Neuer Vorwurf gegen Deutschlands größten Essens-Bringdienst Lieferando: Das Unternehmen enthält seinen Fahrern angeblich das Trinkgeld vor. Die Gewerkschaft fordert, dass Lieferando handelt. Der Liefer-Gigant weist die Vorwürfe zurück.
Wer in Deutschland Essen bestellt, kommt an Lieferando nicht vorbei. Der landesweit größte Lieferservice beschäftigt rund 4.500 Fahrerinnen und Fahrer. Sie müssen die im wahrsten Sinne des Wortes heiße Ware so schnell als möglich aus dem angeschlossenen Restaurant zum Besteller transportieren.
Trinkgeld-Überweisung erfolgt digital per App
Ist der mit dem Service zufrieden - oder mindestens höflich - gibt er Trinkgeld. In Zeiten der Corona-Pandemie hat Lieferando zu diesem Zweck extra eine digitale Trinkgeldfunktion in seine Bestell-App integriert.
Seit Ende Mai sei es den Kunden Lieferandos auf diesem Wege möglich, die Fahrerinnen und Fahrern auch per App oder Website zu belohnen. Zuvor ging das nur in bar. Die Corona-Hygieneregeln aber schreiben den Fahrerinnen und Fahrern vor, das bestellte Essen vor der Haus- bzw. Wohnungstür abzustellen. Direkter Kontakt zum Kunden ist aus Gründen der Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus untersagt.
Lieferando-Fahrer fragen sich, wo ihr Trinkgeld bleibt
In den sozialen Medien häuften sich zuletzt Vorwürfe von Fahrern, das vom Kunden bewilligte Trinkgeld komme nicht bei ihnen an, oder nur in Teilen. Lieferando zufolge liegt das durchschnittliche Trinkgeld meist bei einem Zehntel des Bestellwerts, also bei etwa zwei Euro, läge man eine durchschnittliche Bestellung zugrunde.
Zum Vergleich: Lieferando verdient an jeder Bestellung mindestens 13 Prozent des Bestellwertes als Provision und bis zu 30 Prozent, wenn Lieferando dem Vertrags-Restaurant auch noch die Arbeit der Zustellung durch eigenes Personal abnimmt.
Dieses Personal steht nicht nur unter immensem zeitlichen Druck, sondern werde über die auf dessen privaten Smartphones installierte Auslieferungs-App zudem alle 15 Sekunden getrackt, so Semih Yalcin, Vorsitzender des Betriebsrats des Lieferando-Stützpunkts in Köln.
NGG sieht Arbeitsbedingungen als "prekär" an
Die Arbeitsbedingungen bei Lieferando gelten als prekär und rufen immer wieder die zuständige Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) auf den Plan. Elmar Jost kritisiert: "Die Bezahlung der Fahrer liegt mit zehn Euro in der Stunde nur knapp über Mindestlohn, und viele arbeiten nur auf Minijob-Basis."
Den Verschleiß der privaten Fahrräder der Kuriere erstattet Lieferando erst seit April 2020. Im Mai 2020 strengte Yalcin vor dem Arbeitsgericht in Köln eine Klage an. Lieferando sollte dazu verpflichtet werden, sich wenigstens teilweise an den Telefonkosten und jenen für den Handyvertrag seiner Auslieferer zu beteiligen.
Und jetzt auch noch der Ärger um angeblich einbehaltene Trinkgelder. "Lieferando muss Druck machen und dafür sorgen, dass das Trinkgeld dahin kommt, wo es hingehört", forderte Christoph Schink, Referatsleiter für das Gastgewerbe bei der NGG, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Lieferando: Schwierigkeiten mit der Trinkgeld-Funktion
Lieferando räumte ein, "technische Schwierigkeiten" zu haben, weil die entsprechende Trinkgeld-Funktion in der Bestell-App "schnellstmöglich eingeführt worden sei." Darüber hinaus stellte Lieferando-Manager Jörg Gerbig klar: "Wir leiten die Trinkgelder zu hundert Prozent ohne jegliche Abzüge direkt an unsere Fahrer weiter." Diese würden in der entsprechenden App unmittelbar darüber informiert.
Bei Restaurants mit eigenen Fahrern werde das Geld an das Restaurant weitergeleitet, das dazu angehalten ist, es an die Fahrer weiterzugeben - oder je nach interner Regelung unter den Mitarbeitern aufzuteilen. "Wie das Trinkgeld verteilt wird, obliegt dem jeweiligen Restaurant. Wir sagen: Es muss weitergegeben werden und gehen auch davon aus, dass das passiert."
90 Prozent der Essensbestellungen würden von Fahrern der jeweiligen Restaurants an die Haustüren gebracht, über die Lieferando keine Informationen hat. "Lieferando muss klar formulieren, welche Erwartungen an Partnerunternehmen gestellt werden", forderte NGG-Referatsleiter Schink. Wenn Gaststätten das Trinkgeld nicht weitergeben, sei dies widerrechtlich.
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