(ah) - Sie sitzen in der U-Bahn, Ihr Gegenüber gähnt. Müssen Sie daraufhin ebenfalls herzhaft gähnen? Dann gehören Sie zu der Gruppe Menschen, auf die Gähnen ansteckend wirkt – zu ihr zählt etwa jeder Zweite. In unserer neuen Serie "Nachgefragt" gehen wir den Dingen auf den Grund. Heute erklären wir, warum Gähnen ansteckt.
Dazu gibt es zahlreiche Theorien. Die bekannteste: Lange dachte man, der Gähnreflex sei auf Sauerstoffmangel im Blut zurückzuführen. Beim Gähnen atmet man tief ein und nimmt eine Extraportion Sauerstoff auf, so die landläufige Meinung. Diese Theorie ist aber mittlerweile widerlegt. Denn auch bei hoher Konzentration von Kohlendioxid oder bei erhöhtem Sauerstoffgehalt in der Luft ändert sich nichts am "Gähnverhalten".
Eine andere Theorie besagt, dass Gähnen den Wärmeaustausch im Gehirn unterstützt. Andrew und Gordon Gallup von der State University of New York in Albany glauben, dass wir immer dann gähnen, wenn es unserem Gehirn zu warm wird. Dadurch würde dorthin kühles Blut gepumpt, was wiederum die Denkleistung unterstützt, so die Wissenschaftler.
Manche meinen im gemeinschaftlichen Gähnen ein Relikt aus der Steinzeit zu erkennen. Denn damals mussten die Mitglieder eines Clans ihre Schlaf- und Wachzeiten gut synchronisieren. Zu viele Gefahren lauerten in der Wildnis, als dass es sich ein Einzelner hätte erlauben können, einfach mal alleine ein Nickerchen in der Prärie zu halten. Nach dieser Hypothese erleichterte die ansteckende Wirkung des Gähnens es unseren Urahnen, gleichzeitig müde zu werden und sich schlafen zu legen.
Die favorisierte Erklärung ist heute, dass vor allem Menschen vom Gähnen angesteckt werden, die besonders mitfühlend sind und Emotionen von Mitmenschen gut interpretieren können. Die Ergebnisse mehrerer Studien stützen diese These. Zum Beispiel zeigte ein Forscherteam um Steven Platek von der Drexel University in Philadelphia Versuchspersonen Videos mit gähnenden Menschen. Diejenigen, die daraufhin gähnen mussten, schafften es auch in anderen Situationen besser, sich in ihr Gegenüber hinein zu versetzen. Diese Fähigkeit müssen Heranwachsende erst lernen. So verwundert es nicht, dass sich Kinder bis zu einem Alter von vier Jahren vom Gähnen nicht anstecken lassen, wie Forscher der Universität Connecticut erst kürzlich vermeldeten.
Hauptakteure der "Gähninfektion" sind wohl besondere Nervenzellen im Gehirn, die so genannten Spiegelneuronen. Ihr Name kommt nicht von ungefähr. Denn sie sind dafür verantwortlich, dass unser Gehirn laufend spiegelt, was um uns herum passiert. Sie sind nicht nur aktiv, wenn wir etwas tun, sondern auch dann, wenn wir eine Handlung nur verfolgen. Auf gewisse Weise spielen sie das Gesehene also im Gehirn nach. So lacht es mit, wenn jemand anderes lacht. Genauso gähnt es mit, wenn jemand gähnt. Das wiederum ist vermutlich der Auslöser dafür, das Gleiche auch "in echt" zu tun: Also tatsächlich zu gähnen.
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