Die EU-Kommission springt der kriselnden Autoindustrie in Europa zur Seite und lockert die Zügel. Vorerst gibt es keine Strafzahlungen, wenn die Hersteller in diesem Jahr die CO₂-Ziele verfehlen. Selbst die Aufweichung des Verbrennerverbots ist für die EU-Kommission kein Tabu-Thema mehr. Gleich mehrere Maßnahmen sollen in den nächsten Wochen umgesetzt werden. Wie die EU der Autoindustrie genau hilft.

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Es kam alles anders als geplant: Eigentlich sollte das Jahr 2025 das Autojahr werden. Anzeichen gab es einige – doch dann sorgten die Rezession in Europa, die Kaufzurückhaltung der EU-Bürger und die staatlichen Regulierungen dafür, dass die Autobranche in der Klemme steckt. Vor allem die verordnete CO₂-Reduktion macht der Industrie zu schaffen. Und hier wird es 2025 ernst für die Automobilbranche, dann darf der CO₂-Ausstoß auf die Flotte gerechnet nur noch rund 93 g/km betragen – was heißt, dass die Marken viele E-Autos verkaufen müssen, um das Ziel zu erreichen.

Einigung mit der EU erzielt

Zumindest galten diese Ziele bislang. Am 5. März hat die EU-Kommission einen Aktionsplan vorgestellt, der Hilfe für die Autoindustrie verspricht – und das gleich an einigen Stellen. Wichtig für die Branche dürfte aber gerade sein, dass der Brüsseler Panzer, was die CO₂-Vorgaben betrifft, Risse bekommt.

Denn der strategische Dialog, den die EU-Kommission mit der Autoindustrie im Januar angestoßen hat, trägt nun Früchte. Die Situation der europäischen Industrie sei eine der Hauptprioritäten des Arbeitsprogramms der neuen Kommission, heißt es dazu aus Brüssel. Die Frage ist nur, wie weit die EU der Autoindustrie entgegenkommt. Eine Aussage aus einer Bekanntmachung der Kommission ließ zuletzt tief blicken: Sie erkenne "die Dringlichkeit und den Ernst der Lage sowie die Notwendigkeit entschlossener Maßnahmen an, um den Wohlstand Europas zu schützen und gleichzeitig die Klimaziele und andere gesellschaftliche Ziele zu erreichen."

Mehr Flexibilität bei den CO₂-Zielen

Jetzt zeigt die EU, dass sie nicht nur Worte machen will. Am 5. März verkündete die Kommission, dass sie die klare Forderung nach mehr Flexibilität in Bezug auf die CO₂-Ziele zur Kenntnis genommen habe und entschlossen sei, dieses Problem in ausgewogener und gerechter Weise anzugehen. Heißt im Klartext: Die Kommission wird in diesem Monat eine gezielte Änderung der Verordnung zu den CO₂-Normen für Personenkraftwagen und leichte Nutzfahrzeuge vorschlagen. Diese ermöglichen es den Automobilherstellern, ihre CO₂-Ziele zu erreichen, indem sie den Ausstoß über einen Zeitraum von drei Jahren (2025-2027) strecken dürfen.

Dadurch können die Emissionen im Durchschnitt bewertet werden, was die Chance bietet, etwaige Unterschreitungen der Vorgaben in einem oder zwei Jahren durch Defizite in den anderen Jahren auszugleichen. Kurzum: Wer die Grenzwerte in diesem Jahr verfehlt, kann das noch 2026 und 2027 ausgleichen.

Das ist zumindest der Plan, den die EU-Kommission mit Nachdruck verfolgt. So will sie die Vorbereitung der geplanten Überarbeitung der Verordnung über CO₂-Normen für Personenkraftwagen und leichte Nutzfahrzeuge beschleunigen.

Strafzahlung gestreckt, Verbrenner-Aus am Ende?

Also sind teure Strafzahlungen vorerst vom Tisch. Vor allem bei Volkswagen dürfte man sich über diese Entscheidung freuen, denn dem Konzern drohte eine Strafe von 1,5 Milliarden Euro. Doch jubeln sollte die Industrie noch nicht. Denn der Überarbeitung muss das Europaparlament und der Rat der 27 EU-Mitgliedsländer zustimmen.

Dennoch geht es voran und die Kommission bekräftigt, beim Tempo nicht nachzulassen. Das zeigt auch ein anderer Aspekt. Denn die EU-Kommission überprüft zudem das sogenannte Verbrenner-Aus früher als bislang vorgesehen. EU-Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas kündigte just in Brüssel an, dass dies bereits dieses Jahr stattfinden soll und nicht 2026, wie ursprünglich geplant.

Schon im Vorfeld hatte das EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Aussicht gestellt. "Wir werden uns darauf vorbereiten, die Arbeit an der Überprüfung für 2035 zu beschleunigen, wobei die uneingeschränkte Technologieneutralität ein zentrales Prinzip sein wird", verspricht von der Leyen.

Ende des Verbrenners offen

Das dürfte für Teile der Autoindustrie wie Musik in den Ohren klingen, da es das Verbrennerverbot 2035 aufweichen könnte – zumindest in Teilen. Und zwar überlegt man aktuell, die CO₂-neutralen Kraftstoffe stärker zu berücksichtigen. Das würde bedeuten, dass die Hersteller Verbrennermodelle selbst nach dem Jahr 2035 weiter in der EU verkaufen dürfen.

Was übrigens ebenso für Plug-in-Hybride gelten soll – unabhängig von den E-Fuels. Denn mittlerweile hat sich das Profil der Teilzeitstromer deutlich verbessert, die elektrische Reichweite ist bei vielen Modellen auf weit über 100 Kilometer gestiegen. Das scheint die EU-Kommission zu goutieren.

E-Autos weiter wichtig

Das alles mutet am Ende wie ein Sieg der Autoindustrie an, doch die Fahrzeughersteller sind gut beraten, den eingeschlagenen Weg nicht zu verlassen. Auch sollten sie nicht Tempo aus der Fahrt nehmen. Die CO₂-Reduktion bleibt oberstes Gebot der EU. Ohne Elektrifizierung des Antriebsstrangs dürfte die Hürde schwierig zu nehmen sein. Und ohne einen zunehmenden E-Auto-Absatz steckt die Autobranche weiterhin in der Klemme.

Die Devise lautet: Nicht kleckern, sondern klotzen. Denn machen die Marken zu wenig, steuern sie noch unruhigeren Zeiten entgegen. Die Hilfsbereitschaft der EU könnte in diesem Fall schnell enden. Über die drohenden Strafen ließe sich dann vermutlich nicht mehr verhandeln. Und sie seien so hoch, dass bei manchen Herstellern der gesamte Profit an die EU gehen würde, wenn sie keine Veränderungen herbeiführten, so der ehemalige VW-Vertriebschef Jürgen Stackmann gegenüber dem "Manager Magazin".

EU kümmert sich E-Auto-Förderung

Die Kommission will nichts dem Zufall überlassen und nimmt sich selbst der Förderung der Elektromobilität an. Sie will mit allen Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, "um bewährte Verfahren und Erkenntnisse über Anreizsysteme für Verbraucher, einschließlich Steuern, auszutauschen", heißt es. Dies soll zu einer Empfehlung der Kommission führen, in der auch mögliche Finanzierungsquellen dargelegt werden, die die Mitgliedstaaten zur Unterstützung solcher Anreize nutzen können.

Die Kommission wird zudem das sogenannte "Sozialleasing" für neue und gebrauchte E-Autos fördern. Mit dieser Empfehlung werden die Mitgliedstaaten dazu angehalten, solche Regelungen in ihre nationalen Pläne im Rahmen des Klima-Sozialfonds aufzunehmen, um nachhaltigen Verkehr für alle leichter zugänglich zu machen.

Damit nicht genug: Die Kommission hat neben diesem Aktionsplan auch saubere Unternehmensflotten im Blick, die sich sowohl auf Personenkraftwagen als auch auf Nutzfahrzeuge erstrecken sollen. Das Thema geht alle an, Vorschläge gibt es erst einmal für nationale, regionale und kommunale Behörden, um die Einführung emissionsfreier Fahrzeuge zu beschleunigen. In naher Zukunft soll ein Legislativvorschlag folgen.

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Ein ganz schön großes Paket hat die EU-Kommission für die Autoindustrie geschnürt. Wie man es dreht oder wendet: Brüssel weicht zwar die harten Sanktionen auf, verabschiedet sich aber nicht von den einst getroffenen Beschlüssen. Die Fahrzeughersteller sind gut beraten, das nicht zu vergessen.  © auto motor und sport