Jahrelang hatte es geheißen, Deutschland habe seine finanziellen Schulden aus den beiden Weltkriegen beglichen. Doch nun taucht plötzlich ein Dokument auf, das belegt: Die Bundesrepublik schuldet Griechenland noch elf Milliarden Euro. Was steckt dahinter?

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Woher kommen die Schulden an Griechenland so plötzlich?

Wie die Zeitung "To Vima" berichtet, bekam der griechische Finanzminister Gikas Hardouvelis am vergangenen Donnerstag einen vertraulichen Regierungsbericht. Und in diesem 160 Seiten umfassenden Bericht steht, dass Deutschland dem Euro-Krisenland noch elf Milliarden Euro schuldet – und zwar aus den Zeiten des Zweiten Weltkrieges. Das griechische Linksbündnis Syriza will dieses Geld nun eintreiben.

Woher stammen die Schulden genau?

Laut des Presseartikels stammen die Schulden aus einem Zwangskredit der griechischen Notenbank, die Deutschland während des Zweiten Weltkriegs ein Darlehen über ursprünglich 476 Millionen Reichsmark gewährte. Die Zeitung schreibt, dass der Bericht auf "sehr vorsichtigen" Schätzungen beruhe, die "unmöglich bestritten" werden könnten.

Warum kommt das Dokument ausgerechnet jetzt an die Öffentlichkeit?

Zumindest für einige griechische Interessensvertreter ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung glücklich gewählt. Am 25. Januar stehen im krisengeschüttelten Griechenland Neuwahlen an. Favorit ist die linkspopulistische Partei Syriza, deren Chef Alexis Tsipras als Gegner der Sparauflagen der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission gilt. Er hat sich zum Ziel gesetzt, sein Land vom "deutschen Spardiktat" zu befreien und mit einem Schuldenerlass die "Fesseln zu sprengen", die Bundeskanzlerin Angela Merkel Athen auferlegt hat. Dass Deutschland als größter Gläubiger bei der Griechenland-Rettung 60 bis 70 Milliarden Euro investiert hat, hält er aufgrund des ausstehenden Zwangskredites für gerecht.

Was Tsipras nicht öffentlich kundtut: Das Geld käme ihm sehr gelegen, schließlich hat er seinen Landsleuten im Falle eines Wahlsieges ein umfangreiches Sozialprogramm versprochen, dessen Kosten sich Schätzungen zufolge auf etwa elf Milliarden Euro belaufen.

Wie reagiert die Bundesregierung auf die Forderungen?

Das deutsche Finanzministerium sieht keinen nachvollziehbaren Grund für die Milliarden-Forderungen Griechenlands, wie ein Sprecher mitteilte. Auch sei ein entsprechender Bericht Athens nicht bekannt: "Es liegt uns keine Forderung der griechischen Regierung diesbezüglich vor", hieß es.

Kann es sein, dass noch weitere Länder die Begleichung von Kriegsschulden fordern?

Davon ist nicht auszugehen. Die Außenstände für den Zweiten Weltkrieg wurden bereits 1988 beglichen, die Nachkriegsschulden des Ersten Weltkrieges im Jahr 2010.

Sind die griechischen Forderungen nicht sowieso längst verjährt?

Laut Finanzministerium müssen entsprechende Zwangsanleihen aus der Zeit tatsächlich nicht zurückgezahlt werden. "Das ist eine fundierte Einschätzung des Bundesfinanzministeriums, die selbstverständlich auch den rechtlichen Aspekt mit einschließt", sagte Sprecher Martin Jäger. Das Bundesfinanzministerium wies darauf hin, dass Deutschland zur Wiedergutmachung für NS-Unrecht Ende der 1950er-Jahre Globalentschädigungsabkommen mit zwölf westlichen Ländern vereinbart habe, mit Griechenland einen Vertrag 1960. Darin sei festgehalten, dass die Wiedergutmachung abschließend geregelt sei. Im Zwei-plus-Vier-Vertrag zur deutschen Wiedervereinigung 1990 wiederum sei von Reparationen keine Rede gewesen. Dieser Vertrag sei im Rahmen der Charta von Paris als rechtlich bindend anerkannt worden. Auch Griechenland habe sich dies zu eigen gemacht: "Deshalb sehen wir für eine solche Forderung keine Grundlage", so Jäger.

Wie geht es jetzt weiter?

So schnell geben die Griechen trotzdem nicht auf. Als nächstes soll jetzt der griechische Außenminister Evangelos Venizelos das Dokument erhalten und in einem weiteren Schritt eine Expertenkommission im Auftrag des griechischen Finanzministeriums klären, wie viel Geld die Bundesrepublik Griechenland schulde.

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