Seit knapp einem Jahr gibt es eine wahre Unfallserie mit dem Ferrari F40. Alex Bloch geht den Ursachen auf den Grund – und nennt Todsünden beim Fahren eines Supersportwagens.

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Es begann im Frühjahr 2024: Eines schönen Sonntagmorgens hatte ein 24-jähriger Fahrer einen Ferrari F40 im Engelbergtunnel auf der Autobahn A81 von Heilbronn in Richtung Stuttgart geschrottet (siehe Video weiter unten). Und ging weiter Mitte Januar 2025, als in England ein Servicetechniker auf einer Probefahrt einen Ferrari F40 gecrasht hatte. Nur wenige Tage später erwischte es auch den F40 von Lando Norris. Der Formel-1-Vizeweltmeister saß allerdings nicht selbst am Steuer, als sein Maranello-Sportwagen in der Nähe von Monte-Carlo rückwärts in eine Leitplanke einschlug.

Drei F40-Crashes in etwa neun Monaten: Man kann es inzwischen eine Unfallserie nennen (siehe Fotoshow). Da stellt sich die Frage: Warum fliegt der Supercar-Klassiker aus den späten Achtzigerjahren aktuell so häufig ab? Ist der Ferrari so fies zu fahren? Oder gibt es noch andere Gründe, die einen schwierigen Umgang mit dem F40 begünstigen? Unser Experte Alex Bloch hat sich Gedanken darüber gemacht und Ursachen für die Unfallserie identifiziert. Er nennt sieben Todsünden, welche die Fahrerinnen und Fahrer eines Supersportwagens begehen können.

1. Den Zustand der Reifen unterschätzen

Aus dem Video, welches den Unfall des Norris-F40 zeigt, ist nicht klar ersichtlich, welche Reifen aufgezogen sind. Original waren es Pirelli-P-Zero-Reifen in den Dimensionen 245/40 ZR 17 vorn und 335/35 ZR 17 hinten. Wären auf dem F40 noch die Originalreifen drauf, so wären diese unfahrbar, denn nach so vielen Jahren wäre die Lauffläche nur noch spröde und rissig – mit negativen Folgen für den Grip. Es gibt auf dem Markt daher inzwischen moderne Nachrüstreifen, die aber weniger dem Original entsprechen. Sehr wahrscheinlich sind hier jedoch Pirelli-Retro-Reifen in den gleichen Dimensionen aufgezogen. Diese Reifen sind erst jüngst von Ferrari in Auftrag gegeben worden.

Video: Unfall Ferrari F40

Diese ähneln optisch dem Original, wurden aber mit moderner Struktur und Laufflächenmischung aufgebaut. Sie verbessern so wahrscheinlich ähnlich das Fahrverhalten wie beim Porsche Carrera GT mit seinen neuen Michelin-Reifen. Dieser wurde vor Kurzem von auto motor und sport getestet und war auf der Nordschleife 20 Sekunden schneller als mit den Originalreifen.

Trotzdem haben auch diese Sportreifen ein Problem: ein enges Temperaturfenster. Wenn der Gummi noch nicht warm ist, kann er vom Gripverhalten her schlechter als ein Standardreifen sein. Das könnte einer der Basisfaktoren für den Unfall sein. Dabei ist das Problem noch weniger die prinzipiell fehlende Traktion, sondern dass schon leichte Gripunterschiede zwischen links und rechts zu einem Eindrehimpuls führen, weil der eine Reifen minimal mehr Kraft überträgt als der andere. Wenn man sich das Norris-Video genau anschaut, sieht man, dass der rechte Reifen über die Fahrbahnmarkierung fährt und der linke Asphalt unter dem Gummi hat. Die Fahrbahnmarkierungen sind üblicherweise glatter als der Asphalt. Der rechte Reifen rutscht darauf aus.

2. Das Turboloch nicht einkalkulieren

Die früheren Turbomotoren waren vor allem auf Maximalleistung und weniger auf Fahrbarkeit ausgelegt – und ihre Größe für einen hohen Luftdurchsatz, aber nicht für ein gutes Ansprechverhalten. Aus einem recht zahmen, saugerähnlichen Leistungsbereich wechseln sie nach einem Luftholen, bis die Turbine auf Drehzahl ist, schlagartig in einen Hochdrehmoment-Bereich – das altbekannte Turboloch. Beim F40 geschieht dies bei ca. 4.000/min. Das kommt gerade für den ungeübten Fahrer oft überraschend. Der erste Porsche 911 Turbo mit dem Werks-Code 930 war genau aus diesem Grund als Witwenmacher berüchtigt. Für die Gefährlichkeit braucht es nicht einmal eine Kurve. Wenn – wie wahrscheinlich im Fall des Norris-F40 – schnell beschleunigt wird, bildet sich selbst auf gerader Straße, abhängig von den beschriebenen Reifen- und Asphalt-Grip-Differenzen, ein gefährlicher Eindrehimpuls.

3. Fehlende Traktionskontrolle unterschätzen

Heutzutage gehört eine Traktionskontrolle zur Standardausstattung eines jeden Autos. Das Drehmoment wird von der Motorsteuerung so eingeregelt, dass es die Reifen nicht überfordert. Sensoren messen die Raddrehzahl und füttern mit diesen Daten die Steuerungseinheit des Autos. Sobald diese erkennt, dass ein Rad durchdreht und somit Grip verliert, wird die Motorsteuerung angewiesen, die Gaszufuhr zu drosseln. Bei alten Autos wie dem F40 – und übrigens auch seit 2009 in der Formel 1 – gibt es keine Traktionskontrolle. Die einzigen Traktionskontrollen sind der rechte Fuß und das Hirn des Fahrers. Ein Landon Norris ist das Fahren ohne Traktionskontrolle gewohnt, sein Freund oder Mechaniker wahrscheinlich nicht. Das Auto bricht also auf gerader Fahrbahn aus.

4. Zu hartes Gegenlenken

Walter Röhrl hat einmal gesagt: "Das Geheimnis von schnellem Autofahren ist, so wenig wie möglich zu lenken." Diese Weisheit hat der Fahrer des F40 wohl noch nicht verinnerlicht, denn auf das leichte Ausbrechen des Hecks reagiert er mit einer ruckartigen Gegenlenkbewegung, um nicht in den Gegenverkehr zu krachen. Das saubere Dosieren der Lenkreaktion ist bei diesen Supersportwagen extrem schwierig. Denn wird zu heftig gelenkt, kommt plötzlich Bewegung in die Mittelmotor-Rakete. Und dann ist der Abflug nicht mehr weit.

5. Lastwechselreaktionen unterschätzen

Gerade die alten, leichten Mittelmotor-Sportwagen neigen dazu, schlagartig eine Pirouette um die Mittelachse zu drehen – "gieren", wie es in der Fachsprache heißt. Sie sind durch ihre vor allem in der Mitte konzentrierten Massen – die hauptsächlich der Motor hervorruft – darauf getrimmt, besonders leichtfüßig einzudrehen. Was auf der Rennstrecke schneller macht, wird im Straßenverkehr schnell zum Problem: Der Fahrer lenkt gegen und ist sicher vom Gas gesprungen. Dadurch kommt es zu einer dynamischen Lastverteilung. Das heißt, die Vorderachse wird schwerer und die Hinterachse leichter belastet. Der Grip an der Hinterachse reißt ab und sie beginnt zu driften. Der Fahrer versucht, wie man an den stark eingeschlagenen Rädern sieht, zwar noch gegenzusteuern, aber es ist zu spät.

6. Auf nicht vorhandene elektronische Helfer warten

Seit über zehn Jahren, konkret seit dem 1. November 2014, darf kein Neuwagen in der EU mehr ohne Fahrdynamikregelung – allgemein bekannt als ESP – ausgeliefert werden. Und auch schon die zehn Jahre zuvor zählte ESP zur Grundausstattung besserer Autos. Viele Autofahrer nehmen ESP aber gar nicht mehr wahr. Sie glauben, sie hätten das Auto im Griff, während im Hintergrund die Fahrdynamikregelung heißläuft. Ein Ferrari F40 hat kein ESP. Und selbst ein extrem geübter Fahrer kann in einer solch schnell ablaufenden Ausbrechsituation eine Sache nicht liefern: die radselektive Gierkontrolle moderner ESP-Systeme. So kann der Fahrer im F40 nur voll bremsen und auf den Einschlag warten.

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7. Auf ABS vertrauen

Sportwagen-Klassiker wie der Ferrari F40 haben oft kein ABS. Wer hier voll auf die Bremse drückt, erntet blockierende Reifen – wie man schön an den schwarzen Streifen sehen kann, die der F40 auf den Asphalt zieht. Aber auch ABS hätte hier keinen Unfall mehr verhindert.  © auto motor und sport

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