Das Argument, das Meereis um den Südpol breite sich aus, anstatt zu schrumpfen, ist beliebt, um den Klimawandel zu leugnen. Doch es führt in die Irre. Laut Forschenden ist die Entwicklung des Meereises kein Hinweis darauf, ob es den globalen Klimawandel gibt oder nicht.
Ein Verein namens "Europäisches Institut für Klima und Energie" (Eike) behauptet in einem Artikel, der globale Klimawandel werde durch das angebliche Wachstum des Meereises am Südpol infrage gestellt. Über den Verein und seine Verbindung zur amerikanischen Klimawandelleugner-Lobby hat CORRECTIV umfassend berichtet.
Ein Faktencheck zeigt: Der Artikel verstrickt sich in Widersprüche. In der Überschrift heißt es, das Eis "an beiden Polen" sei gewachsen. Im Text steht hingegen, dass Zuwächse am Südpol einen Eisverlust am Nordpol ausgleichen würden. Beide Behauptungen sind falsch. Die Entwicklung des Meereises am Südpol ist zudem kein sinnvoller Indikator für den globalen Klimawandel.
Meereis am Nordpol schrumpft – am Südpol gibt es keinen eindeutigen Trend
Bei Meereis handelt es sich um gefrorenes Salzwasser, also zum Beispiel Eisschollen. Bei Eisbergen oder bei sogenanntem Schelfeis handelt es sich hingegen um gefrorenes Süßwasser, das vom Land ins Meer gelangt, wie die Seite "meereisportal.de" erklärt. Meereis bilde sich vor allem im Winter und in den Polarmeeren.
Wie sich das Meereis entwickelt, lässt sich nicht pauschal sagen – am Nord- und Südpol ist die Entwicklung sehr unterschiedlich. Laut Deutschem Klima-Konsortium schrumpft "das Meereis rund um den Nordpol". Die Aussage bezieht sich sowohl auf die Fläche, die das Eis bedeckt, als auch auf seine Dicke. "Seit Beginn der Satellitenmessungen 1979" sei das Eis "um durchschnittlich mehr als zehn Prozent" in jeweils zehn Jahre zurückgegangen. Am Südpol lasse sich eine solcher Trend jedoch nicht beobachten.
Das bestätigt uns auch der Forscher Dirk Notz. Er ist Professor am Institut für Meereskunde der Universität Hamburg. Im Telefoninterview weist er uns auf die Daten der Organisation Eumetsat mit Sitz in Darmstadt hin. In einer Grafik zeigt diese die Meereisentwicklung am Süd- und Nordpol. Im Vergleich ist zu erkennen, dass sich aktuell weniger Meereis am Nordpol (Arctic Sea) bildet (schwarze Linie) als in den 80er oder 90er Jahren (violette und blaue Linien). Für den Südpol (Antarctic Sea) aber keine so eindeutige Entwicklung sichtbar ist.
Zuwächse am Südpol gleichen den Verlust von Meereis am Nordpol laut AWI nicht aus
Wir haben die Behauptungen des Vereins Eike auch durch das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) einordnen lassen. In einer ausführlichen Stellungnahme per E-Mail erklärt das Institut, dass "der Schwund des sommerlichen Meereises am Nordpol deutlich schwerwiegendere Folgen" für den Energiehaushalt der Erde hat, "als der winterliche Zuwachs am Südpol".
Zu diesem Ergebnis kam auch die Seite "klimafakten.de" in einem Faktencheck im Juni 2016. Sie bezieht sich auf einen Bericht des Weltklimarates aus dem Jahr 2013 und schreibt, "zwischen 1979 und 2012" sei das Meereis am Nordpol um etwa 3,8 Prozent pro Jahrzehnt zurückgegangen. Demgegenüber sei das Meereis am Südpol um nur "etwa 1,5 Prozent pro Jahrzehnt" gewachsen.
Im Telefoninterview sagt uns Dirk Notz von der Universität Hamburg, dass man davon ausgehen muss, dass der Nordpol bereits in zehn bis 30 Jahren zeitweise frei von Meereis sein wird.
Schmilzt das Meereis an den Polen, wird weniger Sonnenlicht reflektiert und die Ozeane erwärmen sich
Wenn das Meereis schmilzt, ist das auch deswegen problematisch, weil sich so die Ozeane weiter erwärmen. Das kommt daher, dass dann weniger Sonnenlicht reflektiert wird. Das Reflektieren nennt man Albedo-Effekt. Das Alfred-Wegener-Institut schreibt uns dazu: "Wenn ein Ozean seine Eisbedeckung verliert, nimmt er mehr Wärme auf – denn die helle Eisoberfläche reflektiert einen Großteil der Sonnenstrahlung (Albedo), während das dunkle Wasser sie stärker absorbiert."
So kommt es zu einem Effekt, der sich selbst verstärkt. Dem sogenannte Eis-Albedo-Rückkopplungseffekt: Gibt es weniger Meereis, wird mehr Sonnenstrahlung durch die Ozeane aufgenommen und es kommt zu einer noch stärkeren Eisschmelze. Laut AWI hat dieser Effekt bereits dazu geführt, "dass sich die Arktis doppelt bis dreifach so schnell erwärmt wie der Rest der Erde".
Die Erwärmung der Ozeane bringt wiederum weitere Probleme für das Eis an den Polen mit sich. Durch das wärmere Wasser schmilzt vor allem das sogenannte Schelfeis, das aus Süßwasser besteht. So kommt es zu einem Anstieg des Meeresspiegels, wie das AWI erklärt: "Geht Landeis oder Inlandeis durch Schmelzen verloren, fließt Schmelzwasser in den Ozean, das den Meeresspiegel ansteigen lässt. Meereis hingegen schwimmt, wie der Name sagt, auf dem Meer; und wenn es schmilzt, hat dies praktisch keine Auswirkungen auf den Meeresspiegel."
Auf seiner Webseite schreibt das Deutsche Klima-Konsortium außerdem, dass "Teile des antarktischen Eispanzers", also des Eises auf dem Festland am Südpol, starke Verluste zeigten. Dort gingen "seit 2006 etwa 150 Milliarden Tonnen Eismasse pro Jahr verloren". Der Weltklimarat führt diese Entwicklung auf den globalen Klimawandel zurück. Dazu, dass das Landeis in der Antarktis seit Jahren schrumpft, haben wir auch Anfang 2020 einen Faktencheck geschrieben.
Fazit: Eine Zunahme des Meereises am Südpol ist kein Beweis, dass Theorien über den Klimawandel falsch sind
Der Artikel auf der Webseite von Eike ist irreführend:
- Bei der langfristigen Entwicklung des Meereises am Südpol lässt sich laut Forschenden kein klarer Trend ausmachen – in manchen Jahren gibt es einen Rückgang, in manchen ein Wachstum.
- Die Überschrift des Artikels ist falsch – das Meereis am Nordpol wächst nicht, sondern geht seit Jahren stark zurück.
- Anders als im Artikel behauptet, werden die Verluste des Meereises am Nordpol nicht durch Zuwächse am Südpol ausgeglichen.
- Die Eismassen auf dem Festland am Südpol schrumpfen ebenfalls seit Jahren.
- Für das globale Klima ist die Entwicklung des Meereises am Nordpol relevanter als ein Zuwachs am Südpol: Weil es schmilzt, heizt die Sonne die Ozeane weiter auf.
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