Kosmetika, Kunststoffe, Verkehr und Industrie: Erdöl ist bis heute untrennbar mit der modernen Gesellschaft verbunden. Ein Versiegen des "Schwarzen Goldes" hätte drastische Folgen für die gesamte Weltbevölkerung. Einige Fachleute vergleichen das Ende der Öl-Ära mit dem Beginn der industriellen Revolution. Hat das Ende bereits begonnen?
"Erdöl ist eine nutzlose Absonderung der Erde. Seiner Natur nach ist es eine klebrige Flüssigkeit, die stinkt und in keiner Weise verwendet werden kann." Diese Einschätzung der Russischen Akademie der Wissenschaften aus dem Jahr 1806 zeigt, wie schnell und tiefgreifend die Veränderungen waren, die mit der industriellen Nutzung des Erdöls einhergingen. Bereits ein Jahrhundert später treiben "Horrormeldungen" vom endgültigen Ende der Ölförderung bereits Sorgenfalten auf die Stirn von Politikern und Wirtschaftsbossen. Ein Umstand, der sich bis heute nicht geändert hat.
Erdöl ist die Grundlage modernen Lebens
Denn obwohl der Trend immer stärker zu den alternativen Energieträgern geht, ist das "Allround-Talent" Erdöl aus unserer Gesellschaft nicht wegzudenken. Ein Komplettausfall des Erdöls würde unsere Gesellschaft in den Grundfesten erschüttern: Lkw, Schiffe und Flugzeuge könnten keine Waren und Güter mehr transportieren. Auch Traktoren und damit die Landwirtschaft wären betroffen - genauso wie die industrielle Produktion: Vor allem Kunststoffe und Schmierstoffe sind derzeit kaum zu ersetzen. Auch Urlaubsreisen würden zum Luxus. Die Konsequenzen wären weltweit zu spüren. Von einer Wirtschaftskrise bis hin zu Hungersnöten und politischen Umstürzen: Die möglichen Szenarien sind zahlreich und für die meisten unvorstellbar. Wie groß ist die Gefahr tatsächlich?
"Dass die Vereinigten Staaten in höchstens 20 Jahren kein Öl mehr haben werden, steht fest", schrieb Anton Zischka 1939 in seinem Buch "Ölkrieg". Mit dieser Einschätzung war er damals allein: Seit der Nachkriegszeit wurden in regelmäßigen Abständen immer wieder neue Zahlen veröffentlicht, die je nach Rechenmodell des jeweiligen Experten von einem Zeitraum zwischen 20 und 50 Jahren bis zum Ende der Öl-Ära ausgingen.
Genaue Menge der Reserven unbekannt
Die gute Nachricht ist, dass ein Ende der Erdölförderung derzeit zumindest nicht unmittelbar bevorsteht: Der Energie-Konzern Aral beispielsweise geht davon aus, dass die Ölreserven für mehr als 45 Jahre gesichert sind. Der weltweite Bedarf liegt momentan bei etwa 3,8 Milliarden Tonnen jährlich. Die ohne größere technische Herausforderungen gewinnbaren Ölreserven belaufen sich den Experten des Unternehmens zufolge auf rund 226 Milliarden Tonnen. Hinzu kommen weitere 332 Milliarden Tonnen, die in Ölschiefern und bituminhaltigen Sanden lagern. Deren Abbau wäre zwar teurer, aber durchaus machbar. Konkurrent BP geht gar von 57 Jahren aus, die die konventionelle Ölförderung noch bestehen kann. Kein Grund zur Sorge also?
Das Problem an den Vorhersagen ist einerseits der Umstand, dass bislang niemand mit Sicherheit sagen kann, wie groß die Reserven tatsächlich sind - und wie sich der Anstieg der Nachfrage, etwa durch den weiteren Aufschwung in China, entwickeln wird. So gehen Umweltverbände von einer deutlich geringeren "Halbwertszeit" der Erdölversorgung aus. "Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo in der Mitte", formuliert ein Sprecher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung die Lage - allerdings ließen sinkende Investitionen in die Ölförderung vermuten, dass die Reserven in der Tat kleiner sein könnten, als bisher gedacht.
Erdölpreis steigt und steigt
Doch warum tut sich eine Gesellschaft, die Lichtjahre entfernte Galaxien erkunden kann, so schwer bei der scheinbar simplen Berechnung der Ölreserven auf dem eigene Planeten? Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Zum einen werden immer wieder neue Ölfelder erschlossen, die vorher unbekannt oder außer der Reichweite der Menschen schienen. Mittlerweile gehört Mittelamerika zum Kontinent mit den zweitgrößten Erdölreserven. Durch den technischen Fortschritt geraten zudem auch Tiefsee-Lagerstätten und Vorkommen wie Ölschiefer immer stärker in den Fokus der Konzerne.
Doch selbst wenn die großen Revolutionen durch einen Zusammenbruch des Ölmarktes vermutlich vorerst ausbleiben, könnten die Verbraucher die Konsequenzen des unstillbaren Hungers nach Erdöl dennoch recht bald zu spüren bekommen. Denn seit Jahrzehnten kennt der durchschnittliche Ölpreis nur einen Weg: nach oben. Und obwohl die Techniken der Ölförderung immer ausgefeilter sind, werden sie zugleich auch teurer - etwa, wenn es um die Erschließung von Ölschiefer oder Ölfeldern in der Tiefsee geht.
Weil das Öl aber in so vielen Bereichen wichtig ist, wird sich eine Kostensteigerung schnell multiplizieren. Was sich zunächst in höheren Benzin- und Heizkosten bemerkbar macht, schlägt sich in einem zweiten Schritt in Handel, Dienstleistungen sowie in Industrie und Landwirtschaft nieder.
Was sind Alternativen?
Experten der "Energy Watch Group", einem internationalen Netzwerk von Wissenschaftlern und Parlamentariern, sehen vor allem in der Zukunft des "Fracking" eine wichtige Stellschraube für die künftige Entwicklung. Mit der Technik werden Öl- und gashaltige Gesteinsschichten im Untergrund erschlossen. Weil zur Förderung mit einem Cocktail aus teils hochgiftigen Chemikalien gearbeitet werden muss, wird die Technik vor allem in Europa abgelehnt.
Mit dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa könnte die Methode jedoch quasi durch die Hintertür auch gegen den Willen einzelner Regierungen und deren Bürger durchgesetzt werden. Wie diese Auseinandersetzung ausgehen mag, ist noch ungewiss. Eines scheint aber sicher: Dass wir gut daran tun, möglichst schnell tragfähige Alternativen zum Erdöl zu entwickeln.
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