Durchhaltevermögen, Empathie, Verantwortungsbewusstsein, Selbstvertrauen und Selbstkontrolle – das lernen die Teilnehmenden des Programms von "Detroit Horse Power". Der Verein in Detroit im US-Bundesstaat Michigan bringt Kinder aus sozial und finanziell benachteiligten Familien aufs Pferd. Für manche von ihnen ist das Programm der entscheidende Schritt in eine bessere Zukunft, für alle ist es eine echte Bereicherung. pferde.de war zu Besuch…

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Der Mann, der die Idee hatte, Kindern aus Detroit mithilfe von Pferden zu einer besseren Zukunft zu verhelfen, heißt David Silver. 2014 gründete er den Verein "Detroit Horse Power", im Sommer 2015 fand das erste Pferde-Sommercamp für Jugendliche statt. Dank der vielen Unterstützer und Helfer, die David für seine Sache gewinnen konnte, haben seitdem mehr als 500 Jugendliche an dem Programm teilgenommen.

An diesem Tag ist eine Gruppe von neun Jugendlichen in einem Stall in Grosse Pointe Park vor den Toren Detroits zu Gast. Noch hat der Verein keine eigene Reitanlage oder Pferde und ist auf die Unterstützung anderer Reitbetriebe angewiesen. Sie stellen nicht nur den Platz, sondern auch Pferde und Reitlehrer zur Verfügung. Im Aufenthaltsraum über dem Stall gibt es erstmal Pizza für alle. Die Jugendlichen greifen beherzt zu. Eine Vorstellungsrunde folgt, dann geht es in den Stall.

Reiten ist das absolute Highlight

Die Jugendlichen sind aufgeregt, reiten steht nicht jede Woche auf ihrem Stundenplan, aber es ist für alle das absolute Highlight. Im Stall hören sie gespannt den Erklärungen zu. Sie werden in Gruppen eingeteilt: drei reiten, drei longieren, drei lernen zunächst Theorie. Die Einteilung machen David Silver und seine Kollegen. In den letzten zehn Jahren ist ein Team an Mitarbeitenden entstanden, hinzukommen viele ehrenamtliche Helfer und Engagierte.

Reiten ist für viele Kinder ein Highlight.
Reiten ist für viele Kinder ein Highlight. © Foto: pixabay.com/siebeckdotcom (Symbolfoto)

David Silver ist in einer Vorstadt von New York aufgewachsen. Seine Mutter war Pferdeliebhaberin, so hatte er immer Zugang zu den Tieren. Mit zehn Jahren begann er Unterricht zu nehmen. Mit 14 Jahren wechselte er von Hunter-Jumper-Prüfungen zum Vielseitigkeitsreiten. "Das war für mich genau das richtige", sagt er. Silver liebte das Adrenalin beim Geländeritt, im Springparcours fühlte er sich wie zu Hause, nur die Dressur war immer eine Herausforderung.

Pferde in Detroit? Gibt es nicht…

Als die Turniere zu sehr mit seinem Studium kollidierten, hörte er auf. Stattdessen wurde nun das Unterrichten seine große Leidenschaft. Nach seinem Abschluss 2012 schloss er sich "Teach for America" an, einem gemeinnützigen Verein, der sich für die Schulbildung benachteiligter Kinder einsetzt. "Ich wurde nach Detroit geschickt und wurde hier Lehrer an einer Grundschule", erzählt er.

In vielen Studien las er über den großen Einfluss von Selbstvertrauen, Selbstkontrolle oder Durchhaltevermögen auf das Lernen. "Mir wurde klar, dass ich das alles früh durch den Umgang mit Pferden gelernt habe. Gleichzeitig wusste ich, dass Kinder in Detroit niemals diese tiefen und lebensverändernden Erfahrungen machen würden." Pferde sind von der Lebensrealität der Kinder und Jugendlichen, die in Detroit aufwachsen, so weit weg, wie man es sich nur vorstellen kann. Genau das wollte David Silver ändern. Er hörte auf zu unterrichten und gründete "Detroit Horse Power". "Ich wollte mehr Möglichkeiten für die Kinder schaffen, die ich bis dahin unterrichtet hatte", so Silver.

Sommercamps und Jahresprogramm für die Kids

Neben den kostenlosen Sommer-Camps für Jugendliche gibt es ein ganzjähriges Programm nach Schulschluss. 43 Teilnehmende waren es im letzten Schuljahr. Die neunköpfige Gruppe, die sich gerade aufteilt, ist Teil davon. Die drei Mädchen, die als erstes reiten dürfen, strahlen über das ganze Gesicht. Helme auf, dann geht’s rauf aufs Pferd. Im Schritt reiten sie durch die Halle.

Waren sie kurz vorher noch aufgekratzt und haben die ganze Zeit geredet, wirken sie jetzt konzentriert. Die Reitlehrerin gibt Anweisungen, korrigiert den Sitz der Mädchen. Erklärt ihnen, wie die Stunde ablaufen soll. Auf dem Viereck nebenan stehen drei weitere Teilnehmerinnen um ein kleines Pony an einer Longe herum, sie lernen gerade die Grundlagen des Longierens.

Das Pferde-Sommercamp ist kostenlos.
Das Pferde-Sommercamp ist kostenlos. © Foto: pixabay.com/TheOtherKev (Symbolfoto)

Ohne Netzwerk geht es nicht

David Silver und seine Kolleginnen beobachtet alles vom Rand. Geben Hilfestellung, führen Gespräche. Schulen und andere ehrenamtliche Organisationen unterstützen dabei, Jugendliche zu finden, die am meisten von der Begegnung mit Pferden profitieren würden. Die Schüler werden abgeholt und zu den Ställen gefahren. Ohne ein großes Netzwerk an Unterstützern würde nichts funktionieren. Die Sommercamps dauern jeweils eine Woche, im Laufe eines Sommers nehmen etwa 100 Kinder und Jugendliche zwischen elf und 18 Jahren teil. Sie können sich dann für das Ganzjahres-Programm bewerben.

Es gibt viele Teilnehmende und ihre Entwicklung, auf die David stolz ist. Besonders in Erinnerung ist ihm Le’Airra. "Sie war an der Schule, an der ich unterrichtet habe, und ich kenne sie seit der ersten Klasse." Sie nahm 2016 am Sommercamp teil. Heute ist sie ist eine talentierte Reiterin und ihr Wissen über Pferde wächst beständig. Le’Airra ist mittlerweile selbst Teammitglied bei den Sommercamps – jedenfalls bis sie zu ihrem Studienbeginn im Herbst.

Manche Kinder landen doch in Gangs in Detroit

Aber nicht jede Story wird ein Erfolg, auch das weiß Silver. "Ich erinnere mich an Schüler, die nicht dabeigeblieben sind, die durch sowas wie Gangs und Drogen vom Weg abgekommen sind. Es gibt leider viele negative Einflüsse, die junge Leute in Detroit von einer erfolgreichen Zukunft abbringen können."

Vielen Kindern, die in sozial- und einkommensschwachen Familien aufwachsen, fehlt das nötige Selbstbewusstsein, das Vertrauen in sich selbst und ihre Fähigkeiten, erklärt David. "Es gibt niemanden, der ihnen dabei helfen kann, diese Ressourcen zu entwickeln." Der Umgang mit Pferden macht genau das.

Die Pferde schenken Selbstvertrauen

Die Jugendlichen lernen, nicht aufzugeben, wenn es schwierig wird, auf Gedanken und Gefühle anderer Rücksicht zu nehmen. Sie lernen Dinge zu wagen, aber dabei die Konsequenzen zu bedenken. Sie lernen, an sich zu glauben und nachzudenken, bevor sie handeln. "All das dank der Pferde, und wir helfen ihnen außerdem, diese Fähigkeiten auch auf ihr restliches Leben anzuwenden."

Kinder lernen spielerisch reiten.
Kinder lernen spielerisch reiten. © Foto: pixabay.com (Symbolfoto)

Mit Pferden läuft es oft nicht wie geplant, diese Erfahrung machen auch die Schülerinnen in Grosse Pointe Park. Eines der Pferde will einfach nicht so wie die Reiterin. Aber mit etwas Geduld und der Unterstützung der Reitlehrerin klappt es schließlich doch. Nicht aufgeben, sondern ruhig bleiben und Lösungen finden – man kann förmlich sehen, wie es in den Köpfen und Herzen der Mädchen arbeitet. Als es Zeit für den Gruppenwechsel ist, werden die Pferde noch einmal ordentlich geknuddelt und gestreichelt, auch das kommt bei dem Programm nicht zu kurz.

Das Ziel: Ein sicheren Hafen für Kids

David Silver selbst reitet nur noch gelegentlich. Er ist dankbar für die Möglichkeiten, die er hatte und wie sie ihn geprägt haben. "Aber im Moment stecke ich all meine Energie lieber in ‚Detroit Horse Power‘ und die Ausweitung des Programms. Das ist für mich erfüllender als jeder Wettkampf." Mit dem Reiten könne er ja jederzeit wieder anfangen, aber der Einfluss von "Detroit Horse Power" sei bislang begrenzt.

Es müssen weite Wege zurückgelegt werden, die Plätze sind stark limitiert. "Wenn wir erstmal unsere eigene Anlage und unsere eigenen Pferde in Detroit haben, wird das alles verändern." Seit er "Detroit Horse Power" gestartet hat, träumt er von einem sicheren Hafen für die Jugendlichen. Ein Ort, an dem eine sorgende Gemeinschaft, "ihnen dabei hilft, wichtige Fähigkeiten zu entwickeln und auf dem richtigen Weg zu bleiben". Und dieser Ort ist nun zum Greifen nah.

Bald hat der Verein seinen eigenen Stall in Detroit

Der Verein hat kürzlich den Kauf eines ehemaligen Schulgeländes in der Stadt abgeschlossen, auf diesem Areal soll die Reitanlage von "Detroit Horse Power" entstehen. Schon seit zehn Jahren arbeiten David Silver und seine Mitstreiter daran, die Weichen für das Projekt zu stellen und mit den richtigen Leuten in Kontakt zu treten. Stadt, Entwicklerinnen, Experten, Anwohnerinnen – viele Menschen sind involviert. Jetzt sind die Pläne so gut wie fertig. Im Oktober soll Baubeginn sein.

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Wenn alles klappt, dann soll die Reitanlage Ende 2025 fertig sein. "Dann haben wir die größte Reitanlage innerhalb einer Stadt in den USA", betont David. Die Zahl der Teilnehmer kann sich dann drastisch erhöhen, "und noch vielmehr Jugendliche können erleben, welchen großen Einfluss Pferde auf ihr Leben haben können".  © Pferde.de