Nicht nur im oberbayerischen Manching hat das Hochwasser das Leben vieler Menschen innerhalb kürzester Zeit komplett verändert. Wie Betroffene, Freunde und völlig Fremde jetzt zusammenhalten und warum Empathie manchmal heißt, sich die Hände schmutzig zu machen.

Eine Reportage
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Eindrücke und Einschätzungen von Tanja Ransom. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es sind oft die schrecklichen Momente im Leben, die Menschen ganz nah zusammenrücken lassen. Im oberbayerischen Markt Manching kommt dieser Moment mit den Wassermassen: gleich mehrere Dammbrüche, überflutete Ortsteile und Straßen, Keller und Wohnhäuser, die unter Wasser stehen.

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Menschen müssen aus ihren Häusern fliehen oder gerettet werden. Andere bangen und beten, dass ihr Haus und alles, was sie sich aufgebaut haben, verschont bleiben. Es sind ungewisse Stunden, viele hier verfolgen seit Tagen jede Nachricht, jeden Post in den sozialen Medien und jede Warnung, in der Angst, dass es auch sie oder ihre Familie und Freunde treffen wird. Doch anstatt sich den Gefühlen von Angst und Ohnmacht auszuliefern, entscheiden sich Tausende Menschen in der Region dafür, etwas zu tun.

"Ich bin froh, etwas machen zu können, und nicht nur hilflos auf den Nachrichtenticker zu schauen", sagt etwa Maria. Die 30-Jährige ist eine der zahlreichen freiwilligen Helferinnen und Helfer, die sich auf einen Aufruf hin auf dem Gelände der Freiwilligen Feuerwehr in Manching eingefunden haben, um zu helfen.

Helfen, das heißt, Sandsäcke befüllen, schaufeln, umfüllen, schnüren, auf Paletten stapeln oder in Kofferräume legen. Und dann wieder von vorn.

Immer wieder fahren Menschen aus der Gegend in ihren Autos auf das Gelände. Andere eilen dazu, helfen, indem sie ihren Kofferraum mit Sandsäcken beladen. Mit Paletten bepackte Gabelstapler und Traktoren sind unterwegs, in Lkws wird neuer Sand oder Verpflegung angeliefert. Bis hier, an den Ortseingang von Manching hat sich das Wasser nicht ausgebreitet. In diesem Teil des Ortes sind es die Helfer in Warnwesten, die den Verkehr koordinieren, Straßensperrungen und Einsatzfahrzeuge, die auf die Ausnahmesituation und die Flutmassen nur wenige Hunderte Meter entfernt hindeuten.

Es sind gewiss mehrere Hundert Menschen, die an diesem Nachmittag mit anpacken. Jeder hier hat eine Aufgabe, viele arbeiten konzentriert und schweigend, vielleicht neben ihren Nachbarn, neben Freunden oder neben Menschen, die sie noch nie gesehen haben.

Schaufeln, knien, schnüren, schleppen, stemmen. Die Arbeit ist anstrengend. Aber es beklagt sich keiner. Nur hin und wieder sieht man Leute, die an der Seite stehen, eine rauchen oder kurz ein Foto machen. Dann geht es weiter.

Maria schaufelt – gemeinsam mit anderen Männern und Frauen – den Sand, den Kiesunternehmen aus der Region angeliefert haben, befüllt und verpackt Jutesäcke, schichtet sie auf Paletten und beginnt wieder von vorne.

Irgendwann setzt sie sich – rosafarbener Kapuzenpulli, locker zum Dutt hochgesteckte Haare und entschlossene braune Augen – direkt auf einen der Sandberge und befüllt ihn mit ihren Händen. Sie und ihre Freundin Sarah sind bereits seit fünf Stunden da, erzählen sie später während einer kurzen Verschnaufpause. Sie haben sich extra freigenommen, um an diesem Tag helfen zu können, sagt die 34 Jahre alte Sarah. Beide Frauen sind aus dem etwa sechs Kilometer entfernten Ingolstadt gekommen. Sie selbst sind – zumindest zu diesem Zeitpunkt – nicht vom Hochwasser betroffen.

"Unsere Verwandten leben im Krisengebiet. Sie sind vom Strom abgeschnitten, ohne gereinigtes Wasser. Sie haben gerade gar nichts. Da will man irgendwie helfen."

Carina Mayr von der Freiwilligen Feuerwehr Manching

"Ich finde den Zusammenhalt hier gigantisch", sagt Carina Mayr von der Freiwilligen Feuerwehr Manching. "Es sind lauter sozial eingestellte Menschen, Jung und Alt, die zusammenhelfen und unterstützen, auch im Regen, auch wenn alle nass werden. Sie selbst sei nicht stark vom Hochwasser betroffen, sagt die Manchingerin. "Wir haben nur etwas Wasser im Keller. Aber unsere Verwandten leben im Krisengebiet. Sie sind vom Strom abgeschnitten, ohne gereinigtes Wasser. Sie haben gerade gar nichts. Da will man irgendwie helfen. Und dann macht man es eben so."

Seit drei Tagen koordiniert Mayr die Abläufe und Fahrten auf dem Gelände, gibt Lkw- und Traktorfahrern Anweisungen. Viele Unternehmen aus der Region unterstützen die Helferinnen und Helfer, sagt Mayr, liefern Sand oder Paletten, stellen Verpflegung zur Verfügung. "Es sind auch viele Landwirte aus der Umgebung mit ihren Traktoren hier, die ebenfalls mithelfen, das ist eine große Hilfe", sagt Mayr.

Vorbereiten für den Ernstfall: In Manching fürchtet man einen weiteren Dammbruch. © Tanja Ransom

Ein Fahrer steht in einer Arbeitslatzhose neben seinem Traktor, in der Hand eine Leberkäsesemmel. Keine zwei Bissen schafft er, keine zwei Sätze sagt er, bis ein anderer ruft: "Zum Ratschen ist keine Zeit." Der Mann nickt entschuldigend, springt in die Fahrerkabine zurück und manövriert seinen Traktor und den mit Sandsäcken beladenen Anhänger vom Gelände. Er fährt dorthin, wo die Sandsäcke gebraucht werden, um den Wassermassen, so gut es eben geht, Einhalt zu gebieten.

Helfen im Hochwassergebiet – aber wie?

  • Viele Feuerwehren und Gemeinden informieren über Facebook, Instagram oder X, wie man am besten unterstützen kann.
  • Es kann auch sinnvoll sein, vorab zu klären, ob noch Helfer benötigt werden – oder ob man Gefahr läuft, Verkehrswege für Einsatzkräfte zu blockieren.
  • Wer die Betroffenen mit Spenden unterstützen möchte, kann das zum Beispiel über das Bayerische Rote Kreuz tun.
  • Oft hilft es schon, wenn Menschen nicht ohne Grund in Krisengebiete fahren oder sich für Videoaufnahmen selbst in Gefahr bringen.
  • Weitere Informationen für alle, die helfen möchten, gibt es auch beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.

Sicher sind sich die Menschen an diesem Nachmittag in Manching aber darin, dass es gut und wichtig ist, etwas zu tun und mit anzupacken. Auch in den Abendstunden und in der Nacht befüllen hier wieder Menschen Jutesäcke mit Sand. Am nächsten Tag heißt es seitens Manching, dass vorerst genügend Sandsäcke befüllt seien.

Ganz unterschiedliche Menschen jeden Alters sind auf einen Aufruf der Feuerwehr zum Helfen gekommen. © Tanja Ransom

Auch an anderen Stellen zögern die Menschen im Umkreis nicht, ihre Hilfe anzubieten. Etwa das Ehepaar Petra und Willi Oppenheimer aus dem einige Kilometer entfernten Weichering. Die beiden haben über 30 Jahre in Zimmern über ihrem Wohnhaus eine Frühstückspension betrieben.

Eigentlich stehen die Zimmer mittlerweile leer. "Aber wir hätten nie dabei zusehen können, wie es den Leuten hier geht und unsere Hilfe nicht anbieten", sagt Petra Oppenheimer. Am Wochenende ist eine junge Familie aus dem stark vom Hochwasser betroffenen Baar-Ebenhausen in eines ihrer Zimmer gezogen, junge Eltern mit zwei kleinen Kindern. "Ich habe zu ihnen gesagt, dass sie so lange bleiben können, wie sie möchten." Petra Oppenheimer hat für die Familie Spaghetti Bolognese gekocht, gerade organisiert sie Schühchen für den Eineinhalbjährigen, da er gerade vor allem Gummistiefel trägt.

Ein weiteres Zimmer der Oppenheimers nutzen außerdem vier Arbeiter eines regionalen Brathendl-Herstellers zum Duschen. In ihrer Unterkunft in Baar-Ebenhausen haben sie derzeit weder Strom noch fließend Wasser.

Die Oppenheimers hatten sich wie andere Familien bei Christine Hammer vom Landgasthof Vogelsang gemeldet. Dort waren von Sonntag bis Dienstag insgesamt 40 Menschen untergekommen, die wegen des Hochwassers ihre Häuser verlassen mussten. "Viele sind jetzt wieder in ihr Haus zurück", sagt Hammer.

Viele Menschen wissen aktuell nicht, was sie in ihrem Haus erwartet. Wie groß der Schaden und die Auswirkungen der Flut tatsächlich für sie sind. Aber wenn sie irgendwann an diese schrecklichen Momente zurückdenken, dann werden sie sich wohl auch an die Helfer, an das Mitgefühl, die Hilfe und den Zusammenhalt erinnern.

Verwendete Quellen

  • Telefonisches Interview mit Petra Oppenheimer
  • Telefonisches Interview mit Christine Hammer
  • Eigene Recherche vor Ort

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