Stralsund (dpa) - Strenger Verwesungsgeruch steigt aus dem Container, als Mitarbeiter des Deutschen Meeresmuseums in Stralsund am Mittwoch die Plane auf dem Transportbehälter mit den Überresten von drei Pottwalen zurückrollen. Die Zuschauer rümpfen bei dem beißenden Gestank die Nasen.
Chefpräparator Uwe Beese zeigt sich ungerührt und richtet den Blick auf die mit Fleischresten behangenen Riesenknochen. "Der Zustand der Knochen ist gut. Die Jungs haben super vorgearbeitet."
Seit dem 8. Januar strandeten nach Angaben der Schutzstation Wattenmeer insgesamt 28 junge Pottwale in der südlichen Nordsee: 16 davon in Deutschland, je 6 in den Niederlanden und in Großbritannien. Am Strand von Sylt wurde zudem ein toter Schwertwal gefunden. Er steht aber nicht im Zusammenhang mit der Strandung der Pottwale.
Drei der Skelette werden nun von den Walexperten des Meeresmuseums für Ausstellungen und die Wissenschaft vorbereitet. Abnehmer sind die Tierärztliche Hochschule Hannover und die Universität Rostock. Ein Skelett bleibt in Stralsund. "Es ist ein trauriger Anlass, dass wir die Wale bekommen", sagt der Kurator für Meeressäuger, Michael Dähne. Als Mensch berühre ihn das Schicksal, als Wissenschaftler sehe er in den Pottwalen jedoch ein interessantes Forschungsobjekt.
Die Skelette seien ein "Archiv der Natur", repräsentierten die biologische Vielfalt. An ihnen können künftig Studenten lernen. Gewebeproben werden an den Knochen nicht mehr genommen. Die Proben sind bereits in Forschungseinrichtungen und werden dort ausgewertet.
Über die Ursachen für das Massensterben der Pottwale liegen bislang nur Vermutungen vor. Die Forscher gehen davon aus, dass die Jungbullen bei ihrer jährlichen Reise in südliche Gefilde des Atlantiks bei Schottland nach Osten abgebogen und in der Nordsee gelandet sind. Dort strandeten sie in flachen Gewässern. Eine Verschiebung der Nahrungsgründe, Störungen im Erdmagnetfeld, zunehmender Lärm oder auch Infektionen, die den Orientierungssinn der Wale beeinflussen, könnten die Ursachen dafür sein, dass die Tiere den falschen Weg nach Süden wählten, sagt Dähne. Dass die Tiere verhungert seien, schließt der Experte angesichts des Nahrungszustandes aus. "In einigen Mägen fanden sich Reste von Tintenfischen, auch ist die Speckdicke in Ordnung."
Ein Kran hievt die großen Skelettstücke, darunter die mehr als vier Meter großen Schädel, aus dem Container. Zwei Mitarbeiter des Museums stehen in Watthosen und Gummijacken im Transportbehälter, mitten in Fleisch, geronnenem Blut und Knochenresten. Sie packen die "kleineren" Knochen - etwa die immer noch Pizzagroßen Wirbel - in große Kunststoffsäcke, die dann per Kran herausgehoben werden.
Bevor die jeweils 140 Einzelknochen zu einem Skelett zusammengesetzt werden können, müssen die Knochen in einem aufwendigen Verfahren entblutet und entfettet werden. "Das Fett macht rund ein Drittel des Knochengewichtes aus", erklärt Chefpräparator Beese. Vor rund 15 Jahren baute das Meeresmuseum für die Reinigung von Knochen eine so genannte Mazerationsanlage, nachdem die natürliche Verwesung im Wasser oder in einer Kiesgrube nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatte. "Das Museum hat mit der beheizbaren Containeranlage gute Erfahrungen gemacht", sagt Beese. Die Skelette von dreizehn Walen, darunter neun Pottwale, wurden bislang in der Anlage bearbeitet.
Damit das Blut in den Knochen nicht gerinnt, werden die Skelettteile zunächst über acht bis zehn Wochen in kaltem Wasser gelagert und gewaschen, wie der Chefpräparator berichtet. Nachdem das Blut ausgewaschen ist, übernehmen Fäulnisbakterien die Arbeit. Die Mikroben befreien bei 40 Grad Wassertemperatur die Knochen von kleinsten Fleischresten. Dem schließt sich die dritte Stufe, die Entfettung an. "Die Fettsäuren würden die Struktur der Knochen zerstören", sagt Beese. Der gesamte Prozess wird rund ein halbes Jahr dauern.
Die Tierärztliche Hochschule Hannover und die Universität Rostock erhalten danach die gereinigten Knochen, wo Präparatoren die Skelette wieder zusammensetzen. Wo im Meeresmuseum das Skelett ausgestellt werden soll, ist bislang noch nicht geklärt.
Massenverendungen wie diese sind selten, kommen aber immer wieder vor, sagt Dähne und erinnert an Strandungen von 21 Walen im Winter 1994/1995 und von 20 Walen im Jahr 1997 in der Nordsee. Möglicherweise könnte die Strandung auch Ausdruck einer positiven Entwicklung sein: Mit dem Ende der Bejagung gehe man davon aus, dass sich die Bestände stabilisiert haben und wieder im Steigen begriffen sind, wie Dähne erläutert. Weltweit wird der Pottwalbestand laut einer aus dem Jahr 2002 stammenden Studie des amerikanischen Walforschers Hal Whitehead auf 360 000 Tiere geschätzt - aber noch immer weit unter dem Niveau von einst 1,1 Millionen Tieren aus der Zeit vor den Massenbejagungen im 19. und 20. Jahrhundert. © dpa
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