Nach zahlreichen von der Regierung angesetzten Experimenten und Bemühungen des französischen Motorradfahrerverbands sind Staudurchfahrten für Motorräder in Frankreich seit Januar 2025 legal – unter bestimmten Voraussetzungen. Diese erläutern wir euch hier.

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Nach 5 Jahren Laufzeit endete im Januar 2021 in Frankreich ein Experiment zur Staudurchfahrt für Motorräder. Was zur Unterstützung einer Gesetzesänderung geplant war, resultierte aber zuerst einmal im Gegenteil: Es gab mehr Unfälle als zuvor. Seit August 2021 wurde das Experiment unter geänderten Bedingungen bis 2024 wiederholt, dazu mehr weiter unten im Artikel. Das erfreuliche Ergebnis: Das Experiment mündete in einem Gesetz, das die Staudurchfahrt für Motorräder seit 9. Januar 2025 erlaubt.

Voraussetzungen für die legale Staudurchfahrt mit Motorrädern und Rollern in Frankreich:

  • Die Staudurchfahrung ist nur für motorisierte Zwei- und Dreiräder mit einer maximalen Breite von einem Meter legal.
  • Die Staudurchfahrung ist nur auf Autobahnen und Straßen mit zwei Fahrbahnen erlaubt, die durch einen Mittelstreifen getrennt sind und jeweils mindestens zwei Fahrspuren haben.
  • Die dort erlaubte Höchstgeschwindigkeit muss mindestens 70 km/h betragen.

Folgendes muss bei der Staudurchfahrt in Frankreich beachtet werden:

  • Der Stau muss zwischen den beiden Fahrstreifen durchfahren werden, die sich auf den beiden am weitesten links gelegenen Fahrspuren einer Fahrbahn befinden.
  • Bei stehendem Verkehr (auch wenn das nur eine Spur betrifft) beträgt die Höchstgeschwindigkeit 30 km/h. Wenn der übrige Verkehr langsam fährt, beträgt die Höchstgeschwindigkeit 50 km/h.
  • Keine der Fahrspuren darf im Bau oder ganz oder teilweise mit Schnee oder Eis bedeckt sein.
  • Bevor der Fahrer zwischen den Fahrspuren fährt, warnt er andere Verkehrsteilnehmer vor seiner Absicht.
  • Es ist in "Zwischenspuren" verboten, ein anderes Fahrzeug in "Zwischenspuren" zu überholen.
  • Der Fahrer, der den Stau zwischen den regulären Fahrspuren durchfährt, muss auf eine der beiden Spuren zurückkehren, sobald sich der Verkehrsfluss normalisiert. Das ist der Fall, sobald auf einer der beiden Fahrspuren mindestens 50 km/h gefahren wird.

Motorrad- und Rollerfahrer, die gegen diese Vorschriften verstoßen, können von den französischen Behörden ein Bußgeld bekommen, Punkte und Führerscheinentzug sind weitere mögliche Maßnahmen.

So kam es zur erlaubten Staudurchfahrt für Motorräder

Seit 2016 wurde in elf französischen Départments das sogenannte "Lane-Splitting", also die Staudurchfahrung, toleriert. Dabei war es testweise möglich, bei langsamem Verkehr oder Stau, zwischen den beiden äußersten linken Fahrspuren eine weitere für Einspurfahrzeuge zu öffnen, die es Motorrädern möglich machte zwischen den langsamen oder stehenden Autos hindurchzufahren. Erlaubt war für Zweiräder dann eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h bei ausreichendem Abstand zu den stehenden oder langsamen Autos und mit einer Differenz von maximal 30 km/h zu den anderen Fahrzeugen. Das Experiment endete am 31. Januar 2021 mit einem schlechten Ergebnis.

12 Prozent mehr Unfälle im ersten Durchlauf

In Summe mussten für den Testzeitraum 12 Prozent mehr Unfälle auf den freigegebenen Straßen notiert werden als auf den Straßen, wo das Experiment nicht durchgeführt wurde. Hier sank die Zahl der Unfälle gar um zehn Prozent. Jedoch zeigte die abschließende Studie verglichen mit Unfalldaten vergangener Jahre, dass sich 90 Prozent dieser 1.650 Unfälle zwar auf der vorgeschriebenen geteilten Fahrspur ereigneten, aber auch immer unter Beteiligung eines unerwarteten Spurwechsels eines Autos. Die restlichen Unfälle kamen laut der Studie durch unangemessene Geschwindigkeit der Zweiräder zustande. Unterm Strich also alles Situationen, in denen sich nicht an die Vorschriften gehalten wurde. Einen Fehlschlag des Experiments wollten die Studienmacher zu diesem Zeitpunkt deshalb nicht sehen.

Protest der Motorrad- und Rollerfahrer zeigte Wirkung

Im Februar 2021 rief der französische Motorradfahrerverband FFMC (Fédération Française des Motards en Colère) zu einer großen Protestaktion auf. Über 20.000 Biker gingen mit ihren Motorrädern auf die Straßen, um gegen das endgültige Verbot des sogenannten Lane Splittings zu protestieren. Und sie hatten Erfolg: Das Experiment für die Staudurchfahrung wurde unter neuen Rahmenbedingungen wiederholt. Seit August 2021 lief das Experiment erneut. Es war für 3 Jahre angesetzt. Dieses Mal machten 21 Departements mit, zuvor waren es nur 11. Es war also wieder erlaubt, zwischen den Fahrspuren zu fahren: in den acht Departements der Ile de France, im Großraum Lyon, in den Alpes Maritimes, in den Bouches du Rhône, in der Drome, in der Haute Garonne, in der Gironde, im Hérault, im Isère, in Loire-Atlantique, im Nord, in den Pyrénées Orientales, in der Rhône, im Var und im Vaucluse.

Was war neu beim zweiten Durchlauf?

Neu waren im zweiten Versuch der Motorrad-Staudurchfahrung, dass der Verkehr zwischen den Fahrspuren in den Versuchsgebieten ausgeschildert war, um die Autofahrer auf diese Praxis hinzuweisen. Außerdem war es seit Anfang 2022 für die teilnehmenden 21 Departements Pflicht, die Staudurchfahrung als Bestandteil im Motorrad-Fahrschulunterricht zu integrieren. So sollten die Fahrschüler in der Praxis lernen, bei einer Staudurchfahrt schon früh Hinweise und Risiken wahrzunehmen, mit anderen Verkehrsteilnehmern zu kommunizieren, Sicherheitsabstände einzuhalten und die Geschwindigkeit anzupassen – vor allem auch in Abhängigkeit der Geschwindigkeit der überholten Fahrzeuge. Der neue Stoff ist Bestandteil des Fahrschulunterrichts zur Klasse A. In der Theorie ist es aber auch absolut sinnvoll, Autofahranfänger miteinzubeziehen.

Mehr Verkehr verwässert die Statistik

Zuvor kam auch das Verkehrsministerium zu dem Schluss, dass die Ergebnisse der ersten Studie nicht aussagekräftig genug waren. Der Grund: Mehr Verkehr. Gerade im Großraum Paris, wo das Experiment ebenfalls durchgeführt wurde, stieg der Anteil an Zweiradunfällen während des Lane Splitting von 13 in 2015 auf 57 in 2018. So gesehen eine Steigerung von 300 Prozent in vier Jahren. Zeitgleich stieg die Zahl aller anderen Unfälle mit Zweirädern von 310 auf 480, also um gut 54 Prozent und spiegelt so auch den starken Anstieg des Verkehrs in diesem Zeitraum im Großraum Paris wider.

Wie ist es mit der Staudurchfahrt in Deutschland?

In Deutschland gilt das Durchfahren eines Staus rechts der äußersten linken Spur weiterhin als unzulässiges Überholen, weiterhin sind zu geringe Seitenabstände, in der meist von den Autofahrern nicht gebildeten Rettungsgasse an der Tagesordnung. Trotz vieler Petitionen ist hier keine Änderung in Sicht und die dürfte nach der jüngsten Novelle des Bußgeldkatalogs nicht kommen. Denn neu ist seitdem: Wer bei einem Stau keine Rettungsgasse bildet oder diese sogar selbst nutzt (aufgepasst beim Durchschlängeln), muss künftig mit einem Bußgeld zwischen 200 und 320 Euro und einem Monat Fahrverbot rechnen.

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Fazit

Wenn 20.000 Motorrad- und Rollerfahrer zeitgleich auf den französischen Straßen protestieren, kann das nicht übersehen werden. Nach mehrjähriger Laufzeit endete ein Experiment in einer Gesetzesänderung, die es Fahrern motorisierter Zwei- und Dreiräder in Frankreich erlaubt, einen Stau zu durchfahren – unter bestimmten Bedingungen.  © Motorrad-Online

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