Mercedes forscht an neuen Chips, um den Energieverbrauch von KI-Systemen zu senken, die fürs autonome Fahren unabdingbar sind. Wir verraten, wie die Technik funktioniert und was dahintersteckt.
Künstliche Intelligenz ist aus vielen technischen Anwendungen längst nicht mehr wegzudenken. Von ChatGPT bis zum automatisierten Fahren und allen Stufen dazwischen. Das Problem: Die Technik ist gierig. Gierig nach Energie. Gerade im Elektroauto ist das ein Problem. Vor allem für die Reichweite. Damit das nicht so bleiben muss, arbeiten die Entwickler von Mercedes an einem neuen Ansatz und setzen auf neuromorphe KI-Chips. Anders als die bisherigen Systeme, wie beispielsweise der berühmte H100-Chip von Nvidia, von dem sich Tesla-Boss
Ein handelsübliches Elektroauto kommt, je nach Modell und Fahrweise, auf rund 15 bis 20 kWh/100 Kilometer. Aktuelle Assistenzsysteme fallen dabei kaum ins Gewicht. Denn ein Level-1-System, also die einfachste Ausführung der Helferlein, zieht nicht einmal 50 Watt. Die in modernen Autos weitverbreiteten Level-2-Systeme, zu denen etwa Spurhalter, Abstandsregeltempomat, Parkassistent oder der allseits unbeliebte (weil meist schlecht funktionierende) Tempolimitwarner gehören, kommen zusammen auf rund 100 Watt. Und selbst bei den deutlich performanteren Level-3-Systemen, bei denen das Auto auf begrenzten Abschnitten die Fahraufgabe und die Verantwortung übernimmt, werden kaum mehr als 300 Watt fällig. Der Grund: All diese Systeme arbeiten lokal meist ohne Künstliche Intelligenz – und wenn, dann nur in einem sehr geringen Umfang.
Autonomes Fahren senkt die Reichweite um 30 Prozent
Bei Level 4, also dem Teil des automatisierten Fahrens, bei dem es kein Lenkrad mehr braucht, sieht die Sache dagegen anders aus. Hier werden gut und gern 4.000 bis 5.000 Watt veranschlagt, was die Reichweite eines E-Autos schnell um 20 bis 30 Prozent reduziert. Denn ohne KI geht im Level-4-Auto nichts mehr. Schließlich muss laufend berechnet werden, was das System tut, was es darf, und es muss abgeglichen werden, ob sich die Umgebung verändert hat und welche Reaktion die Veränderung erfordert – und selbst wenn sich nichts verändert, wird gerechnet. Hinzu kommen die ganzen antizipierten Situationen, die das System berechnen muss, die wir aus der Fahrschule kennen. Stichwort Ball auf der Straße, heißt Achtung Kind. Das alles auf einen Server in einem entlegenen Rechenzentrum auszulagern, ist nicht nur wegen der Mobilfunkabdeckung in Deutschland undenkbar. Denn allein die Kameras der Autos produzieren Datenmengen, denen bei einem flächendeckenden Betrieb von Level-4-Fahrzeugen kein Mobilfunknetz der Welt gewachsen wäre. Zudem vergeht für die Übertragung wertvolle Zeit.
Wenn es ohne KI im Auto also nicht geht, muss die Technik effizienter werden. Um das zu erreichen, haben sich Forscher die Funktionsweise des menschlichen Gehirns näher angeschaut. Denn während die Maschinen mit aktueller Technik besagte 4 bis 5 kW Leistung benötigen, verbraucht das menschliche Hirn für dieselbe Aufgabe – also Autofahren – nur rund 20 Watt.
Die KI kann sich (noch) nicht fokussieren
Das liegt daran, dass das menschliche Hirn gewissermaßen fokussierter arbeitet als die bisher gängige KI-Technik. Der Mensch kann Dinge ausblenden, die nicht relevant sind. Das können Computer und dazu zählen auch die aktuellen KI-Chips wie die von Nvidia und Co., die auf der Von-Neumann-Architektur aufbauen, nicht.
Um es im Wortsinn bildlich zu beschreiben: Wenn eine Frontkamera im Auto ein Video aufzeichnet, wird jedes Bild mit der aktuellen KI-Technik vollständig analysiert und bewertet. Pixel für Pixel. Mehrere Bilder pro Sekunde. Selbst dann, wenn sich eines dieser Pixel überhaupt nicht verändert hat, es im Grunde also wertloser Datenmüll ist.
Mathematisch betrachtet gleicht diese nicht vorhandene Veränderung einer Multiplikation mit null. Wir alle wissen, 0 x 0 ergibt 0. Genauso wie 5 x 0 oder 4245 x 0. Nach der Von-Neumann-Architektur wird aber jede dieser Multiplikationen ausgeführt, auch wenn sie immer wieder dasselbe Ergebnis haben und sich nicht verändern – und genau hier setzt die neuromorphe Hardware an. Mit ihr können unnötige Berechnungen ausgelassen werden, entsprechend effizient arbeitet das neuronale Netz der KI in dieser Umgebung.
Der Weg in die Serie ist noch weit
Das Problem: Die Technik steckt noch am Anfang – um nicht zu sagen in den Kinderschuhen. Es gibt zwar in Deutschland, den USA und China einige vielversprechende Ansätze, die Chips, Modelle und Systeme sind aber noch im Forschungsstadium und entsprechend weit von einem Einsatz in der Großserie entfernt. Vor allem, wenn man die hohen Sicherheitsanforderungen in der Autobranche hinzuzieht und das noch sicherheitskritischere Feld des automatisierten Fahrens.
Dennoch könnte der Einsatz von neuromorphen Chips schon in wenigen Jahren dem automatisierten Fahren zum Durchbruch verhelfen. Denn die Software, die heute auf den leistungshungrigen KI-Systemen läuft, könnte auch auf den neuen sparsamen Chips ihre Berechnungen machen. Zudem unterscheidet sich die Fertigung der neuen Chips nicht grundsätzlich von den bekannten Prozessen der Halbleiterindustrie. Die Vorzeichen stehen entsprechend gut. © auto motor und sport
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