Getrennte Starts für Frauen und Männer sind bei Gravelbike-Rennen immer wieder ein Thema. Bei den Events von SBT Grvl sollen sie ab kommender Saison eingeführt werden. Im BikeX-Interview spricht SBT-Gründerin Amy Charity über die Hintergründe.

Mehr zum Thema Mobilität

Gleiche Chancen für alle oder unfairer Vorteil? Immer wieder monieren Frauen, dass ihre Gravelbike-Rennen durch den gemeinsamen Start mit den Männern beeinflusst werden. Etwa indem Frauen im Windschatten von Männern den eigentlich bereits verlorenen Anschluss wieder herstellen. Bei einigen Rennen wird bereits reagiert. Ab 2025 auch bei den Events von SBT Grvl. Wir haben mit SBT-Gründerin Amy Charity über das Thema gesprochen.

Das Interview

Amy, welche Rolle spielen die Frauen im Gravelbike-Sport?

Sie beweisen, dass sich Frauen im Radsport nicht hinter den Männern verstecken müssen. Sie sind auf Augenhöhe. Und in vielen Bereichen sind sie auch Wegbereiterinnen. Bei unserem Rennen in Steamboat Springs haben wir zum Beispiel einen Frauenanteil von über 30 Prozent. Das sind mehr als 1000 Frauen. Traditionell sind solche Zahlen im Radsport ungewöhnlich. Ich selbst war es eigentlich immer gewohnt, eine von wenigen Frauen in Radsportgruppen zu sein. Aber indem du anderen Frauen zeigst, dass es geht, dass es Frauen im Radsport gibt, animierst du sie dazu, es selbst zu versuchen. Und es klappt. Es werden immer mehr.

Also haben die Frauen im Gravelbiking eine stärkere Stimme als in anderen, traditionelleren Arten des Radsports?

Das würde ich nicht unbedingt sagen. In den vergangenen Jahren hat sich ja etwa auch im Rennradsport viel getan. Da haben die Frauen im Vergleich zu den Männern stark aufgeholt. Die Tour de France Femmes hat das in diesem Jahr eindrucksvoll belegt. Das Rennen hat sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. Und es war auch sehr spannend.

Aber haben sie es auf dem Gravelbike nicht dennoch einfacher?

Wenn du der Typ dafür bist, kannst du als Gravelbikerin schnell deine eigene Marke aufbauen und eigene Sponsoren gewinnen. Aber dafür musst du dich vermarkten können und gut verhandeln. Wenn du das kannst, hast du mit der Kombination aus deinen eigenen Plattformen und deinen Rennergebnissen tolle Chancen. Du kannst über Technik, Taktik, Rennen und Produkte sprechen. Und vor allem kannst du andere Frauen stärken. Es gibt viele gute Beispiele dafür.

Du hast von den mehr als 30 Prozent Frauen bei SBT Grvl in Steamboat Springs im US-amerikanischen Colorado gesprochen. Wie hat sich diese Zahl seit der Premiere im Jahr 2019 entwickelt?

Wir hatten schon bei der ersten Ausgabe des Rennens einen beachtlichen Frauenanteil von etwa 20 Prozent. In den folgenden Jahren haben wir dann versucht herauszufinden, wo die Frauen sind, was sie an der Teilnahme an einem Rennen reizt, was sie interessiert. Wir haben ihre Geschichten erzählt und konnten den Anteil so immer weiter steigern. Ein wichtiges Argument sind dabei die niedrigen Einstiegshürden und das Miteinander. Egal wie alt, wie erfahren oder wie fit du bist, jede und jeder kann mitfahren. Du hast die Wahl, ob du so schnell wie möglich fahren willst, oder ob du einfach einen tollen Tag auf dem Gravelbike genießt.

Eine Besonderheit an Gravelbike-Rennen ist es, dass Männer und Frauen, Hobbyfahrerinnen und Profis gemeinsam fahren. Warum wird es bei den SBT-Grvl-Rennen in den USA, Finnland und Australien im nächsten Jahr dann einen separaten Start für die Frauen geben?

Ja, das stimmt schon. Ich war auch eigentlich immer dagegen. Ich komme ja selbst aus dem so unglaublich strikt regulierten Rennradsport mit all seinen Kategorien und Altersgruppen. Entsprechend wichtig war mir der gemeinsame Start bei Gravelbike-Rennen. So eliminierst du die Unterschiede. Am Start sind erstmal alle gleich, der Rest regelt sich dann im Rennen. Allerdings sind wir inzwischen so weit, dass es Frauen und Männer gibt, die vom Gravelbike-Sport leben. Es geht also um Geld, es geht um Karrieren. Und damit gibt es auch diese Einstellung, einfach alle legalen Mittel zu nutzen, um nach vorne zu kommen. Das kann dann etwa dazu führen, dass manche Frauen sich über weite Strecken von männlichen Helfern ziehen lassen.

Aber wie du schon sagst: Verboten ist das ja nicht.

Genau, das ist erlaubt. Aber es fühlt sich trotzdem nicht richtig an. Es verändert die Natur des Rennens. Und genau das möchten wir durch die getrennten Starts von Frauen und Männern verändern. Dabei sprechen wir wohlgemerkt nur von den Profis. In allen anderen Bereichen bleibt es beim gemeinsamen Start. Aber wir wollen das jetzt einmal ausprobieren und sehen, was passiert. Unser Ziel ist es, dass die Frauen wirklich untereinander um den Sieg kämpfen können.

Wie genau habt ihr das geplant?

Wir möchten den Start von Männern und Frauen so weit wie möglich auseinanderziehen. Wahrscheinlich werden es etwa zehn bis 15 Minuten. Alle Männer, die dann noch von den schnellen Frauen überholt werden, dürften in der Regel zu schwach sein, um das Renngeschehen zu beeinflussen.

Aber was ist mit Männern, die sich bewusst zurückfallen lassen? Oder die zum Beispiel plötzlich einen Defekt haben, der zufälligerweise nach genau zehn bis 15 Minuten wie von Zauberhand verschwindet?

Wir können nicht alles kontrollieren. Das wird zu kompliziert. Wie gesagt, wir wollen es ausprobieren und sehen, was passiert. Das Fahren im Windschatten werden wir jedenfalls nicht verbieten. Ich glaube an den Geist des Sports. Die Teilnehmerinnen sollten in solchen Fällen selbst einsehen, dass es nicht der Sinn der Sache ist, sich von einem Mann durchs Rennen ziehen zu lassen. Selbst wenn es offiziell nicht verboten ist.

Kommen wir nochmal zurück zum Gravelbike selbst. Wie beurteilst du die Entwicklung der vergangenen Jahre?

Ich glaube wir müssen hier zwischen den USA und Europa unterscheiden. Das, was bis etwa 2018 in den USA passiert ist, war für mich das echte Gravelbiking. Da waren Rennen über mehr als 300 Kilometer einfach ein großes Abenteuer für den ganzen Tag. Da ging es auch viel um Selbstfindung. Es war cool, wenn du gewonnen hast, aber wirklich wichtig war das nicht. Die Frage war eher, ob du der Herausforderung überhaupt gewachsen bist. Damals sind normalerweise mehr als die Hälfte der Starterinnen und Starter gar nicht ins Ziel gekommen.

Was hat sich dann verändert?

Durch Formate wie Unbound Gravel, Belgian Waffle Race oder auch unser SBT Grvl ist das Racing immer wichtiger geworden. Gleichzeitig werden die Rennen immer kürzer. Waren es ursprünglich mehr als 300 Kilometer, wurden erst Distanzen um die 225 Kilometer immer populärer. Und in diesem Jahr waren die 160 Kilometer, also 100 Meilen, erstmals das beliebteste Rennen bei SBT Grvl. Der Unterschied zwischen "Racing" und "Riding" wird immer größer. Aber das macht es auch spannend. Wir haben von blutigen Anfängerinnen bis zu WorldTour-Athleten alles dabei.

Wie bewertest du die Situation in Europa?

Ich glaube die Menschen haben dort noch mehr Respekt vor dem Gravelbiken als Rennsport. Wir müssen sie davon überzeugen, dass wirklich alle mitmachen und in ihrem Tempo fahren können. Wir wollen mehr Menschen erreichen, die einfach eine gute Zeit auf ihrem Gravelbike erleben möchten.

Was glaubst du, wie die Geschichte des Gravelbikes weitergeht?

Ich erlebe, dass wir durch das Gravelbike in den USA eine Aufmerksamkeit und Begeisterung für den Radsport haben, die es lange nicht mehr gab. Das erkennen wir auch durch unsere Zusammenarbeit mit Partnern wie Wahoo, Canyon oder Schwalbe. Sie alle wissen um das große Potenzial im Gravel-Sport. Eine wichtige Frage ist jetzt, wie Fans den Sportlern durch die Saison folgen können. Wie sie Gravelbike-Rennen sehen können.

Hättest du bei der Premiere von SBT Grvl in 2019 gedacht, dass sich das Thema so rasant entwickeln würde?

Nein, das hätte ich nicht gedacht. Ich hätte auch nie geglaubt, dass wir mit dem Rennen solch eine Nachfrage auslösen würden. Wir waren einfach zur rechten Zeit am rechten Ort. Unser erstes Rennen war innerhalb von sechs Tagen ausverkauft. Mittlerweile haben wir doppelt so viele Bewerbungen wie Startplätze. Deshalb verlosen wir die Startplätze mittlerweile nach dem Zufallsprinzip in einer Lotterie. Für mich steht jedenfalls fest, dass das Gravelbike kein Trend ist. Denn Trends und Interessen ändern sich. Aber das Gravelbike wird bleiben.

Wie geht es weiter mit SBT Grvl? Gibt es zum Beispiel Pläne für einen Rennen in Deutschland?

Aktuell konzentrieren wir uns auf unsere drei Rennen auf drei Kontinenten. Die Vermarktung und Organisation dieser Rennen bedeuteten jede Menge Arbeit. Aktuell entwickeln wir eine besondere Idee für Menschen, die an allen drei Rennen teilnehmen. Und dabei geht es nicht nur um die Profis. Ein Rennen in Deutschland planen wir aktuell nicht. Aber das Thema steht definitiv auf unserer Liste.

Zur Person: Amy Charity

Die US-Amerikanerin war von 2013 bis 2015 als Profi-Rennradfahrerin unterwegs. Unter anderem nahm sie an der Straßen-WM 2015 in den USA teil. Im Jahr 2019 gründete sie gemeinsam mit Ken Benesh und dem ein Jahr später verstorbenen Mark Satkiewicz das SBT Grvl. Amy selbst fährt ein Canyon Grail und ist selbst am liebsten auf den Schotterwegen rund um Steamboat Springs unterwegs. Besonders mag sie die versteckten Wege im Grenzbereich zu Wyoming. Gern würde sie zudem einmal mit dem Gravelbike durch Kolumbien fahren.

BikeX werbefrei lesen
Lesen Sie alle Inhalte auf bike-x.de werbefrei und ohne Werbetracking.

Zum Event: Grvl-Serie

Mit dem SBT Grvl in den USA, dem FNLD Grvl in Finnland und dem RADL Grvl in Australien umfasst die Grvl-Serie mittlerweile drei Gravelbike-Rennen auf drei Kontinenten. Die Rennen verzeichnen einen besonders hohen Anteil weiblicher Teilnehmerinnen. Das Preisgeld von 20.000 US-Dollar in den USA, beziehungsweise 20.000 Euro in Finnland, wird in gleichen Teilen zwischen Frauen und Männern aufgeteilt. Dabei erhalten Sieger und Siegerin je 5000 Dollar oder Euro, für den 5. Platz gibt es noch 500 Dollar oder Euro.  © Bike-X

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.