In den 1960er-Jahren entwickelte Ducati sein erstes V4-Triebwerk und ein Motorrad dazu. Speziell für die USA und die dortige Polizei. Die Modellbezeichnung Apollo nahm Bezug auf die Ausflüge der Amerikaner ins All. Doch es wurden nur 2 Exemplare der Ducati Apollo V4 aufgebaut. Wir präsentieren faszinierte Test-Eindrücke von einer der beiden.

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Seit damals, seit Mitte der 1960er-Jahre rätselt die Fachwelt: Wie fährt sich eine Ducati Apollo V4? Nur zwei Prototypen wurden je gebaut. Reifenprobleme stoppten das Projekt seinerzeit, und jahrzehntelang konnte kein Journalist Ducatis Dinosaurier testen. Als aber Hiroaki Iwashita, der Besitzer des einzigen überlebenden Exemplars, dieses dem Ducati-Werksmuseum zur Verfügung stellte, rückte das Fossil wieder in Reichweite. Der ehemalige Ducati-Rennmechaniker Giuliano Pedretti und seine Kollegen machten den mächtigen Vierzylinder fahrbereit.

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Ducati Apollo V4 – eines von zwei Exemplaren

Domi Racer Inc., Amerikas größter Spezialist für Oldtimer-Teile, hatte einst eine der beiden jemals gebauten Ducati Apollo V4 aus dem Fundus des damaligen Ducati-Importeurs in den USA, Berliner Motor Corporation, übernommen, als der seine Tore schloss. Iwashita kaufte Domi Racer Inc. einige Jahre später das Unikat für 17.000 Dollar ab und deponierte es in seiner Privatsammlung. Erst 1995 präsentierte er das rare Stück dem Publikum auf einer Oldtimer-Ausstellung in Tokio und machte auf ein verloren geglaubtes Stück der Motorradgeschichte aufmerksam. Als Ducati 1996 das Museum errichtete, stellte Iwashita dem Werk die Apollo als Dauerleihgabe zur Verfügung. Im Gegenzug versetzte Ducati das Motorrad, welches natürlich eine prominente Rolle in der Ausstellung spielt, in fahrtüchtigen Originalzustand.

Test-Termin mit der Ducati Apollo V4 in Bologna

Doch bis dahin war die Ducati Apollo V4 nie in der Öffentlichkeit aufgetreten. Beim Festival of Speed in Goodwood sollte sie erstmals fahren, vor 120.000 Zuschauern. Ich hatte die Ehre, vorab zum ersten Roll-out nach Bologna eingeladen zu sein. Natürlich kam ich gern – zumal die Ducati auf neuen Reifen stand, die mir nicht um die Ohren fliegen würden wie seinerzeit dem Testfahrer Librenti. Tatsächlich handelt es sich bei den Weißwand-Goodyears heute um die gleiche Ausführung wie in den 1960er-Jahren. Doch zumindest sind sie frisch montiert und für einen gepflegten Ausritt geeignet, bei dem die Nadel des Jaeger-Tachos die 70-mph-Markierung nicht überschreiten sollte.

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Trotz V4 kaum breiter als eine Ducati mit V2

Hat man das Bein locker über den ausladenden, 760 mm hohen Sitz der Ducati Apollo V4 geschwungen, fühlt sie sich erstaunlich gestreckt und schlank an. Auf den Fahrer wirkt sie nicht annähernd so wuchtig wie auf den Betrachter, sie erscheint kaum breiter als eine Ducati mit zahnriemengetriebenem Desmo-V2. Der hohe, weit nach hinten gezogene Lenker entspricht dem US-Stil der 1960er-Jahre, obwohl einige spätere Harleys noch breitere Ausführungen hatten. Die ergonomisch günstig platzierten Fußrasten – nicht annähernd so weit vorn wie bei modernen Cruisern – liefern erstaunlichen Sitzkomfort.

Der alte Ducati-V4 klingt anders als alle Honda-V4

Höchste Zeit, den Zündschlüssel im Lampentopf zu drehen und den Motor mithilfe des Fiat-Anlassers zu starten. Vier Dell'Orto-Rennvergaser weisen diese Ducati Apollo V4 als erste und stärkste Version aus, und sie erübrigen den Choke. An einem warmen, italienischen Juni-Tag springt der V4 spontan an und verfällt schnell in einen leicht erhöhten Leerlauf von geschätzten 1.500/min, ein Drehzahlmesser fehlt. Sein Timbre ähnelt eher dem eines amerikanischen V8 als dem Vierzylinder eines italienischen Kleinwagens. Der einzigartige Auspuffklang tönt ganz anders als irgendein Honda-V4 – und obendrein ziemlich laut. Die beiden schlanken Silentium-Schalldämpfer führen ein äußerst bescheidenes Innenleben.

Der erste V4 von Ducati – luftgekühlt und ohne Desmodromik

Die Ducati Apollo V4 beeindruckt mit ebenso eigenständiger Klangfarbe wie die späteren V2-Motoren mit Desmodromik, allerdings lebhafter, hochfrequenter, selbst bei niedrigen Drehzahlen. Der rechte Fuß drückt am ellenlangen Schaltpedal den ersten Gang in Position; die Gänge 2 bis 5 liegen im Schaltschema darunter. Beeindruckend sanft setzt sich die Apollo in Bewegung, obwohl das Spiel des Kupplungszugs zu gering ist und die Kupplung schleift. Nachdem das korrigiert ist, erlaubt die Apollo ohne übergebührliche Strapazen einen zügigen Ampelstart.

5 Gänge für über 200 km/h

Beim Hochschalten vom lang übersetzten ersten in den zweiten Gang macht die Ducati Apollo V4 auf ihr Alter und die Eigenarten ihres Antriebs aufmerksam. Selbst ohne Leerlaufüberbrückung in den höheren Gängen fordert der Antrieb eine ruhige Schaltweise. Wer hastig schaltet, legt mit Sicherheit immer wieder einen Zwischenleerlauf ein. Auskuppeln, auf 3 zählen, dann gelassen den nächsten Gang einlegen, und alles geht in Ordnung, meistens. Sitzt der nächste Gang, schiebt die Apollo hurtig voran. Speziell in den mittleren Gängen reagiert der V4 spontan auf den leichtgängigen Gasgriff. Der fünfte Gang ist als Overdrive ausgelegt und war damit prädestiniert für die amerikanischen Freeways.

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1.256 Kubik mit üppigem Drehmoment

Der opulente 1.256-Kubik-Motor der Ducati Apollo V4 bietet im mittleren Drehzahlbereich so viel Antritt, dass die über 270 Kilogramm schwere Maschine aus den unteren vier Gängen zügig bis in den letzten spurtet und auf der Woge des üppigen Drehmoments dahingleitet. Leider gibt es keine Drehmoment-Angaben; falls die Apollo jemals einen Prüfstand gesehen haben sollte, würden die Kurven sicher einen Großteil der aktuellen V2-Motoren beschämen. Seine heute noch beeindruckende Leistung erzeugt der V4 mit einer Art von Leichtigkeit, die man den 1960er-Jahren kaum zuordnen würde. Im Vergleich mit britischen Twins vor der Norton-Isolastic-Ära und mit jeder Harley-Davidson dieser Epoche wirkt die Apollo in puncto Schwingungsverhalten wie eine Nähmaschine neben einem Betonmischer. Höchstens eine Boxer-BMW aus dieser Zeit bietet über den gesamten Drehzahlbereich vergleichbare Laufkultur und ähnlichen Fahrkomfort.

Dieser Vierzylinder war seiner Zeit voraus

Aus Respekt vor seiner Einzigartigkeit drehe ich den Motor der Ducati Apollo V4 nicht ans Limit, doch im oberen Bereich hinterlässt er das gleiche beruhigende, unaufgeregte Gefühl, das ein Jahrzehnt später jedem Ducati-V2 zu eigen war. Als es noch keine Vierzylinder auf dem Markt gab, nicht einmal MV Agustas 600er von 1966, hätte die Apollo den Standard in Sachen Leistung und Fahrkomfort gesetzt – und noch eine Dekade später den Japanern als Messlatte gegolten. Dieser Vierzylinder war seiner Zeit um einiges voraus.

16-Zoll-Räder für den Polizei-Dienst in den USA

Das Fahrverhalten der Ducati Apollo V4 war dagegen allenfalls auf der Höhe der Zeit – den Vorgaben des US Police Department geschuldet: Sie schrieben 16-Zoll-Reifen für ein Motorrad vor, das geradezu nach 18-zölliger Sportbesohlung schrie. Die Autoreifen schränkten das Potenzial der Fahreigenschaften hoffnungslos ein. Sie waren für mehr als 15 Grad Schräglage völlig ungeeignet, und obwohl man dann eh schon mit den Fußrasten leicht aufsetzt, fühlt man das rege Eigenleben der Reifen. Sicher ist der lange Radstand – über 1.525 mm, ebenfalls Polizei-Vorgabe – in engen Kurven mitverantwortlich für das Gefühl, einen Truck zu bewegen, wie es Versuchsfahrer Franco Farné einst ausdrückte.

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Reifen und Bremsen vom starken V4-Motor überfordert

Doch im Gegenzug bietet das Fahrwerk der Ducati Apollo V4 ordentliche Stabilität in schnellen Bögen, in denen die Ceriani-Federelemente das Schwergewicht komfortabel über Bodenunebenheiten führen. Der weich gepolsterte Sitz filtert die letzten Stöße heraus. Neben der Schwerfälligkeit und den völlig untauglichen Reifen geben die Bremsen Anlass zur Klage. Die Simplex-Trommelbremsen mit 220 mm Durchmesser in Vorder- und Hinterrad verzögern bei geringen Geschwindigkeiten noch halbwegs angemessen, nach einigen harten Bremsungen zeigen sie jedoch starkes Fading. Der Handbremshebel wandert zum Lenker, und das Bremspedal fällt durch. Sie mögen zu ihrer Zeit Durchschnitt gewesen sein, doch angesichts der Leistungsfähigkeit des V4-Motors hätten sie, wie die Reifen, erheblich mehr Aufmerksamkeit verdient.

Ducati Apollo V4 als gescheitertes Projekt – es gab nur 2 Exemplare

Als Entwicklungsprojekt scheiterte die Ducati Apollo V4 letztlich, und diese Zweiradtragödie hat die Reifenindustrie zu verantworten. Sie war damals noch nicht in der Lage, Produkte zu entwickeln, welche die Leistung solch eines schweren Motorrads verkrafteten. Dies zögerte den Reiz und den Kick, Vierzylinder-Sportmotorräder zu bewegen, um Jahre hinaus. Als Joe Berliner die Apollo 1961 bei Ducati in Auftrag gab, tat er es unter falschen Voraussetzungen. Hätte er sich weniger auf die Restriktionen und Wünsche der US-Polizei konzentriert, dafür mehr auf die Entwicklung leistungsfähiger Reifen und Bedürfnisse der Motorradfahrer, dann hätten die nicht so lange auf Vierzylinder-Sportmotorräder wie Honda CB 750 und Kawasaki Z1 warten müssen. Nach dem exklusiven Fahrtermin bin ich überzeugt: Die Apollo ist eine der großen verpassten Gelegenheiten der Motorradgeschichte – schade, jammerschade!

Ducati Apollo V4 – technische Daten

Motor: Luftgekühlter Viertakt-Vierzylinder-90-Grad-V4-Motor, Kurbelwelle mit 180 Grad Versatz; eine zentrale Nockenwelle, 2 Ventile pro Zylinder, Stoßstangen, Kipphebel; Bohrung 84,5 mm, Hub 56 mm, Hubraum 1256 cm³, Verdichtung 10:1, Leistung bis 100 PS bei 7.000/min, Gemischaufbereitung: 4 Rundschiebervergaser, Dell'Orto SSI, 32 mm

Elektrische Anlage: E-Starter und Kickstarter, Batterie-/Spulenzündung, kontaktgesteuert, Lichtmaschine: Wechselstrom, 12 V/200 W

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Kraftübertragung: Mehrscheiben-Ölbadkupplung, klauengeschaltetes Fünfganggetriebe, Primärtrieb: Zahnräder, Sekundärantrieb: Duplex-Kette

Fahrwerk: Rückgratrahmen aus Stahlrohr, Motor mittragend, vorn Ceriani-Telegabel, Ø 38 mm, hinten Zweiarmschwinge mit zwei Ceriani-Federbeinen, Drahtspeichenräder, Reifen vorn 5.00 x 16, Reifen hinten 5.00 x 16, vorn Simplex-Trommel, Ø 220 mm, hinten Simplex-Trommel, Ø 220 mm

Maße und Gewicht: Radstand 1.555 mm, Sitzhöhe 760 mm, Gewicht 272 kg

Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit über 200 km/h

Hersteller: Ducati S.p.A., Bologna, Italien  © Motorrad-Online

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