- Die SB-Warenhauskette Real wird aus vielen Städten verschwinden.
- Wer übernimmt eigentlich die Märkte und was bedeutet das für Kunden?
- Manche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bangen unterdessen um ihre Existenz.
Im Internet sind die Tage der Supermarktkette Real bereits gezählt. Wer heute die Website der 1992 gegründeten Warenhaus-Kette besucht, landet auf dem Online-Marktplatz des Konkurrenten Kaufland. Die Schwarz-Gruppe, zu der auch Kaufland gehört, hatte den Online-Shop von Real im April übernommen und in das eigene Sortiment integriert.
Für die Kunden ändert sich, mit Ausnahme eines neuen Designs, vorerst nichts: Selbst die Real-Gutscheine behalten ihre Gültigkeit. Vor einer ungewisseren Zukunft stehen hingegen die 276 analogen Real-Märkte und damit die rund 34.000 Beschäftigten des Konzerns. Von Tag zu Tag sinkt die Zahl der Märkte, auf denen noch das rot-blaue Logo prangt, die meisten von ihnen sind an Konkurrenten verkauft worden, manche wurden gar ganz geschlossen.
Von der einstigen Ikone des deutschen Lebensmitteleinzelhandels sind heute nur noch Fragmente übrig. Besiegelt wurde das Ende der Märkte, deren Sortimente sich von Lebensmitteln über Haushaltswaren bis zu Spielzeugen erstreckte, im September 2018. In einer Pflichtmitteilung informierte die Eignerin Metro damals die Börse über ihren Verkaufswunsch. Ein Jahr später und nach zähen Verhandlungen wurde Real an die deutsch-russische Investmentgesellschaft SCP Group verkauft.
Gemeinsam mit dem auf Lebensmittelhandelsimmobilien spezialisierten Investor X+Bricks und der Unterstützung von Kaufland übernahm das Konsortium Real als Ganzes, spaltete das Filialnetz auf und verkaufte die Märkte an Wettbewerber. Seitdem teilen die großen deutschen Einzelhandelsketten und einige Mittelständler das zerschlagene Filialnetz unter sich auf.
Neue Kundenpräferenzen: Real war zu behäbig
Hinter dem Real-Verkauf steckten strategische wie finanzielle Gründe: Erstens arbeitete Ex-Vorstandschef Olaf Koch seit seinem Antritt vor neun Jahren daran, das einstige Unternehmenskonglomerat in einen fokussierten Großhändler umzubauen - mit Angeboten für Restaurantbesitzer, Tankstellenpächter oder Clubbetreiber, nicht aber für Privatkonsumenten. Ein Unternehmen wie Real hatte in dieser Strategie schlicht keinen Platz mehr.
Zweitens war Real auch sich ändernden Kundenbedürfnissen zum Opfer gefallen, wie sie mittlerweile in vielen westlichen Ländern zu beobachten sind. Während im vergangenen Jahrzehnt vor allem große Märkte in der Peripherie mit fußballfeld-großen Verkaufsflächen und großzügigen Parkangeboten im Trend waren, sind es heute zentrale Supermärkte mit ausgewähltem Produktangebot. Internationale Wettbewerber wie Carrefour und Tesco hatten früh auf diesen Trend reagiert, Real schaute zu lange zu.
Und drittens waren viele Real-Filialen seit Jahrzehnten nicht mehr modernisiert worden – und das sah man ihnen an.
Dennoch sind die ehemaligen Real-Ladenflächen für die Konkurrenten attraktiv. Stand jetzt wollen Kaufland und die saarländische Supermarktkette Globus insgesamt 116 Filialen übernehmen, auf Edeka entfallen 51 Märkte und die Rewe-Gruppe, zu der unter anderem Penny gehört, hat Interesse an zwei Filialen angemeldet. SCP, die mit dem Lebensmitteleinzelhandel bislang keine Erfahrung haben, will zudem 50 Märkte weiterbetreiben. Was aus diesen Märkten langfristig wird, ist unklar.
Real-Verkauf: Was ändert sich für die Kunden?
Aktuell finden sich die meisten Märkte im Umbau, manche von ihnen sogar während des laufenden Betriebs. Die nächste Rolle der Wiedereröffnungen rollt gerade heran, Edeka, Kaufland und Co. wollen vor allem im kommenden Herbst viele Filialen unter neuem Namen eröffnen.
Das bringt auch Veränderungen für die Kunden mit sich: So will Globus in den übernommenen Real-Märkten den Gastronomie- und Eigenproduktionsanteil ausbauen. In den Edeka-Filialen soll es üppige Obst- und Gemüseabteilungen statt Elektronik und Kleidung geben. Und Kaufland hat bereits angekündigt, die Anordnung der Waren umzustellen. Auch das Kundenbindungsprogramm Real Pro, bei dem Mitglieder für eine Jahresgebühr von 69 Euro dauerhafte Rabatte erhielten, wird es nicht mehr geben.
In 30 Märkten und in der Düsseldorfer Konzernzentrale wird hingegen dauerhaft das Licht ausgehen.
Bundeskartellamt schaltete sich zweimal in den Verkauf ein
Dass nicht noch mehr Märkte an Wettbewerber wie Edeka gingen, ist vor allem der aktiven Rolle der Wettbewerbswächter im Verkaufsprozess zuzuschreiben. Ursprünglich hatte Edeka 72 statt 51 Märkte übernehmen wollen, was vom Kartellamt unterbunden worden war. Zu groß war die Sorge, dass Edeka im margenschwachen Einzelhandelsgeschäft seine Marktmacht ausnutzen und kleinere, regionale Mittelständler ausbooten könnte – mit negativen Folgen für Verbraucher und Lieferanten.
"Wir müssen sicherstellen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher auch in Zukunft zwischen verschiedenen Lebensmittelhändlern auswählen können", bekräftigte Kartellamts-Präsident Andreas Mundt seine Entscheidung. Auch in den Verkauf an Kaufland, mit einem Umsatz von 115 Milliarden Euro der größte Lebensmittel-Händler Europas, mischte sich Mundts Behörde ein.
Die Bonner wollten es Kaufland nicht durchgehen lassen, von den Lieferanten pauschal bis zu 0,02 Prozent des Umsatzes pro integriertem Real-Markt zu verlangen. Die Händler klagten, Real würde sie durch die Hintertür an den Übernahmekosten beteiligen. Kaufland darf die Märkte zwar immer noch übernehmen, darf aber nur dann höhere Vergütungen verlangen, wenn sich die Übernahme für die Lieferanten nachweisbar ausgezahlt hat, etwa durch höhere Umsätze oder Werbeeinnahmen.
Zukunft vieler Real-Mitarbeiter ungeklärt
Obwohl es für die meisten Real-Märkte eine Zukunft unter dem Dach von einem der großen Wettbewerber gibt, ist die mittelfristige Zukunft vieler Real-Mitarbeiter ungeklärt. Mit der Übernahme hatten sich die Wettbewerber zwar rechtlich verpflichtet, die Verträge des Real-Personals für ein Jahr zu übernehmen. Nach dieser Frist sind Neuverhandlungen oder Entlassungen aber nicht ausgeschlossen.
Druck kommt daher von der Gewerkschaft Verdi, die allen Käufern einen Forderungskatalog, bestehend aus vier Punkten, vorgelegt hat. Die Gewerkschaft fordert, dass sich die Unternehmen zu einer "nachhaltigen Sicherung der Arbeitsplätze" bekennen, den Beschäftigten Verdi-Tarifverträge für den Einzel- und Versandhandel zusichern, ihnen Sicherheit durch demokratisch gewählte Betriebsräte ermöglichen und dass kein Real-Beschäftigter an selbstständige Kaufleute ausgegliedert wird. Aus Verdi-Kreisen heißt es, dass bisher lediglich die Schwarz-Gruppe (Kaufland) allen Bedingungen zugestimmt hat.
Gewerkschaft befürchtet Tarifflucht
Dass Rewe und Edeka auf die Forderungen bislang nicht eingegangen sind, könnte daran liegen, dass Verdis Forderungskatalog das Geschäftsmodell dieser Unternehmen empfindlich berührt – und einen alten Konflikt mit der Gewerkschaft heraufbeschwört.
Anders als bei Kaufland werden die meisten der Edeka- und ein Teil der Rewe-Filialen von selbstständigen Kaufleuten betrieben, was so ähnlich funktioniert wie Franchise-Modelle, wie man sie etwa von McDonald's kennt.
Die Supermarkt-Filialen werden in diesem Fall nicht von einer Konzernzentrale betrieben, sondern von freien Kaufleuten als eigenständige Unternehmen, die große Freiheiten bei der Sortiments- und Preisgestaltung haben. Verdi wirft ihnen vor, bei der Personalführung Wildwest-Methoden anzuwenden und systematisch Tarifverträge zu unterlaufen sowie die Bildung von Betriebsräten zu unterwandern.
Bei Verdi glaubt man, dass sich insbesondere die Real-Beschäftigten, die von Edeka-Märkten übernommen wurden, noch nicht im sicheren Hafen sind: "Wir erwarten von Edeka, dass man sich nach der Real-Übernahme seiner sozialen Verantwortung bewusst und gerecht wird, und die Beschäftigten nicht in der Luft hängen lässt", sagt Orhan Akman, Bundesfachgruppenleiter Einzel- und Versandhandel bei Verdi, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Das betrifft insbesondere den Schutz von Beschäftigten durch Tarifverträge und Betriebsräte, zu dem sich Edeka nach wie vor nicht bekennen will. Andere Unternehmen haben das auch zugesichert."
Lobende Worte findet der Gewerkschafter insbesondere für Kaufland. Weil dort alle Beschäftigten zu den Konditionen der Verdi-Tarifverträge übernommen wurden, sind viele von ihnen sogar besser gestellt als bei Real.
Welches große Fragezeichen bleibt
Neben den Real-Märkten, die durch Edeka übernommen werden sollen, stellen sich die größten Fragezeichen für Verdi aber bei jenen 50 Märkten, die die Investorengruppe um SCP weiterhin unter dem Namen Real fortführen will.
Akman glaubt daran nicht wirklich, insbesondere deshalb, weil SCP bislang keine Erfahrung im Lebensmittelhandel hat: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass SCP mit diesen 50 Märkten dauerhaft Geld verdienen kann und sich auf dem Lebensmitteleinzelhandelsmarkt in Deutschland behaupten kann. Die Ungewissheit ist hier wirklich groß".
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Orhan Akman, Bundesfachgruppenleiter Einzel- und Versandhandel bei Verdi
- Supermarktblog - Danke für Nichts: Metro ist mit dem Verkauf von Real endgültig am Ziel
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