Männer und Frauen kommunizieren unterschiedlich – vor allem, wenn es um ihre eigenen Gefühle geht. Was wie ein Klischee klingt, wird seit Jahrzehnten von Studien und Therapeuten bestätigt. Doch woran liegt das? Und ist es in den neuen Generationen anders? Ein Berater für Männer gibt Antworten.

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Mädelsabend. Eine Freundin in der Runde erzählte, ein befreundetes Pärchen habe Eheprobleme. Die beiden würden sogar eine Paartherapie machen. Kürzlich sei dann ihr Mann mit besagtem Freund unterwegs gewesen. Vier Stunden Autofahrt. "Und?", fragte sie ihren Mann danach aufgeregt, "was hat er denn erzählt?" Ihr Mann war verdutzt über die Frage und erwiderte nur: "Nichts, wir haben über Musik und Politik gesprochen."

In unserer Frauenrunde stieß das auf absolutes Unverständnis. Wie kann man(n) so viel Zeit mit einem Freund verbringen und nicht nachfragen, wie es ihm geht? Besonders dann, wenn man doch weiß, dass er aktuell große Beziehungsprobleme hat. Wir waren schockiert. Wen diese Geschichte nicht schockiert, ist Männerberater Björn Süfke.

Über Gefühle sprechen: Eine Frage der Erziehung?

Seit über 25 Jahren ist der Psychologe und Buch-Autor Björn Süfke in der Männerberatung tätig. Er beschreibt meinen Fallbericht als Alltag und fügt an, dass dieses Nicht-Kommunizieren der Gefühle in einer Männerfreundschaft auch gerne mal vier Jahrzehnte und nicht nur vier Stunden andauern kann. Die Schuld dafür gibt er dem gesellschaftlichen Umfeld und den verfestigten Rollenstrukturen.

"Männer wurden auf allen Ebenen in der Gesellschaft eigentlich entmutigt, über ihre Gefühle zu sprechen, ja sie überhaupt wahrzunehmen."

Björn Süfke, Männerberater

"Nicht über seine Gefühle zu sprechen, ist aus der männlichen Sozialisation heraus schlichtweg die logische Konsequenz", erklärt Süfke im Interview mit unserer Redaktion. Die Fähigkeit, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen oder sie überhaupt wahrzunehmen, wurde bei Männern laut Süfke nie befördert. Der erwachsene Mann spräche, wenn er es denn überhaupt tue, häufig nur mit der eigenen Partnerin oder dem eigenen Partner über seine Gefühle.

"Männer wurden auf allen Ebenen in der Gesellschaft eigentlich entmutigt über ihre Gefühle zu sprechen, ja sie überhaupt wahrzunehmen. Gefühle seien schließlich hinderlich – das ist zumindest die Botschaft, die Männer vermittelt bekommen", beschreibt Süfke den Grund für das Problem.

Natürlich gilt das nicht für alle Männer gleichermaßen. Einige Männer, die eine andere, emanzipierte Sozialisation erleben durften, können sehr intensive Freundschaften führen, in denen viel über das Gefühlsleben gesprochen und einander geholfen wird. Doch wie Süfke erklärt, ist das derzeit nach wie vor die Ausnahme.

Süfke erlebt in seinen Beratungsgesprächen immer wieder, dass es für Männer teilweise überhaupt keine für sie wahrnehmbare Option ist, über ihre Gefühle zu sprechen. Ganz im Gegensatz zu Frauen: Persönlicher Austausch ist Bestandteil weiblicher Identität. Wären Frauen nicht in der Lage soziale Netze zu spinnen, wäre das ein Verstoß gegen ihre Sozialisation. Analog gehe es dem Mann.

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Emanzipation und veränderte Rollenbilder schaffen Veränderung

Doch kann es sein, dass sich die Kommunikationsweise von Männern über ihre Gefühlswelt aktuell verändert? Süfke bejaht das mit einer Einschränkung: noch lange nicht gesamtgesellschaftlich. Dass auch Männer sehr wohl Gefühle empfinden und zeigen dürfen, sei aber eine positive Entwicklung und zeuge von Aufklärung. "Wir sehen Männer, die prominent sind in den Medien, die sich gegen traditionelle Männlichkeitsrituale und -rollen positionieren. Ein gutes Beispiel dafür ist der Fußballer Fabian Reese. Dass Männer sich trauen, sich so in der Öffentlichkeit zu zeigen, hätte es vor nur zehn Jahren nicht gegeben. Ich würde sagen, das Glas ist zu einem Viertel voll."

"Wir Männer können dankbar sein, wenn wir in Gesellschaften aufgewachsen sind, wo die Frauenbewegung stark war und ist, weil das eben auch für uns diese Rollenerweiterung mit sich gebracht hat."

Björn Süfke, Männerberater

Was sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat, seien schließlich nicht die Gene von Männern und Frauen, sondern das soziale Umfeld. Männer, die bereits mit der Frauenbewegung und den damit einhergehenden Veränderungen aufgewachsen sind, hätten begonnen, Geschlechterrollen zu reflektieren. "Die Sozialisationsbedingungen haben sich allein innerhalb von zwei Generationen (der Generation der Nachkriegszeit und deren Kindern, Anm. d. Red.) bereits erheblich verändert", erklärt der Autor.

Die Quintessenz lautet also: Solange Männern nicht beigebracht wird, aus ihren traditionellen Männlichkeitsbildern auszubrechen, wird sich ihre Kommunikation in Bezug auf Gefühle wenig verändern. Der Schlüssel liegt laut Süfke in der Frauenbewegung. Daher könnten Männer, deren soziales Umfeld bereits mehr Emanzipation erlebt hat, ihre Gefühle besser zum Ausdruck bringen als andere. "Wir Männer können dankbar sein, wenn wir in Gesellschaften aufgewachsen sind, wo die Frauenbewegung stark war und ist, weil das eben auch für uns diese Rollenerweiterung mit sich gebracht hat."

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Strukturen aufbrechen – eine schwere Aufgabe

Süfke geht davon aus, dass es noch ein weiter Weg ist, bis die Mehrheit der Männer dahin kommt, ihre Gefühle zu spüren, zu identifizieren und zu kommunizieren. Es handelt sich hierbei um tief sitzende Strukturen im Inneren. Das sind Stereotype, die man(n) nicht bewusst hat oder gar so will, die man aber an die nächste Generation weitergibt. "Diese Prozesse sind schwer auszuhebeln. Da braucht es viel Aufklärungsarbeit", weiß der Psychologe.

Genderforscher Steve Stiehler sagte in einem Interview mit dem "Zeit Magazin", dass Männer indirekter kommunizieren als Frauen. Sie täten sich leichter, ihre Gefühle nebenbei zu äußern, beispielsweise bei einer gemeinsamen Aktivität wie Sport. Süfke bekräftigt diese These und erklärt sie mit der sozialisationsbedingten Förderung von Aktivität bei Männern: "Aktivität ist etwas, was mit unserem traditionellen Männlichkeitsbild übereinstimmt. Was auch aktiv gefordert, nicht nur gefördert wird. Jungs sollen immer handeln, Männer sollen handeln." Währenddessen sollen Frauen in patriarchalen Machtstrukturen eben genau das nicht tun. "Frauen werden zu Kommunikation und Einfühlung ermutigt, weil die für Fürsorgetätigkeiten nun mal unabdingbar ist, und die sollen sie ja übernehmen."

Süfke zufolge helfe es vielen Männern bereits, wenn ein Gespräch beim Spazierengehen stattfindet. So müsse man sich nicht zwangsläufig in die Augen sehen, während man über sein Inneres spricht. Ein konfrontatives Setting, bei dem sich zwei Personen gegenübersitzen, sei für Männer geradezu übergriffig, meint der Psychologe scherzhaft und fügt an: "Es ist auf jeden Fall Auswärtsspiel und die Aktivität ist ein Heimspiel und dadurch wird es manchmal leichter (…) in Kontakt mit Gefühlen und in die Kommunikation zu kommen."

"Männer haben genauso viele Gefühle wie Frauen"

Letztlich scheitere es auch meist nicht am Sprechen, sondern am Kontakt zu den eigenen Gefühlen. "Wenn ich gelernt habe, meine Gefühle immer abwehren zu müssen, dann bin ich auch irgendwann gut darin." Die Gefühle seien natürlich dennoch da. "Man kann nicht keine Gefühle haben, das gibt es nicht, das ist psychologisch unmöglich. Männer haben genauso viele Gefühle wie Frauen, aber man kann sie (…) mehr oder minder stark abspalten."

Süfke erlebe in seiner Beratung häufig, dass Männer auf die Frage, wie es ihnen gehe, mit einem schlichten "gut" oder "passt schon" antworten. Diese Männer würden nicht lügen oder absichtlich ihre wahren Gefühle verschleiern. Oft kennen sie die Antwort in diesem Moment tatsächlich nicht.

Wo Männer Frauen gefühlstechnisch überlegen sind

Auf der anderen Seite sind Männer besser darin, Ärger zum Ausdruck zu bringen als Frauen. Süfke erklärt diesen Fakt ebenfalls mit den Rollenbildern, die uns beigebracht wurden. Männer haben verinnerlicht, Stärke zeigen zu müssen, und Wut oder Ärger gehöre dabei dazu.

Ganz im Gegensatz zu Frauen, wie Süfke überspitzt beschreibt: "Frauen muss in einer männerdominierten Gesellschaftsstruktur natürlich der Ausdruck von Ärger, der ja zu Rebellion und Veränderung führen würde, verboten werden. Während er natürlich dem privilegierten Geschlecht explizit erlaubt sein muss, weil es ja zur Durchsetzung von Interessen dient."

Jegliche andere Gefühlskommunikation diene allerdings eher sozialen Beziehungen und Fürsorgetätigkeiten und sei damit Frauensache. Für Männer, die in Kriege ziehen oder Fabriken bestücken sollen, seien diese Fähigkeiten nicht nur nicht relevant, sondern gar hinderlich. "Deswegen können diese Gefühle den Männern auch wunderbar abgesprochen werden, während sie den Frauen gelassen werden müssen, damit die ihre patriarchal zugeschriebene Rolle erfüllen können."

Männer denken lösungsorientierter – auch bei emotionalen Problemen

Einer Theorie nach sprechen Männer eher dann über ihre emotionalen Probleme, wenn sie sich von ihrem Gesprächspartner oder ihrer Gesprächspartnerin eine Lösung erhoffen. Frauen hingegen möchten sich auch manchmal nur den Frust von Seele reden, verstanden und getröstet werden. Die Neurologin Louann Brizendine fand bei Untersuchungen von männlichen und weiblichen Gehirnen im Vergleich heraus, dass ein Mann, der mit einem persönlichen Problem konfrontiert wird, seine analytischen Gehirnstrukturen und nicht seine emotionalen nutzt, um eine Lösung zu finden.

Temporal-parietale Verknüpfungen (TPV) nach Louann Brizendine

  • Dieses Gehirnzentrum für "kognitives Mitgefühl" sucht nach Lösungen. Es zieht die Ressourcen des Gehirns heran, um bedrückende Probleme zu lösen und berücksichtigt dabei den Blickwinkel der anderen betroffenen Person(en). Während des zwischenmenschlichen emotionalen Austauschs ist es im männlichen Gehirn aktiver; es greift früher ins Geschehen ein und strebt nach einer schnellen Lösung.

Björn Süfke geht davon aus, dass im tiefsten Inneren beide Geschlechter erst einmal gehört und emotional aufgefangen werden wollen. Natürlich möchten sowohl Männer als auch Frauen intelligente Lösungsvorschläge für ihr Problem erhalten. Der Männerberater bestätigt jedoch, dass Männer mehr dazu neigen, direkt eine Lösung zu präsentieren. Dabei kommt er immer wieder auf die gleiche Erklärung: Aktivität wird bei Männern befördert.

"Ich sage mal flapsig: Zusammen genommen wären wir perfekt."

Björn Süfke, Männerberater

"Der Mann wurde darauf sozialisiert, Probleme zu lösen. Dazu muss ich als Psychologe aber immer sagen: Bitte keine Intervention ohne Diagnostik. Bevor ich ein Problem nicht verstanden habe, ist jede Lösung blinder Aktionismus." Laut Süfke sind Männer besser darin, sich Lösungen zu überlegen und diese dann auch umzusetzen. Frauen hingegen seien geübter darin, alle Fakten und Emotionen auf den Tisch zu packen und zu sortieren: Worum geht es eigentlich und was will ich überhaupt? Denn für diese Fähigkeit sei es nötig, Gefühle zu verstehen.

"Ich sage mal flapsig: Zusammen genommen wären wir perfekt." Ziel unserer Gesellschaft sollte es also sein, Rollenbeschränkungen zu überwinden, sodass jede und jeder auch das lernen darf, was bisher nur dem anderen Geschlecht zugestanden wurde.

Über den Gesprächspartner

  • Björn Süfke ist Psychologe und seit 1998 als Männerberater in der man-o-mann Männerberatung Bielefeld tätig. Darüber hinaus hält er Vorträge zu Männerthemen und bietet Fortbildungen im Gesundheits- und Beratungsbereich an Hochschulen und Ausbildungsinstituten an. Zudem ist er Autor zahlreicher Bücher.

Verwendete Quellen

Therapeutin: Hinter Wut steckt oft etwas anderes

Wut gehört zu unserer menschlichen Grundausstattung und hat einen Sinn. In unserem Podcast "15 Minuten fürs Glück" spricht Therapeutin Anette Frankenberger über eines unserer heftigsten Gefühle. (Bild: Getty Images/Svitlana Barsukova)
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