Nach Recherchen internationaler Medien unter der Leitung von CORRECTIV könnte der weltweite Steuerschaden durch Cum-Ex-Geschäfte noch höher sein als bisher bekannt und bei 150 Milliarden Euro liegen. In Deutschland sind die Geschäfte zudem entgegen aller Beteuerungen der Politik nach Einschätzung von Experten weiter möglich.

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Lange Zeit galt der Cum-Ex-Steuerraub als ein deutscher Skandal. Eine neue Recherche von 30 Journalistinnen und Journalisten aus allen fünf Kontinenten unter der Leitung des Recherchezentrums CORRECTIV zeigt jetzt, dass der Cum-Ex-Betrug global ist. Nach Berechnungen von Steuerexperten dürften es mindestens 150 Milliarden Euro sein. Fast so viel Geld wie die EU in einem Jahr ausgibt. "Der Schaden könnte sogar noch höher liegen", sagt Wirtschaftsprofessor Christoph Spengel von der Universität Mannheim, der weltweit Transaktionsdaten zusammen mit seinem Team ausgewertet hat, um die Summe zu errechnen.

Unter dem Namen "CumEx Files 2.0" haben sich unter Leitung des Recherchezentrums CORRECTIV 15 Medien aus weltweit 15 Ländern zusammengetan, um das ganze Ausmaß des Steuerraubs zu recherchieren.

Dazu gehören neben dem ARD-Magazin "Panorama" auch die BBC aus Großbritannien, Le Monde aus Frankreich und NBC aus den USA.

Die gesamte Recherche finden Sie hier.

So funktionieren Cum-Ex-Geschäfte

Bei den sogenannten Cum-Ex-Geschäften lassen sich Banken, Investoren und Anwälte Steuern auf Aktiengeschäfte mehrfach vom Staat erstatten, die sie nur einmal gezahlt haben. Es handelt sich also nicht um die Hinterziehung von fälligen Steuern, sondern um die Auszahlung von Steuergeldern. 2018 ergaben Recherchen unter der Leitung von CORRECTIV, dass der Schaden aller steuergetriebener Geschäfte in Europa bis dahin bei etwa 55 Milliarden Euro gelegen hatte.

Laut den aktuellen Recherchen gehen die Summen, die Steuerzahlern weltweit geraubt wurden, weit darüber hinaus. Die Daten der Steuerexperten zeigen aber noch etwas Beunruhigendes: In Deutschland geht der Raub offenbar weiter, und zwar durch Cum-Cum-Deals, einer speziellen Form steuergetriebener Geschäfte. Ein Gesetz von 2016 sollte genau das verhindern. Der Steuerexperte Spengel sagt nun: "Cum-Cum-Geschäfte wurden lediglich erschwert, sie sind weiterhin möglich."

Politiker beteuern seit der Gesetzesänderung, dass solche Deals nicht mehr möglich seien. Das Bundesfinanzministerium (BMF) schreibt per E-Mail an CORRECTIV und das ARD-Magazin "Panorama", dass es keine Hinweise zu konkreten Cum-Cum-Fällen nach 2016 gefunden habe. Es stehe in regelmäßigem Austausch mit den Ländern zu Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäften. Daher, schreibt das von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz geführte Ministerium, lassen sich die von Spengel berechneten Steuerschäden "auf Grundlage der Angaben der für die Steuerverwaltung zuständigen Länder nicht bestätigen."

Das sehen viele anders. "Wir haben einen Anfangsverdacht, dass es neue Modelle gibt", sagt die Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker "Panorama". Auch eine weitere Variante, sogenannte Cum-Fake-Geschäfte, bei denen Steuern erstattet werden für Geschäfte mit Aktien, die es gar nicht gibt, sind nach Einschätzung von Experten in Deutschland weiter möglich.

Sogar der Bundesrechnungshof warnte vergangenes Jahr vor den Geschäften. Die deutsche Bankenaufsicht Bafin erklärte sich für nicht zuständig und hat trotz diesbezüglicher Warnungen von US-Aufsichtsbehörden auch keine Hinweise auf solche Deals gefunden.

Insider: Cum-Ex-Deals in Deutschland weiterhin möglich

Auch ein Insider, der sich gegenüber "Panorama" und CORRECTIV ausführlich über die Deals äußert, und gegen den unter anderem in Deutschland ermittelt wird, hält die Geschäfte für weiterhin möglich.

Das Finanzministerium von Scholz ist laut der Recherchen nicht die einzige Behörde, die die steuergetriebenen Deals nicht wirksam verhindert. Über Informationsfreiheitsgesetze beantragte Akten geben einen Einblick, wie europäische Behörden hinter den Kulissen mit der Problematik der Cum-Ex-Geschäfte und anderer steuergetriebener Deals umgehen.

Das Bild ist auch drei Jahre nach den Cum-Ex-Enthüllungen verheerend. Europäische Staaten scheitern bei der Bekämpfung des systematischen Steuerbetrugs. Es fehlt den EU-Staaten am Bewusstsein, dass sie das Problem nur gemeinsam lösen können. Aufsichtsbehörden schieben ihre Verantwortung weg und behaupten, nicht zuständig zu sein. Aber selbst, wenn sie wollen: Oft hindern Gesetze die Behörden daran, wichtige Informationen miteinander zu teilen. (Correctiv)

Die gesamte Recherche unter der Leitung von CORRECTIV finden Sie unter cumex-files.com.

Den Beitrag von Panorama können Sie am Donnerstag, 21.10., 21:45 Uhr in Das Erste sehen und danach in der ARD-Mediathek.
CORRECTIV ist ein gemeinnütziges, unabhängiges und vielfach ausgezeichnetes Recherchezentrum. Die investigativen Journalisten recherchieren langfristig zu Missständen in der Gesellschaft, wie dem CumEx-Steuerraub oder illegaler Parteifinanzierung.
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