Wir verreisen gerne und oft, aber schämen uns fremd, wenn wir im Ausland auf andere deutsche Touristen treffen. Was steckt dahinter?

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Anja Delastik dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Wir Deutschen sind schon ein ulkiges Völkchen. Bewusst wird uns das am ehesten, wenn wir einander im Ausland begegnen. Eine Bekannte, die gerade auf den Seychellen Urlaub macht, berichtete kürzlich von einer besonders kuriosen deutsch-deutschen Begegnung.

Mehr zum Thema Gesellschaft & Psychologie

Während sie mit ihrem kleinen Sohn auf dem Arm am Strand auf ihren Mann wartete, der gerade das Auto parkte, kam eine Frau zu ihr und sagte: „Hallo, ich wollte nur wissen, ob ihr hier bleibt.“ Meine Bekannte bejahte, woraufhin die Frau erwiderte: „Ok, dann gehe ich weiter, ich habe Urlaub und ich will kein Deutsch hören.“ Bäm!

Die Heimat vergessen

So direkt sind zum Glück nur wenige, insgeheim aber geht’s uns doch genauso: Im Urlaub gehen wir unseren Landsleuten lieber aus dem Weg. Gewiss, wir wollen fremde Kulturen erleben, neue Menschen kennenlernen und alles, was uns an den Stress zu Hause erinnert, für ein paar Tage vergessen.

Dafür fahren wir an Orte, die auch bei anderen Deutschen beliebt sind – Spanien, Thailand, Griechenland, Italien – und verdrehen genervt die Augen, wenn jemand mit fränkischem Akzent am Nachbartisch „due expresso“ bestellt.

Weitere News gibt's in unserem WhatsApp-Kanal. Klicken Sie auf "Abonnieren", um keine Updates zu verpassen.

Untypisch deutsch

Immerhin bemühen wir uns, es besser zu machen, besser zu sein, bestenfalls untypisch deutsch. Bloß keine Liege mit dem Handtuch reservieren, bloß keine Socken in Sandalen zeigen, bloß keine Funktionshosen und Fleecejacken tragen, sonst sieht man uns womöglich noch an, dass wir deutsche Touristen sind. Mit dunkler Sonnenbrille und etwas Glück hingegen …

Sorry to say, friends: Auch ohne olle Touri-Klischees zu bedienen, kann man unsereins leicht entlarven. Denn kaum ein anderes Völkchen verbringt seinen Urlaub wie wir: etwas unsicher, etwas verkrampft und mit Scham im Gepäck, die fremde und die eigene.

Lesen Sie auch:

Zum Fremdschämen

Um sich für Menschen schämen zu können, muss man sich mit ihnen identifizieren. Womöglich liegt da des Pudels Kern; womöglich empören wir uns nur deshalb über die uncoolen Deutschen, weil wir befürchten, selbst als uncooler Deutscher zu gelten. Oder aber, weil wir es insgeheim wissen: Wirklich cool waren wir Deutschen noch nie.

P.S.: Nachtrag meiner Bekannten, die gerade im Urlaub ist. Sie wurde zufällig Zeugin, wie die Frau, die kein Deutsch hören wollte, sich am Strand mit einer anderen Frau anfreundete. Raten Sie mal, welche Sprache die spricht?

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.