Wenn ein Kind erst einmal lernen muss, dass die Waffe in seinen Händen nicht normal ist, nicht zu seinem Alltag gehört - dann befinden wir uns in einem der zahlreichen Länder, in denen Kindersoldaten noch immer Realität sind. Die Demokratische Republik Kongo, eines der ärmsten Länder der Welt, gehört dazu.
Gabriel Vockel arbeitet für UNICEF als Kinderschutzexperte in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Im ersten Teil unseres Interviews hat er uns viel über seinen Arbeitsalltag erzählt und wie derzeit die Situation im Land ist.
Im zweiten Teil des Gesprächs gibt er uns noch tiefere Einblicke und erzählt, wie er mit alldem fertig wird, was er täglich zu sehen und zu hören bekommt.
Lieber Gabriel, von dir und deinem Arbeitsalltag wollen wir nun zu den Kindern kommen: Du arbeitest auch mit ehemaligen Kindersoldaten. Wie geht Ihr hier vor? Durchlaufen die Kinder ein spezielles Programm? Wie werden sie wieder in die Gesellschaft und ihre Familien integriert?
Diese Kinder haben oft Unvorstellbares durchgemacht und sind tief traumatisiert. Mithilfe von lokalen Partnern, die Zugang zu den Gebieten haben und die erforderlichen Sprachen sprechen, bieten wir, grob gesagt, ein zweistufiges Programm an.
Zunächst werden die Kinder nach dem Verlassen der bewaffneten Gruppe oder Miliz in ein dreimonatiges Sofort-Programm aufgenommen, wo sie intensive psychologische Betreuung erhalten.
Es gibt altersgerechte Aktivitäten, Spiele, Diskussionen – das hilft für den ersten Übergang. Im schlimmsten Fall werden die Kinder hier wieder daran gewöhnt, dass sie keine Waffe mehr in der Hand haben und kein "Kommandant" mehr sind. Dass sie einer Gemeinschaft ohne Gewalt angehören, dass es gewisse Regeln des normalen Lebens gibt.
Nach dieser ersten Phase werden die Kinder dann, unter anderem in Zusammenarbeit mit lokalen NGOs und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, wieder in ihre Familien gebracht.
Das ist oft ein schwieriges Unterfangen, da die Kinder bisweilen hunderte Kilometer durch Wälder und unwegsames Gelände verschleppt wurden.
In der Nähe ihrer Familie durchlaufen die Jungen und Mädchen dann ein sechsmonatiges Programm, in dem sie die Wahl haben, ein intensives Schulprogramm zu absolvieren oder einen Beruf zu erlernen.
So haben die Kinder eine Aufgabe, die einerseits beim Verarbeiten des Erlebten hilft und andererseits erhalten sie die Möglichkeit, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen und in der Gemeinschaft einen positiven Beitrag zu leisten.
Kinder hier im Kongo sind unglaublich kreativ, mutig und tapfer. Sie tragen keine Schuld an den Konflikten und der Gewalt – und verdienen Schutz und Unterstützung. Und sie sind der Schlüssel für eine andere Zukunft.
Was bewirken Spenden vor Ort? Wo kommen sie an und wie werden diese eingesetzt?
UNICEF arbeitet in allen Bereichen, die für Kinder wichtig sind: Gesundheit, Bildung und Schutz – und UNICEF genießt zu Recht den Ruf, dass die Gelder dort ankommen, wo sie hingehören: Nämlich in Programmen, die direkt den Mädchen und Jungen zugutekommen. Das kann ich aus meiner Erfahrung nur bestätigen.
Leider haben wir im Kongo sehr viel weniger Mittel zur Verfügung als wir benötigen. Die Krisen in Syrien, Jemen, Afghanistan, Südsudan und anderswo machen gewissermaßen "Konkurrenz".
Prinzipiell versucht UNICEF, seine globalen Gelder so zu steuern, dass die verschiedenen Krisenherde innerhalb der Organisation eine ähnliche Beachtung erhalten. Aber wir stoßen an sehr reale Grenzen.
Umso erfreulicher ist es, dass beispielsweise Stiftungen wie United Internet for UNICEF mit speziellen Kampagnen unsere Projekte im Kongo unterstützen.
Wie gehst du selbst mit alldem um? Gelingt es dir, die Geschichten auf Distanz zu halten? Wie nah lässt du alles an dich ran?
Das gelingt mir mal besser und mal weniger gut – wobei auf Dauer mental und emotional eine gute Balance wichtig ist.
Ich vergleiche das manchmal mit der Arbeit eines Arztes. Einerseits kann man die Arbeit nicht wie ein Roboter erledigen, sonst wäre man nicht mit dem Herz bei der Sache.
Andererseits kann man sich nicht neben jedes traumatisierte Kind setzen und mitweinen, da würde man nach kurzer Zeit arbeitsunfähig.
Man lernt mit der Zeit, damit umzugehen. Zudem ist es mir wichtig zu betonen, dass ich als Mitarbeiter in Kinshasa nicht täglich mit solchen Schicksalen in Berührung komme – das ist anders im Falle einiger unserer lokaler Mitarbeiter, für die ich höchsten Respekt habe.
Wie geht es für dich weiter?
Der Kongo gilt nicht umsonst als eine sehr harte "Station" und ich finde es für die mentale Gesundheit wichtig, nicht allzu lange an solchen Orten zu arbeiten. Das hinterlässt auf Dauer Spuren.
Ein Land der Komplexität des Kongos ist nur schwer in sechs Monaten zu begreifen – aber nach gut drei Jahren muss man auch wieder Abstand nehmen dürfen, um woanders neue Aufgaben zu meistern.
Daher werde ich Ende März den Kongo verlassen, um meine Arbeit mit UNICEF in Rumänien fortzusetzen. Als "Deputy Representative", also etwa Vize-Büroleiter, werde ich in Bukarest neuen und völlig anderen Herausforderungen und Chancen begegnen.
Hier geht es in einem Mitgliedsland der EU, welches in den letzten 20 Jahren einen dramatischen Wandel durchgemacht hat, etwa um die Verminderung von Ungleichheiten für Kinder, die mit Behinderungen leben, die Diskriminierung der Roma-Minorität oder darum, wie öffentliche Budgets besser für benachteiligte Kinder zugänglich gemacht werden können.
Diese Wechsel sind für mich Teil der Faszination unserer Arbeit. Es wird nie langweilig und man hört nie auf zu lernen … Und wo auch immer man auf der Welt das UNICEF-Logo sieht: Wir versuchen das Beste für Kinder zu erreichen.
Nach dem Studium arbeitete er zunächst als Menschenrechtsanalyst in den Friedensmissionen der Vereinten Nationen in Haiti (2008-09) und Burundi (2009-10). Dort untersuchte er vor allem die Lage in Gefängnissen und Polizeistationen in entlegenen Teilen der Länder.
Weiter ging es ab 2010 beim UN-Entwicklungsprogramm sowie später bei UNICEF in New York. Nach der Zeit im Headquarter verbrachte er zwei Jahre im Büro in Kirgistan (2013-14), bevor es vor knapp 3 ½ Jahren in den Kongo ging.
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