Ist Kolonnenspringen, also der Spurwechsel im Autobahnstau, eigentlich erlaubt? Warum der Rat am Ende immer nur lauten kann, in solchen Momenten Ruhe zu bewahren.
Jeder Fahrer kennt diese Situation: Die Autobahn ist gestopft voll, es fließt zwar, aber nervenaufreibend langsam. Und immer scheint genau die andere Spur die schnellere zu sein. Manche sitzen es aus, andere wechseln dann immer wieder die Spur, um schneller voranzukommen. Ein Verhalten, das auch als "Kolonnenspringen" bekannt ist.
Verboten sei dies zwar nicht, stellt Albert Cermak, Fachanwalt für Verkehrsrecht in München, klar. Allerdings ist Vorsicht geboten, denn bei dieser Art des Überholens können andere Autofahrer schnell gefährdet sein, etwa durch zu geringen Abstand. "Dann kann eine Ordnungswidrigkeit vorliegen. Zudem erhöht der Spurwechselnde sein Haftungsrisiko bei jedem Spurwechsel erheblich."
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Das heißt: Kommt es kurz nach dem Spurwechsel zu einem Unfall, liegt der Schluss nahe, der Spurwechselnde sei schuld. Juristen nennen eine solche Schlussfolgerung "Anscheinsbeweis" für ein Verschulden. Der Spurwechsler muss dann beweisen, dass der Spurwechsel nicht Ursache für den Unfall war.
Was bedeutet "Anscheinsbeweis"?
- In einer konkreten Situation besteht eine Vermutung - zum Beispiel, dass ein Unfall durch mangelnde Sorgfalt beim Abbiegen verursacht wurde. Bewiesen werden kann die Vermutung im konkreten Fall nicht, beruht aber auf allgemeiner Lebenserfahrung: Es ist ein typischer Geschehensablauf, der schon häufig vorgekommen ist. Hier wird also ein Rückschluss aus anderen Fällen auf den neuen Fall übertragen. Der Beklagte - hier der Fahrer, der abgebogen ist - muss dann beweisen, dass in diesem Fall der Ablauf nicht typisch war.
Spurwechsel im Stau bringt nichts
Wegen dieser Risiken raten Experten von Spurwechseln im Stau ab. Sie bringen auch keine messbare Zeitersparnis, zitiert die Deutsche Presse-Agentur (dpa) Sicherheitsexperten des TÜV Thüringen. Dafür bergen sie aber Gefahren: Viele Autofahrer seien im Stau schnell abgelenkt und bemerken Kolonnenspringer womöglich zu spät, was das Risiko für Auffahrunfälle deutlich erhöhe. Wechsle ein Auto die Spur, seien die nachkommenden zum Bremsen gezwungen.
Außerdem wichtig: "Sobald die Fahrzeuge in Schrittgeschwindigkeit fahren oder sich im Stillstand befinden, ist auf der Autobahn eine Rettungsgasse zu bilden", erinnert Cermak. Diese immer wieder zu durchkreuzen, sei nicht Sinn und Zweck der Maßnahme und zudem gefährlich.
Der TÜV Thüringen gibt folgende Tipps, sobald sich ein Stau auf der Autobahn anbahnt:
- Schnellstmöglich Warnblinker anstellen und möglichst behutsam abbremsen, wenn Sie sich einem Stauende nähern.
- Auch bei geringen Geschwindigkeiten oder Stop-and-Go-Verkehr muss genügend Abstand zum vorausfahrenden Wagen vorhanden sein. Hier sollte man je nach Tempo etwa drei Wagenlängen Distanz halten, um rechtzeitig auf einen plötzlichen Stillstand reagieren zu können.
Kolonne auf der Landstraße überholen - darf man das?
Eine andere Situation, die auf Landstraßen häufig vorkommt: Ein Traktor beispielsweise bremst den Verkehr aus. Man möchte am liebsten überholen, sitzt aber nicht im Auto direkt hinter dem Traktor. Grundsätzlich verboten sei es nicht, den Traktor und gleich mehrere weitere Fahrzeuge auf einmal zu überholen, klärt Cermak auf. Zumindest, solange keine "unklare Verkehrslage" vorliege: "Eine solche besteht laut der Straßenverkehrsordnung (§ 5 Abs. 3 Nr. 1), wenn nach allen Umständen mit gefahrlosem Überholen nicht gerechnet werden kann", sagt der Fachanwalt.
Zu empfehlen sei das Überholmanöver aber nicht: "Schwierige Situationen entstehen meist dadurch, dass Fahrzeugführer weiter vorne in der Kolonne nicht damit rechnen, dass ein Fahrzeug von weiter hinten überholt. Sie konzentrieren sich vor allem auf den Gegenverkehr. Kommt es zum Unfall, spricht die Rechtsprechung dem Kolonnenüberholer meist eine Mithaftung am Unfall zu. Denn: Der 'Idealfahrer', der mit Sorgfalt und Geistesgegenwart am Verkehr teilnimmt, überholt eben nicht mehrere Fahrzeuge auf einmal."
Über den Gesprächspartner
- Albert Cermak ist Fachanwalt für Verkehrs- und Arbeitsrecht in München.
Weitere verwendete Quellen
- dpa
- Bundesministerium der Justiz: Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) § 5 Überholen
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