Durch die schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg ist das Asperger-Syndrom aktuell vielen Menschen ein Begriff. Die 16-Jährige bezeichnet ihren Autismus als Quelle ihres Engagements für den Klimaschutz und einen Teil ihrer Geschichte. Warum ist das so? Und woran lässt sich erkennen, dass jemand das Asperger-Syndrom hat?

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Greta Thunberg war erst acht Jahre alt, als sie das erste Mal vom Klimawandel und der Erderwärmung hörte. Seit August vergangenen Jahres protestiert die Jugendliche nun gegen den Klimawandel – und wurde dadurch zu einer Ikone der Umweltbewegung.

Die Schwedin hat das Asperger-Syndrom und sieht eine Verbindung zwischen ihrer Erkrankung und ihrem Handeln. So schrieb die 16-Jährige in einem Text, der auf "Medium" veröffentlicht wurde: "Ich habe das Asperger-Syndrom und für mich ist beinahe alles schwarz oder weiß."

Genau dieses unangepasste Schwarz-Weiß-Denken ist typisch für Asperger-Autisten. Aber auch ihre Unbeirrtheit hat etwas mit dem Asperger-Syndrom zu tun.

Asperger-Syndrom: Was sind die Merkmale?

Das Asperger-Syndrom ist eine Form von Autismus, wenn auch in abgeschwächter Form. Es zählt zu den Störungen der neurologischen Entwicklung und gilt als angeboren. An der äußerlichen Erscheinung eines Menschen ist die Erkrankung nicht erkennbar, die Merkmale sind Schwächen in sozialer Kommunikation und Interaktion sowie sozialem Verständnis.

Menschen mit Asperger-Syndrom fällt es vor allem schwer, nonverbale Signale bei anderen Personen intuitiv zu erkennen und auszuwerten oder sich selbst diesbezüglich auszudrücken.

Körpersprache und Gesichtsausdrücke sind für sie daher oft so schwer zu verstehen wie für andere Menschen eine Fremdsprache. Während Nichtautisten beispielsweise Sarkasmus erkennen, gelingt es Menschen mit Asperger-Syndrom oft nicht, die Informationen zwischen den Zeilen wahrzunehmen.

Missverständnisse in der Kommunikation

Außerdem ziehen sie bei Äußerungen häufig den sozialen Kontext nicht in Betracht. Man bezeichnet dies als "wörtliches Verständnis", das Gesagte wird also wortwörtlich genommen. Dadurch kann es in der Kommunikation zu Missverständnissen kommen.

Manche Betroffene wissen auch nicht, wie man ein Gespräch beginnt oder beendet, welche Themen angebracht sind oder wie man ein Thema wechselt.

Vielen fällt es außerdem schwer, Freundschaften zu schließen und aufzubauen. Das liegt ebenfalls daran, dass sie die ungeschriebenen sozialen Regeln nicht verstehen und gleichzeitig Menschen, die der Norm entsprechen, als unberechenbar und verwirrend empfinden.

Darüber hinaus haben Betroffene oft Probleme, sich in andere Personen hineinzuversetzen, wenn diese ihre Gedanken, Gefühle oder Handlungen durch Mimik, Gestik oder Tonfall übermitteln.

Menschen mit Asperger-Syndrom: Häufig intensive Spezialinteressen

Die eingeschränkte soziale Kompetenz von Menschen mit Asperger-Syndrom geht oft mit Spezialinteressen einher. Dabei kann das Interesse sehr speziell sein, es kann sich aber auch um ein gewöhnlicheres Thema handeln. Menschen mit Asperger-Syndrom entwickeln sich mitunter zu Experten, denen es gelingt, ihre Spezialinteressen auch beruflich zu nutzen.

Das würde auch auf Greta Thunberg passen. Christine Preißmann, Ärztin, Psychotherapeutin und selbst vom Asperger-Syndrom betroffen, erklärt: "Menschen mit Autismus haben oft sehr ausgeprägte Spezialinteressen, mit denen sie sich sehr fokussiert und deutlich intensiver beschäftigen als andere Menschen. Das kann manchmal hinderlich und lästig sein; wenn es jedoch gelingt, ein Spezialinteresse nutzbringend einzusetzen, wie das im Fall von Greta Thunberg der Fall ist, können autistische Menschen durch die starke Motivation für 'ihr' Thema oft eine ganze Menge bewirken."

Menschen mit Asperger-Syndrom haben zudem häufig sensorische Über- und Unterempfindlichkeiten. Diese Besonderheiten in der Wahrnehmungsverarbeitung kann in einem oder in allen Sinnen auftreten: Sehen, Hören, Berührung, Geschmack, Gleichgewicht und Körperwahrnehmung.

Zwar haben sie normalerweise keine Lernbehinderung, allerdings kann das Syndrom manchmal auch zusammen mit spezifischen Lernproblemen wie beispielsweise einer Lesestörung (Dyslexie), grob- und feinmotorischen Schwierigkeiten (Dyspraxie) oder Aufmerksamkeitsdefiziten (ADHS) auftreten.

Stärken im logischen Denken und in der Gedächtnisleistung

Das Asperger-Syndrom ist jedoch nicht nur mit Beeinträchtigungen, sondern oft auch mit Stärken verbunden, etwa in den Bereichen logisches Denken, Aufmerksamkeit, Gedächtnisleistung, Wahrnehmung und Selbstbeobachtung.

Die Intelligenz der Betroffenen ist in den meisten Fällen normal ausgeprägt, manchmal auch überdurchschnittlich. Gelegentlich fällt das Asperger-Syndrom auch mit einer Hoch- oder Inselbegabung zusammen.

Auch haben Menschen mit Asperger-Syndrom in der Regel keine sprachlichen Probleme. Ganz im Gegenteil: Ihr Wortschatz ist oft groß und sie können sich grammatikalisch korrekt und komplex ausdrücken.

Auch können viele besser mit Einsamkeit umgehen und sind robust gegenüber sozialer Kritik – vielleicht, weil sie diese auch gar nicht als solche wahrnehmen.

Im Laufe ihres Lebens verändern sich die Symptome, dominieren mehr oder treten in den Hintergrund. Auch lernen Betroffene häufig, ihre Eigenheiten zu verbergen, weshalb es schwerer wird, das autistische Muster von außen zu erkennen. Man spricht im Englischen vom "Camouflaging".

Diagnose des Asperger-Syndroms

In der Regel zeichnet sich die Störung schon im frühen Kindesalter ab. Erste Anzeichen etwa treten bei Kindern ab dem dritten Lebensjahr auf. Die Diagnose erfolgt mithilfe einer ausführlichen Anamnese (Erhebung der Vor- und Familiengeschichte), Fremdbeobachtungen sowie psychiatrischen und neurologischen Untersuchungen.

Für Erwachsene gibt es spezielle Fragebögen und Tests, die bei der Diagnose helfen. Der Arzt zieht außerdem die Eltern und Geschwister zu Rate und beurteilt zudem das Verhalten des Patienten.

Therapie nicht immer notwendig

Auch wenn Asperger-Autisten vielen als sonderbar erscheinen, ist nicht unbedingt eine Therapie notwendig. Denn viele sind durchaus in der Lage, sich sozial anzupassen, einen Beruf auszuüben oder eine Partnerschaft einzugehen.

Sind die Symptome hingegen stark ausgeprägt, sollte möglichst früh mit einer Therapie begonnen werden. "Für die betroffenen Menschen, aber auch Eltern, Geschwister, Mitschüler oder Kollegen, ist es wichtig, das autistische Verhaltensmuster zu erkennen, um Missverständnisse, Fehldeutungen und daraus resultierende Konflikte zu vermeiden", so Ludger Tebartz van Elst, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg.

Dort wurden spezielle ambulante und stationäre Therapieprogramme entwickelt, in denen autistische Menschen lernen, besser mit ihrem Anders-Sein umzugehen. So wird zum Beispiel geübt, Mimik und Gestik richtig zu deuten. In Rollenspielen werden außerdem Tricks zum Umgang mit schwierigen kommunikativen Situationen vermittelt.

Welchen Unterschied gibt es beim Autismus?

Autismus wird oft als "Spektrum" bezeichnet, da die Übergänge fließend sind: Manche Menschen sind stark autistisch, andere Betroffene zeigen nur milde Symptome. Während man früher einen frühkindlichen Autismus von einem atypischen Autismus und einem Asperger-Syndrom unterschied, spricht man heute nur noch von den Autismus-Spektrum-Störungen.

Es ist wichtig zu erkennen, dass der Autismus-Begriff an sich keine Krankheit, sondern nur ein lebenslang bestehendes Muster an Wahrnehmungs-, Erlebens- und Verhaltensweisen beschreibt. In der Medizin spricht man auch von einem Syndrom oder einem Phänotyp.

"Es ist eigentlich genauso wie bei der Körpergröße", erklärt Ludger Tebartz van Elst weiter. "Autismus gibt es sowohl als eine Normvariante als auch im Sinne einer Persönlichkeitsstörung oder als echte neuropsychiatrische Krankheit."

So wie eine extreme Körpergröße Ausdruck einer genetischen Krankheit oder eines Wachstumshormone produzierenden Tumors sein kann oder aber, wie bei Dirk Nowitzki, als Normvariante auftreten kann, verhält es sich auch beim Autismus.

Jungen und Männer sind häufiger betroffen

Nach Zahlen des amerikanischen Center for Disease Control (CDC) leiden etwa ein bis zwei von 100 Menschen an einer Autismus-Spektrum-Störung. Jungen und Männer scheinen drei- bis viermal häufiger betroffen zu sein als Mädchen und Frauen. Dies könnte aber auch daran liegen, dass es bei Letzteren weniger leicht erkannt wird. Denn nicht selten zählen sie, anders als Jungs und Männer, soziale Themen zu ihren Sonderinteressen.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Ludger Tebartz van Elst, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg und Autor des Buches "Autismus und ADHS. Zwischen Normvariante, Persönlichkeitsstörung und neuropsychiatrischer Krankheit"
  • Gespräch mit Christine Preißmann, Ärztin, Psychotherapeutin und Autorin des Buches "Asperger - Leben in zwei Welten"
  • Medium: "Greta Thunberg: The rebellion has begun"
  • Zdf.de: "Greta Thunberg – 'Ohne Asperger wäre das hier nicht möglich'"
  • Autismus-kultur.de: "Was ist das Asperger-Syndrom?"
  • Center for Disease Control CDC estimates 1 in 68 children has been identified with autism spectrum disorder
  • Brugha, T. S., McManus, S., Bankart, J., Scott, F., Purdon, S., Smith, J., et al. (2011). Epidemiology of autism spectrum disorders in adults in the Community in England. Archives of General Psychiatry, 68(5), 459–465.
  • Loomes, R., Hull, L., & Mandy, W. P. L. (2017). What is the male-to-female ratio in autism spectrum disorder? A systematic review and meta-analysis. Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry, 56(6), 466–474.
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