Durch die Chevrolet Corvette bekam Amerika 1953 endlich seinen eigenen Straßensportler. Bei der Performance ließ sie jedoch anfangs zu wünschen übrig. Ein Geheimprojekt unter Leitung von Zora Arkus-Duntov sollte diesen Mangel endgültig kurieren, wurde aber nach nur einem Test gestoppt. Der erste Prototyp ist jetzt Teil einer einzigartigen Auktion.

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Die anfängliche Begeisterung sollte nicht lange halten. Nachdem General Motors im Januar 1953 durch die Vorstellung der Chevrolet Corvette einen regelrechten Hype ausgelöst hatte, sprachen die Auftragsbücher 1955 bereits eine andere Sprache. Obwohl die Optik und der Sound Sportlichkeit ausstrahlten, fehlte dem Roadster eine echte Identität. Und das, obwohl sein Schöpfer Harley Earl zweifelsohne als Renn-Fan galt.

Der Absturz war so tief, dass die GM-Oberen der Überlieferung nach sogar das Einstampfen des Modells im Sinn hatten. Diese Gerüchte sorgten besonders bei einem Mann für Verzweiflung: Zachary "Zora" Arkus-Duntov. Der Weg des Sohns russisch-jüdischer Eltern zu GM ist schon einen kleinen Exkurs wert. Er kam 1909 in Brüssel auf die Welt, wuchs erst in Russland auf, studierte dann aber an der heutigen Technischen Universität Berlin Maschinenbau. Der schon als Kind von Technik und Rennsport faszinierte Bourgeoisie-Sprössling entkam rechtzeitig der Brutalität des Nationalsozialismus. Paris bot dem Kosmopoliten Unterschlupf.

Ihn begleitete eine Frau, die später den Titel "First Lady of Corvette" verliehen bekam. Im Zuge seiner deutschen Adoleszenz hatte Zora die junge Berliner Tänzerin Elfriede "Elfi" Wolff kennengelernt und sich wie der Held eines klischeehaften Groschenromans unsterblich verliebt. Die Anstellung an einem Pariser Theater mit Weltruhm tröstete Elfi immerhin etwas über den Verlust ihres Berlins hinweg. Wenige Monate nach der Hochzeit nahe der Seine-Stadt begann der Zweite Weltkrieg, was Zora zum Anlass nahm, seinem Bruder in die französischen Luftstreitkräfte zu folgen.

Wettrennen gegen Nazi-Besatzer

Während ihr Mann in Toulouse ausgebildet wurde, erreichte Elfi die Schreckensnachricht, dass die Nazis auf Paris zurollen. Da die Frau mit glänzendem blonden Haar und tiefen blauen Augen durch die Hochzeit ihren deutschen Pass verloren hatte, ahnte sie das Schlimmste. Sie sammelte hektisch wichtige Erinnerungen sowie etwas Verpflegung zusammen, stopfte es in den Motorsport-erprobten MG der jungen Familie und brach auf.

Über Straßen im Hinterland umging sie Kontrollpunkte. Aus der Ferne sah sie dabei, wie ein stark rauchendes Flugzeug abstürzte. Der Weg war wie befürchtet beschwerlich und ließ den MG einmal in die Knie gehen. Skurrilerweise traf Elfi hierbei auf schottische Soldaten, welche ihr nicht nur Essen gaben, sondern das Auto richteten. Entgegen dem Klischee, dass Schotten zutiefst geizig sind, spendierte die Truppe ihr zum Abschied Benzin.

Vier Tage nach dem Abschied von der zweiten verlorenen Heimat erreichte sie Zora. Zusammen entwickelten beide einen Fluchtplan, der als nächstes Hollywood-Skript durchgeht. Unter anderem musste sich das Paar in einem Bordell in Marseille verstecken. Schließlich erreichten sie Lissabon, von wo ein Schiff nach New York aufbrach. Es war Dezember 1940. In der neuen Welt gründete Zora mit seinem Bruder eine Munitionsfabrik. Nach dem Krieg konzentrierte er sich auf das Tuning-Business.

Verpasste Qualifikation beim Indy 500

In den ruhigeren Nachkriegszeiten sollte sich Arkus-Duntov obendrauf wieder dem Hobby Motorsport widmen. Zweimal scheiterte er knapp an der Qualifikation für das legendäre 500-Meilen-Rennen von Indianapolis. Für eine englische Manufaktur bestritt er später Le Mans. Diese Erfahrungen überzeugten ihn, dass die Chevrolet Corvette ein echtes amerikanisches Juwel sein könnte. Seitdem er ihrer öffentlichen Präsentation 1953 in New York beigewohnt hatte, dachte er ungebremst über das Potenzial des Roadsters nach.

Der mittlerweile in seinen Vierzigern angekommene Zora bewarb sich daraufhin beim Chevrolet-Chef-Ingenieur Ed Cole und bekam die Zusage. Sofort wirbelte der Charakterkopf den Staub der grauen GM-Chefetagen auf und belegte schonungslos, wie Erzrivale Ford durch kräftigere Motoren deutlich besser bei den Tunern und Racern ankam. Dass die Kritik mehr als fundiert gewesen ist, bewiesen seine zwei Le-Mans-Klassensiege für Porsche 1954 und 1955. Wohlgemerkt als Chevy-Angestellter!

GM sprang über den Konzernschatten und ließ ihn machen. Zora werkelte wie besessen an der Straßenbasis, besonders im Fokus: der neue V8-Antrieb. Rekorde beim Bergrennen von Pikes Peak und auf dem Strandkurs von Daytona Beach lieferten erste Lorbeeren. Parallel entstand ein Werksteam, das modifizierte Straßenautos gegen die massive Konkurrenz europäischer Manufakturen einsetzte. Die ernstgemeinte Sport-Offensive fand Anklang und Widerhall in den Verkaufszahlen. Arkus-Duntov war es dennoch nicht genug.

Ein Jaguar als Testlabor? Hell no!

Zu den größten Unterstützern von Zora gehörte der ursprüngliche Corvette-Vater Harley Earl. Er teilte seine Vision eines reinen Performance-Autos auf ganzer Linie. Earl ging sogar so weit, einen Jaguar D-Type aufzukaufen, in dem sich ein Chevy-Motor in Rennen als überlegener Antrieb präsentieren könnte. Oder andersrum: Um zu zeigen, warum auch das Corvette-Chassis weiterentwickelt werden sollte. Natürlich gab es bei GM reichlich Stunk danach. Stattdessen wollte Zora einen eigenen, wahren Rennwagen bauen.

Im Nachhinein ging Earls Finte komplett auf: Die GM-Spitze, Chevy-Chefingenieur Ed Cole und der Markenboss von Chevrolet gaben Anfang Oktober 1956 grünes Licht. Unter dem Decknamen "Project XP-64" durfte GMs erster eigener Rennwagen entstehen – später bekam er die etwas griffigere Bezeichnung "Corvette SS (Super Sport)". Das Projekt umfasste ein fertiges Auto für Einsätze sowie Ausstellungen und ein Reserve-Fahrzeug für Testzwecke.

In einem abgetrennten Bereich des Chevrolet Engineering Center arbeitete Arkus-Duntovs Team Tag und Nacht an der erhofften Revolution. Die Über-Corvette sollte all das bekommen, was ihren Vorgängern gefallen hätte: absoluter Leichtbau, radikale Aerodynamik und Motor-Technik am Limit. Trotzdem gab es auch Inspiration von außerhalb. Der nur 180 Pfund (ca. 82 Kilogramm) schwere Rohrrahmen soll vom Mercedes-Benz 300 SL entlehnt sein. Insgesamt wiegt der Renner fast 840 Kilogramm.

Die legendärste Diät aller Zeiten?

Vorne verbauten die Ingenieure unabhängige Aufhängungen, hinten wählten sie eine De-Dion-Achse. Obwohl Scheibenbremsen genau zu dieser Zeit an Reife gewannen, nutzt die Corvette Trommelbremsen. In der Gesamtheit gesehen galt das Bremssystem durch anspruchsvolle Unterstützungssysteme und -kreisläufe dennoch als innovativ. Eingekleidet wird der Renner von einer Magnesium-Außenhülle. Wie bei modernen Rennern kann die Verkleidung schnell gewechselt werden, die originalen gefletschten Zähne im Grill und die zusammenlaufenden Linien an der Seite erhalten dafür den Serienbezug.

Das Cockpit war ebenfalls State of the Art – auch wenn es heute nicht mehr so wirken mag. Große Armaturen, ein Holzlenkrad, der Innenspiegel oberhalb der Mittelkonsole und der feine, aber griffige Knauf sollten auf den Rennstrecken der Welt Komfort liefern. Wäre die Corvette SS samt 4,6-Liter-V8 dennoch ins Schlingern geraten, hätte ein aerodynamisch verkleideter Überrollbügel das Schlimmste verhindert. Die leichte Plastikwindschutzscheibe ist dafür zu schwach.

Das Herz des Renners stellt der Motor dar. Zora ließ diverse Antriebsideen zu. Neben experimentellen Aluminium-Teilen versprach eine moderne Kraftstoffeinspritzung Performance-Vorteile. Der Rennantrieb wiegt 80 Pfund (ca. 36 kg) weniger als sein damaliges Serien-Gegenstück. Alles in allem verlor die Über-Corvette fast 1.000 Pfund (rund 450 kg) im Vergleich.

Fangio und Moss heben Daumen

Als erste große Probe wählte Zora Arkus-Duntov die 12 Stunden von Sebring 1957 aus. Der März-Klassiker ist bis heute der bestmögliche Test für den heiligen Gral der Szene: die 24 Stunden von Le Mans. Nur eine Woche zuvor waren beide Wagen fertiggestellt, an der Strecke kamen sie gerade mal einen Tag vorher an. Der Legende nach werkelten die Mechaniker im Truck während der Anreise. Das Timing war dermaßen knapp, dass mit Carroll Shelby ein Pilot kurzfristig absprang. Chevy-Werksfahrer John Fitch organisierte den Italiener Piero Taruffi als Ersatz, immerhin ein Formel-1-Rennsieger!

Stichwort Formel 1: Am Trainingstag zeigten allen voran Stirling Moss und Juan Manuel Fangio riesiges Interesse am Prototyp. Showman Zora schlug Fangio vor, doch mal das Test-Chassis auszuprobieren. Nach nur einer Runde kam die Legende wieder an die Box. Ein seltsames Pfeifen aus dem Frontmotor hätte ihn verschreckt. Dank der Erklärung zur speziellen Einspritzung fasste er Zuversicht für eine zweite Tour – und brannte einen inoffiziellen Rekord in die verbundenen Landebahnen. Moss verfehlte diesen daraufhin knapp.

Im Rennen selbst zeigte sich die experimentelle Technik als anfällig. Besonders das Bremssystem war zu sensibel und provozierte Verbremser. Auch der Motor und die Aufhängung konnten der Härte Sebrings nicht standhalten. Wegen des harten Durchschlagens war das Abenteuer nach nur 23 Runden beendet. Immerhin gewannen Corvetten in einer kleinen Klasse.

Politik würgt Experiment ab

Die intensive Analyse ergab zahlreiche Schwachstellen. Der Aufhängungsschaden war das Resultat einer falschen Montage. Aber selbst ohne diesen Fehler hätten zu massive Temperaturen im Cockpit ein vorzeitiges Ende erzwungen, denn die innovative Magnesium-Hülle leitete zu viel Wärme an die Fahrer weiter. All das täuschte allerdings nicht darüber hinweg, dass der Grund-Speed herausragend war. Die Firmen-Führung bestellte dementsprechend ein Update von Zoras Team. Lieferdatum: 3. Juni 1957. Destination: Le Mans.

Nur drei Tage später, am 6. Juni, fanden die Vorbereitungen für die 24 Stunden ein unbarmherziges Ende. Die Automobile Manufacturers Association (AMA) vereinbarte, dass US-Hersteller von Werkseinsätzen ablassen. Dies war eine Reaktion auf den tödlichen Le-Mans-Unfall zwei Jahre zuvor, aber auch Politik in Reinform. Denn "fortan sollen alle Werbemittel in Sicherheitskampagnen fließen". Diese Entwicklung traf beispielsweise auch die US-Serie NASCAR denkbar ungünstig.

Ob die Corvette SS wirklich die Jaguar an der Sarthe hätten stürzen können, bleibt Spekulation. Dass der Testwagen in privaten Händen und mit größeren Modifikationen anschließend Siege in den USA holte, verstärkt die Gedanken an den Konjunktiv nur. Den ersten Triumph eines US-Sportwagens in Le Mans fuhr erst Ford 1966 ein.

Vor der Zerstörung gerettet

Im Anschluss an einige Ausstellungen drohte dem Sebring-Renner derweil ein typisches Ende für Prototypen dieser Zeit. Die Schrottpresse sollte die erste Corvette SS aus den Büchern von GM "befreien". Zora Arkus-Duntov wehrte sich mit allem, was er hatte, gegen das graue Konzern-Monster. Schlussendlich brachte er sein Herzstück im Museum des Indianapolis Motor Speedway unter. Bei späteren Anlässen traf er auf sein eifrig gepflegtes Baby und durfte es sogar fahren.

Wie wichtig das Experiment für die Entwicklung der Corvette-Modellreihe gewesen ist, zeigten die Fortschritte, welche die Corvette C2 erzielte. Obwohl die zweite Generation durch eigenständige Aufhängungen, Scheibenbremsen und Co. technisch weiter als der Racer war, konnten die Techniker von den spannenden Tagen im Herbst 1956 bei der Ausarbeitung profitieren.

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