Hunderttausende Tonnen deutscher Müll werden alljährlich ins Ausland verschoben – zum Teil illegal. Seit China keine Plastikabfälle mehr ins Land lässt, springen andere Länder ein. In den Empfängerländern verdienen wenige am Müllimport – doch Menschen und Umwelt leiden unter den giftigen Abfällen.
"Ballenweise deutsches Material" habe er in Malaysia vorgefunden, sagt Manfred Santen im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Chemiker hat das Land im vergangenen Jahr zweimal für die Umweltorganisation Greenpeace bereist und stieß dabei immer wieder auf Gesetzesverstöße deutscher Firmen.
Nach deutschem und europäischem Recht ist es verboten, nicht verwertbaren Müll zu exportieren. Doch genau dies geschieht nach wie vor regelmäßig. Grund sind auch die derzeit vergleichsweise niedrigen Energiepreise.
In der Zementindustrie beispielsweise werden hohe Temperaturen gebraucht – doch diese lassen sich momentan preisgünstiger mit Primärenergie aus Öl und Gas herstellen. Während Müllverwerter wie das Duale System also vor einigen Jahren ihren nicht verwertbaren Restmüll noch zu guten Konditionen an die Industrie zur Verbrennung weiterverkaufen konnten, müssen sie heute dafür bezahlen. Auch die Entsorgung von Gewerbemüll der Industrie wird immer teurer.
Verschärft hat sich das Entsorgungsproblem für die deutsche Abfallwirtschaft, weil China seit 2018 keine Abfälle aus gebrauchtem Plastik mehr annimmt. So ist es kaum überraschend, dass "schwarze Schafe" der Branche nach anderen Wegen suchen und ihren Müll ins Ausland verfrachten.
Dabei kommen sie mit der europäischen Gesetzeslage in Konflikt, die den Export von nicht verwertbaren Plastikmüll ausschließlich an zertifizierte Importbetriebe erlaubt – eine Bestimmung, die nach dem "Basler Übereinkommen" im Mai 2020 weiter verschärft wird und es dem Empfängerland dann gestatten wird, die Annahme von nicht verwertbarem Müll zu verweigern.
Die Zollbehörden sind auf beiden Seiten überfordert
Für deutsche Firmen ist es trotzdem gar nicht so kompliziert, nicht verwertbaren Abfall loszuwerden. In Malaysia etwa hat Manfred Santen in Müll, der zu Ballen von einem Kubikmeter Größe gepresst und eindeutig deutscher Herkunft war, auch sogenannte "Mischfraktionen" gefunden – unter den wiederverwertbaren Plastikabfällen steckte nicht recycelbares Material. Behörden in Malaysia oder auch Thailand bestätigen Funde dieser Art.
Der illegale Abfall komme über die größten Häfen Südasiens, sagt Manfred Santen – deren Zollbehörden seien mit der Kontrolle überfordert. Ebenso ergeht es dem Zoll hierzulande: Die deutschen Behörden können und müssen nicht jeden einzelnen Container überprüfen. Doch Santen ist sich sicher, dass mit entsprechendem politischem Willen bessere Kontrolle möglich wäre.
Auch wenn wenig kontrolliert wird – illegaler Müllexport fordert logistischen und finanziellen Aufwand: Der Abfall muss versteckt und falsch deklariert werden. Das kriminelle Vorgehen lohnt sich für deutsche Exporteure trotzdem, weil sie sich auf diese Weise Entsorgungskosten im Inland sparen.
Der finanzielle Nutzen für die Empfänger dagegen ist zweifelhaft. Die Bevölkerung von Malaysia, so Santen, profitiere am wenigsten vom Müllexport. Es seien vor allem chinesische Firmen, die dort komplette Betriebe aufbauten – sie bringen sogar die Arbeitskräfte aus China mit.
Diese sortieren brauchbaren Müll aus, der weiterverkauft wird. Santen schätzt, dass ein Profit von gerade mal 100 Euro pro Tonne anfällt – wegen der niedrigen Arbeitslöhne rentiert sich das für die chinesischen Betreiber trotzdem.
Aber auch wegen der mangelnden Umweltvorschriften in Malaysia und anderswo ist illegaler Müllexport für kriminelle Unternehmer profitabel. Denn der nicht verwertbare Restmüll wird meist nicht sicher entsorgt, sondern lagert auf wilden Deponien, vergiftet dort Böden und Luft. Oder er wird einfach offen verbrannt – mit noch gravierenderen Folgen für die Umwelt und für die Menschen.
Neuer Abnehmer: Die Türkei
Und die Exporteure finden immer neue Abnehmer. Seit China keinen Müll mehr annimmt, seit die malaysischen Behörden wegen Protesten der Bevölkerung beim Müllimport genauer hinschauen, ist die Türkei zum neuen Hauptabnehmer für deutschen Müll geworden.
Dort funktionierte bisher mehr schlecht als recht ein System privatwirtschaftlich organisierter Müllsammler und -sortierer – etwa eine halbe Million türkischer Arbeiter verdienten so ihren Lebensunterhalt. Weil immer mehr Müll aus dem Ausland kommt – schon 2018 waren es 437.000 Tonnen – bekommen sie nach Recherchen des NDR mittlerweile kaum mehr Geld für ihre Arbeit.
Ergebnis: Der inländische Müll wird nicht mehr sortiert, hinzu kommt giftiger Müll aus dem Ausland, der laut NDR "nichts mit Recycling zu tun" habe. Unsortiert komme Schlamm, Gift, medizinischer Abfall ins Land. Und lande auf Deponien oder im Meer. Die Südostküste der Türkei gilt nach Angaben des World Wildlife Fund (WWF) als meistverschmutzte des gesamten Mittelmeerraums.
Auf diese Weise badet die Türkei Versäumnisse der deutschen Abfallpolitik aus. Sehr großzügig gehe die deutsche Gesetzgebung mit Plastikmüll um, sagt Manfred Santen: "Man wundert sich, was alles erlaubt ist." Weil die Industrie für Kunststoffprodukte und vor allem für Verpackungen Plastik-Verbundmaterialien verwendet, die sich nur schwer oder gar nicht voneinander trennen lassen, ist es für sie nach wie vor billiger, neue Produkte herzustellen, anstatt altes Plastik zu recyceln.
"Das Problem ist seit den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts bekannt", sagt Greenpeace-Mann Santen – "aber es ist kaum etwas passiert". Freiwillige Lösungen hätten sich als unzureichend erwiesen – die Industrie müsse endlich gesetzlich gezwungen werden, sortenreines Plastik zu verwenden, wiederverwertbare und reparierbare Produkte müssten Steuervorteile erhalten. Vor allem aber gelte es, den Verpackungsmüll zu reduzieren.
Dieser hat entscheidenden Anteil daran, dass die deutsche Recyclingquote zu niedrig ist. Auch wenn die offiziellen Zahlen anderes sagen: In die Recyclingquote fließt alles ein, was bei den Müllverwertern angeliefert wird. So gilt automatisch auch solcher Müll als recycelt, der exportiert oder verbrannt wird. So kommt Deutschland auf eine Recyclingquote von bis zu 50 Prozent. Die Wahrheit ist: Deutschland ist gut im Mülltrennen. Doch wirklich wiederverwertet werden nur 20 Prozent unseren Wohlstandabfalls.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Manfred Santen, Chemiker bei Greenpeace Deutschland
- Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung
- Greenpeace: Data from the global plastics waste trade 2016-2018 and the offshore impact of China‘s foreign waste import ban
- Heinrich-Böll-Stiftung / BUND: Plastikatlas. Daten und Fakten über eine Welt voller Kunststoff
- Statista: Statistiken zur Entsorgungswirtschaft
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.