Nach 50.000 Kilometern wurde der Motor der Harley-Davidson Pan America 1250 S zerlegt und vermessen. Hier zeigt MOTORRAD die teils überraschenden Ergebnisse.

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High Hopes", sang Sinatra einst über eine Ameise und einen Gummibaum. High Hopes klangen beim Antritt der Harley-Davidson Pan America 1250 S im Dauertest durch die Redaktionsflure und die Hirnwindungen des Paten. Hoffnungen wie: Eigentlich war die PanAm 2018 schon fertig als Modell, und drei Jahre weiterer Feinschliff sollten reichen für sicheren Tritt im Premiumsegment der Reiseenduros.

High Hopes, low results

Leider erfüllte die Pan America 1250 S die hohen Erwartungen nur selten – beschönigt ausgedrückt. Den Mut, das allererste Modelljahr der ersten Premium-Reiseenduro des Hauses in den Dauertest zu schicken, quittierte die PanAm Harley-Davidson mit ständigen Problemen der Elektronik, mechanischen Schwächen und klaren Entwicklungsfehlern. Doch wie Roger aus der Schweiz durch seine Erfahrungen mit seiner PanAm berichtet, lief der Dauertest doch recht störungsfrei ab:

Bei MOTORRAD musste kein Motor getauscht, kein Heck gerichtet, keine Schlauchschellen angezogen und kein neues Motorgehäuse nachträglich neu abgedichtet werden. Ebenso deutlich traf es Thomas Herz, dessen PanAm nach Weiterverkauf und 700 Kilometern später dem Nachbesitzer einen kapitalen Motorschaden ins Kerbholz ritzte und zuvor ebenfalls erst nach Tausch des Startknopfs willig startete. Doch weg von diesen Extremen, hin zu den Launen des Alltags.

Video: Dauertest: Harley-Davidson Pan America

Wieso zickt die Kupplung immer?

Von den allgegenwärtigen Problemen der gesamten Elektronik der Harley-Davidson Pan America 1250 S abgesehen, drängt sich hauptsächlich eine Frage in den Vordergrund. Aus welchem Grund mussten zweimal das Scheibenpaket der Kupplung und einmal der komplette Korb getauscht werden, ohne eine Verbesserung der Kupplungsfunktion mit sich zu bringen? Kalt rupfend, heiß schlecht trennend, Leerlaufsuche meist erfolglos, summiert sich in allen Kommentaren.

Doch alles nur Kinderkrankheiten?

Interessant an den Erfahrungsberichten und den Erkenntnissen von MOTORRAD ist, dass die mechanischen Schwächen des Antriebs wohl direkt vom Baujahr abhängen: Schwacher Anlasserfreilauf, ruppige Kupplung oder allgemein rauer Lauf können gut auf die Baujahre 2021 bis 2023 eingegrenzt werden. Weder Thomas, der von der 2022er-Pan-America sogar auf die 2024er-CVO-PanAm aufrüstet, noch Roger mit dem neuen Motor berichten von wiederkehrenden mechanischen Nervigkeiten des V2.

Trotz Laufleistungen von bis zu 15.000 Kilometern, also einer Distanz, wo die 2021er-PanAm bereits dauerhaft im Zicken-Modus operierte. Und bei einem kurzen Intermezzo mit einer 2023er-Pan-America erfuhr MOTORRAD: Da flutscht einiges viel besser beim Schalten, und die Elektronik wirkte souveräner.

Kaufratgeber: Die Modelle ab 2023 könnten für Interessierte die richtige Wahl sein, denn nach der Demontage des Motors zeigte die Harley echte Qualität und hohe Kunst des Maschinenbaus.

Video: Pro und Contra: Harley-Davidson Pan America

50.000 Kilometer jucken den Motor nicht

Bisher stehen zwei Harley-Davidsons weit oben in der Dauertest-Bestenliste, beide mit luft-ölgekühlten Motor. So weit, so bekannt: Derartige Motoren mit robustem Charme kann Harley. Doch beim neuen, wassergekühlten V2 der Pan America 1250 S mit obenliegenden Nockenwellen, variabler Ventilsteuerung und der höchsten Serienleistung eines H-D-Motors war das Ergebnis nicht vorhersehbar.

Insbesondere nach mehrfachen Operationen am offenen Herzen zum Tausch von Kupplung(en) und dem Anlasserfreilauf und der grundsätzlichen mechanischen Präsenz des Antriebs war das Vertrauen getrübt.

Doch allen sinistren Vorzeichen zum Trotz: Der V2 ist nach 50.000 Kilometern in hervorragendem Zustand. Manches Bauteil wirkt wie neu, von der dritten Kupplung abgesehen, die erst gut 11.000 Kilometer auf den Scheiben hatte. Kurbeltrieb, Zylinderköpfe, Nockenwellen, Lager und Steuerketten nebst Führung zeigen sich von der Laufleistung unbeeindruckt.

Gerade der Kurbeltrieb mit der aufwendigen 30-Grad-Kurbelwelle, um zusammen mit dem 60-Grad Zylinderwinkel einen 90-Grad-V2 zu simulieren, zeigt sich im Bereich der Einbautoleranz.

Im Grunde trifft das auf den Ventiltrieb mit den Hydrostößeln und den Rollenschlepphebeln ebenfalls zu, dito auf die Nockenwellen und deren Lager. Aber nur fast: Einzig und dann sehr auffällig sind ein Sitz eines Auslassventils und der Schaftdurchmesser eines Einlassventils. Beide im Bereich der Verschleißmaße, allerdings ohne Nachwirkungen wie Pendelspiel oder Druckverluste. Spoiler: Ganz nach oben packte es die PanAm in den Top 100 nicht.

Keine Getriebeprobleme bei Harley

Wie der Motor selbst prägte die Laufleistung von 50.000 Kilometern der Harley-Davidson Pan America 1250 S das Getriebe kaum. Die oft hakeligen, ungenauen Schaltvorgänge mit teils heftigen mechanischen Reaktionen sind an den Bauteilen spurlos vorübergegangen. Die hohle Schaltwalze zeigt die erwartbaren Eingriffspuren, ebenso ist das Getriebe bis auf minimale Arbeitsspuren ohne Befund. Einzig die mittlere Schaltgabel zeigt deutliche Anlaufspuren.

Video: Im Video: Harley-Davidson CVO Pan America (2024)

Motor mittragend: zu konsequent umgesetzt

(Zu) Konsequent setzte Harley-Davidson bei der Pan America 1250 S den Begriff "mittragender Motor" um, denn ohne Motor ist kein Rahmen vorhanden, besser: kein stabiler Rahmen. Tatsächlich teilt Harley das Chassis in drei größere Baugruppen. Erstens: den Lenkkopf mit Gabel und dem Rückgrat. Zweitens: die Hinterradaufhängung nebst Federung.

Und drittens: den Heckrahmen. Alle drei Teile sind ohne den Motor nicht oder nur kaum direkt miteinander verbunden. Das erklärt das skurrile Bild von Leser Roger, das das aufgehängte Chassis zeigt, im 90-Grad-Winkel zueinander aufgehängt. Klingt doch okay?

Nope, MOTORRAD-Meister Gerry Wagner war schon kurz davor, das Problem mit fünf Liter Benzin zu lösen, nachdem ihm bei der Demontage klar wurde, hier am Ende kein Rolling Chassis ohne Motor stehen zu haben. Und womöglich nie wieder ein Chassis, denn die Montage des Motors zwischen den drei Rahmenteile wirkt ebenso wenig trivial wie die Demontage.

Übrigens: Das erklärt den schwarzen Spanngurt, die Gewindestangen und die aus einem Kern-Stabi-Ständer entnommenen Streben, die die Rahmenteile auf dem Titelbild eher weniger stabil verbinden.

Zwangspause kurz vor dem Ziel

Erklärtes Ziel des Dauertests der Harley-Davidson Pan America 1250 S war, die 50.000 Kilometer innerhalb einer HU-Periode auf den Tacho zu fahren, also in zwei Jahren ab Mai 2022. Das Ziel war fast greifbar, als der Januar 2024 einen Tachostand gut 41 000 zeigte, sich eine winterbedingte Standzeit in vermeintlich defekten Zündkerzen und Batterien entwickelte und schließlich im Frühjahr zum Tausch des kompletten Kabelbaums führte. Erst zum Frühsommer 2024, und damit zu spät, war die frisch verkabelte Harley wieder auf der Straße. Die lange Pause kostete fast drei Monate, die den sonst hohen regelmäßigen Kilometerzuwächsen im Weg standen.

Video: Harley Davidson Pan America im Fahrbericht

Günstig Harley fahren

Harley-Davidson fahren, vorwiegend die Top-Modelle war, ist und wird immer ein teures Vergnügen sein. Doch die Kostenseite der Pan America 1250 S im Dauertest bei MOTORRAD über 50.000 Kilometer spricht für die erste echte Harley-Enduro. Neben ihrem zum Start des Dauertests attraktiven Einstiegspreis von 20.895 Euro mit allen Paketen und Alu-Koffersystem spricht der im Schnitt niedrige Verbrauch für die PanAm. 5,63 Liter pro 100 Kilometer sind ein guter Wert für ein Motorrad mit 1252 Kubik, gemessenen 143 PS und einem Lebendgewicht von 267 Kilogramm.

Ebenso verbrauchsarm, trotz hohen Gewichts, gab sich die Harley bei den Reifen. Je nach Modell waren die Hinterradreifen zwischen 8.000 und 9.000 Kilometern an der Grenze. Über die Distanz stehen mit allen Wartungen und Verbräuchen 18,4 Euro-Cent pro Kilometer in der Rechnung. Übrigens: Liegen geblieben ist die PanAm nie. Am Ende steht die PanAm mit ihren 75 von 100 möglichen Punkten auf einem soliden Platz 24.

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Fazit

High Hopes. Mit Sinatra begannen wir. Und mit einem Zitat aus "High Hopes" von Panic! at the Disco enden wir: "Shooting for the stars when I couldn’t make a killing." Übersetzt: Nach den Sternen greifen, ohne ein Vorzeichen des Erfolgs dafür zu erkennen. Unfair gegenüber Harley-Davidsons Mut? Definitiv. Unberechtigt der Pan America gegenüber? Auf keinen Fall.  © Motorrad-Online

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