Gap ist das, was Ökonomen als "horizontale Segregation" bezeichnen. Damit ist die Verteilung von Frauen und Männern auf unterschiedliche Berufe gemeint, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt traditionell relativ stabil ist. Während Frauen in personenbezogenen Dienstleistungen wie Pflege oder Gastronomie überrepräsentiert sind, zieht es Männer deutlich häufiger in technische oder naturwissenschaftliche Berufe. Nur in wenigen Branchen wie dem Handel ist das Geschlechterverhältnis nahezu ausgeglichen.
"Persönliche Dienstleistungen werden oft schlechter bezahlt als technische Berufe", sagt Karl Brenke, Ökonom am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW), im Gespräch mit unserer Redaktion. "Am unteren Ende der Skala stehen zum Beispiel das Gastgewerbe, Friseure oder Kosmetiker. Und hier sind vor allem Frauen zu finden, insbesondere in den vielen Teilzeit- und Minijobs im Gastgewerbe." Hinzu kämen Unterschiede in der Branchenstruktur. "Frauen sind relativ häufig in Branchen mit niedrigem Lohnniveau vertreten, die oft auch kleinbetrieblich strukturiert sind", so Brenke.
Eine zweite Erklärung ist die "vertikale Segregation", also die Verteilung von Frauen und Männern auf unterschiedliche berufliche Hierarchieebenen: Während der Frauenanteil an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt bei 46 Prozent liegt, arbeiten nur 27 Prozent in besser bezahlten Führungspositionen mit Leitungs- und Aufsichtsfunktion. Dahinter verbergen sich verschiedene Phänomene, doch für DIW-Forscher Brenke sticht eine Erklärung hervor: Frauen arbeiten deutlich häufiger in Teilzeit. Bei familienbedingten Unterbrechungen wie der Pflege von Angehörigen oder der Elternzeit ist es schließlich oft der weibliche Part, der zurücksteckt. "Eine Teilzeittätigkeit ist eine Karrierebremse", sagt Brenke.
Auch empirisch spricht einiges für diese Begründung. So nimmt der Gender Pay Gap ab einem Alter von 30 Jahren Fahrt auf, dem durchschnittlichen Alter der Mutter bei der Geburt ihres ersten Kindes. Ab diesem Alter reduzieren Frauen ihre Arbeitszeit deutlich und arbeiten vermehrt in Teilzeit. Bei den unter 30-Jährigen ist die Lohnlücke dagegen gering.
Frauen haben traditionell hohe Zurückhaltung beim Jobwechsel
Es gibt aber noch eine andere Erklärung, die gerade in Zeiten des Fachkräftemangels irritiert: die Zurückhaltung von Frauen beim Jobwechsel. Frauen, so zeigen Studien, wechseln im Schnitt seltener den Arbeitgeber als ihre männlichen Kollegen - und das kostet bares Geld. "Wer freiwillig den Arbeitgeber wechselt, erzielt oft einen Einkommenszuwachs in Form einer 'Mobilitätsprämie', weil er Knappheitsverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt ausnutzen kann", erklärt Oliver Stettes, Ökonom am Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW), unserer Redaktion. "Eine Person, die im selben Unternehmen ausgebildet wurde und seitdem dort arbeitet, hat diese Möglichkeit nicht. Männer sind jedoch eher bereit, den Arbeitgeber zu wechseln, und können daher eher in den Genuss der 'Prämie' kommen".
Eine der Maßnahmen, mit denen weltweit immer mehr Politiker die Lohnlücke gesetzlich zu schließen versuchen, ist Transparenz. So führten zuletzt die US-Bundesstaaten Colorado, Kalifornien und Washington Gesetze ein, die Arbeitgeber verpflichten, in Stellenangeboten offenzulegen, in welchem Rahmen das Gehalt liegt. Die Idee dahinter: Wer weiß, wie viel die Kollegen verdienen, kann sich gegen Ungerechtigkeiten wehren. Auf ähnliche Weise versucht es die EU: Das EU-Parlament und der EU-Ministerrat haben sich im Dezember auf eine Richtlinie verständigt, nach der Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern regelmäßig Daten zum Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen veröffentlichen müssen. Schweigepflichten über die eigenen Gehälter sollen verboten werden. Im schlimmsten Fall droht Schadenersatz.
Auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), die die Richtlinie in Deutschland umsetzen muss, ist Fan davon. Auf Twitter schrieb sie Ende des Jahres: "Die Richtlinie sorgt für eine wirksamere Durchsetzung des Grundsatzes 'Gleicher Lohn für Frauen und Männer'. Lohndiskriminierung kann damit leichter vor Gericht gebracht werden."
Deutschland bislang restriktiv bei Transparenzpflichten
In Deutschland wäre die Umsetzung tatsächlich ein Novum: Anders als in Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder Luxemburg, in denen es schon heute deutlich schärfere Maßnahmen und Sanktionsmechanismen gibt, sind Unternehmen hierzulande nur zu wenig Transparenz verpflichtet. Zwar gibt es ein Entgelttransparenzgesetz, dieses greift jedoch nur bei großen Unternehmen und wälzt die Beweispflicht auf Arbeitnehmer ab.
Dass Transparenz zum Erfolg führen kann, zeigen übrigens die Chefetagen der Dax-Unternehmen: Hier verdienten die weiblichen Vorstände 2021 mit durchschnittlich 3,6 Millionen Euro sogar etwas mehr als ihre männlichen Kollegen mit 3,5 Millionen. Anders als in den unteren Ebenen gibt es über Vorstände in börsennotierten Unternehmen öffentlich zugängliche Vergütungsreports.
Verwendete Quellen:
- Gespräche mit Karl Brenke und Oliver Stettes
- Twitter-Profil von Lisa Paus (Stand: 6. Februar 2023)
- www.destatis.de: Gender Pay Gap
- www.bundesregierung.de: Koalitionsvertrag
- ec.europa.eu: Europäische Kommission: Gender Pay Gap im EU-Vergleich (mit Großbritannien)
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