Erholung, Rennplanung, Ernährung: Teil 5 unserer Trainingsserie behandelt die oft unterschätzte unmittelbare Wettkampfvorbereitung. Warum sie ein so wichtiges Puzzlestück für ein gutes Ergebnis ist, erklärt Radlabor-Coach Michi Ecklmaier.

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Das Projekt

Eine Saison lang trainiert Redakteur Moritz Pfeiffer angeleitet vom Radlabor streng nach Plan: 5–10 Stunden pro Woche im Familien- und Berufsalltag. Leistungsexplosion oder Stimmungskiller? Die Ziele: Eschborn–Frankfurt und der Granfondo La Stelvio Santini. Ein Selbstversuch zum Mitmachen.

Teil 1 lesen - Idee, handelnde Akteure, Leistungsdiagnostik

Teil 2 lesen - Einstieg ins Intervalltraining + Bikefitting

Teil 3 lesen - Trainingslager optimal nutzen

Teil 4 lesen - Zielgerichtete Intervalle, Einstieg ins Bergtraining, erste Wettkämpfe

Teil 5 lesen - Unmittelbare Wettkampfvorbereitung, Tapering, Rennplanung, Carboloading

Lexikon: Die wichtigsten Begriffe fürs Rennradtraining verständlich erklärt

Das Tapering

Böse Zungen behaupten ja, das Tapering sei meine liebste Phase beim Training. Rein körperlich ist es auf jeden Fall die angenehmste, denn in diesen sieben bis zehn Tagen erholt man sich körperlich und mental für den Wettkampf (siehe Interview). In meinem Fall passt das in doppelter Hinsicht, denn in den letzten Tagen vor meinem Saisonhöhepunkt steht ein Familienurlaub an, bei dem das Rennrad eine untergeordnete Rolle spielt. Größte Herausforderung, bevor es direkt zum Granfondo La Stelvio Santini nach Bormio weitergeht: bei den Bergwanderungen nicht zu übertreiben, um Muskelkater zu vermeiden. Eine gute Nachricht kommt von Radlabor-Coach Michi Ecklmaier: "Was die Ernährung angeht, gelten beim Tapering keine anderen Empfehlungen als sonst. Im Gegenteil: Vor dem Rennen wollen die Energiespeicher gefüllt werden – Stichwort Carboloading."

10-Tage-Countdown zum Wettkampf

  • 10 Tage vor dem Wettkampf: letzte intensivere Einheit
  • 7 Tage vor dem Wettkampf: letzte längere Einheit, maximal drei bis vier Stunden, bei geringer Intensität
  • spätestens 5 Tage vor dem Wettkampf: Materialcheck, Pacing- und Ernährungsstrategie zurechtlegen
  • 1 bis 2 Tage vor dem Wettkampf: Anreise, Startunterlagen abholen, Carboloading, Streckencheck

Experten-Interview zum Thema Tapering

ROADBIKE: Was bedeutet Tapering? Was macht man in dieser Phase?

Michi Ecklmaier: Der Begriff Tapering stammt aus dem Englischen und bezeichnet "Zuspitzung" bzw. "Reduktion". Gemeint ist die unmittelbare Wettkampfvorbereitung, sprich die letzten sieben bis zehn Tage vor dem sportlichen Jahreshöhepunkt. Ziel ist, sich in dieser Zeit körperlich und mental noch einmal richtig zu erholen, um dann am Tag X ausgeruht und frisch die individuelle Höchstleistung abrufen zu können.

Wie genau macht man das?

Man reduziert die Trainingsumfänge auf etwa 60 Prozent der vorangegangenen Trainingsphase. Hat man beispielsweise fünf bis zehn Wochenstunden trainiert, sind es in der Taperingphase noch vier bis sechs. Auch die Intensität wird reduziert.

Welche Fehler sollte man dabei vermeiden?

Zu wenig zu machen – dann fährt das System herunter. Aber genau deshalb trainiert man ja mit weniger Umfang und Intensität weiter. Die größere Gefahr ist, zu viel zu machen. Erstaunlicherweise fällt es vielen Sportler:innen schwer, "loszulassen". Viele machen sich verrückt, wollen bis zum Wettkampf Gas geben, haben Angst, zu wenig zu machen oder gemacht zu haben. Dann wird noch mal richtig viel und auch hochintensiv trainiert. Die Folge: physische und psychische Erschöpfung, und zwar genau dann, wenn man eigentlich topfit sein will...

Wie kann man das verhindern?

Das ist vor allem eine Kopfsache. Klar ist: Wer vorher seine Hausaufgaben gemacht und regelmäßig trainiert hat, holt sich durch das Tapering den letzten Schliff. Wer vorher zu wenig oder falsch trainiert hat, rettet auf den letzten Drücker auch nichts mehr. Deshalb: reduziert weitertrainieren, körperlich und mental Kraft tanken und dann ausgeruht und frisch in den Wettkampf gehen!

"Die Tapering-Phase ist der letzte Schliff auf dem Weg zur Topform." Michi Ecklmaier, Radlabor-Coach

Die Rennplanung

Zugegeben, ich übertreibe es manchmal bei der Rennplanung. Vor meiner ersten Teilnahme beim Ötztaler Radmarathon habe ich unzählige Youtube-Videos vom Timmelsjoch angeschaut und kannte die durchschnittlichen Steigungswerte für alle Kilometer bergauf. Und auch heute "fahre" ich vor einem Rennen wichtige Streckenabschnitte schon mal ausgiebig mit Google Street View ab. Mir persönlich hilft es, genau zu wissen, was mich erwartet – andere macht zu viel Detailwissen vielleicht nervös. Wie genau die eigene Herangehensweise auch aussehen mag: Ich empfehle, sich vorab zumindest rudimentär auf verschiedene Szenarien vorzubereiten. Denn ein DNF – did not finish – will niemand hinter seinem Namen in der Ergebnisliste lesen. Heißer Lesetipp hierzu auch: www.bike-x.de/dnf-vermeiden

Kleine Checkliste vorm Rennen

  • Strecke und Höhenprofil: Wo geht’s lang, gibt es Gefahrenstellen? Wie lang und steil sind die Anstiege?
  • Verpflegung: Wie viele Riegel, Gels und Trinkflaschen kommen mit, wann und wo verpflege ich mich?
  • Pacing-Strategie: Welche Wattwerte kann ich treten, welche Werte sollte ich an Anstiegen anpeilen?
  • Bekleidung: Was sagt der Wetterbericht, wie ziehe ich mich an?

Experten-Interview zum Thema Rennplanung

Körperlich fit zu werden, ist nur die halbe Miete – auch in anderer Hinsicht braucht es Vorbereitung. Radlabor-Coach Michi Ecklmaier verrät, wo genau.

ROADBIKE: Kann man die erfolgreiche Teilnahme an einem Radmarathon oder einem Rennen planen?

Michi Ecklmaier: Auf jeden Fall, denn mit guter Planung kann man körperliche Trainingsdefizite minimieren – oder Topform optimal ausnutzen. Beispiel Pacing-Strategie: Man sollte sich unbedingt Gedanken darüber machen, wie schnell man fahren kann und will. So vermeidet man einerseits, zu überziehen, und andererseits, sich unter Wert zu verkaufen.

Wie macht man das konkret?

Am leichtesten mit einem Leistungsmesser, indem ich vorher analysiere: Welche Werte bin ich bei Leistungsdiagnostiken, im Training und bei meinen Vorbereitungswettkämpfen gefahren? Ich empfehle, bei langen Radmarathons immer mit 75 bis 80 Prozent der FTP zu fahren – sowohl im Flachen als auch am Berg. Bei Jedermannrennen liegt man eher bei 85 bis 95 Prozent der FTP und muss auch schon mal darüber gehen – etwa um sich in einer Gruppe zu halten (Lexikon zu den wichtigsten Trainingsbegriffen und Abkürzungen).

Was macht man ohne Powermeter?

Sehr gut in sich hineinhorchen, schon vorher üben, nach Körpergefühl zu fahren. Auch die Herzfrequenz kann eine Orientierung bieten, schwankt aber sehr stark, je nach Tagesform, Trainings- und Gesundheitszustand oder auch Aufregung. Grundsätzlich: lieber konservativ pacen, um hintenraus noch nachlegen zu können.

Wie fahre ich kräftesparend?

Idealerweise in den ersten 20 Positionen der Gruppe, aber ohne Führungsarbeit zu machen. So vermeidet man den Ziehharmonika-Effekt des Pelotons, ist aber windgeschützt. Bergab gerne weiter vorne oder zumindest mit etwas Sicherheitsabstand. Und: Nach Kurven nicht zu hart antreten, um anaerobe Belastungen zu vermeiden.

Was gilt bei der Ernährung?

Viele Events haben ja Sponsoren für ihre Verpflegungsstationen. Deshalb vorab checken, welche Gels und Riegel gereicht werden, und ausprobieren, ob man diese verträgt. Falls nicht: genug eigene Verpflegung mitführen oder sich gegebenenfalls privat vom Streckenrand versorgen lassen. Grundsätzlich gilt: pro Stunde 60 bis 90 Gramm Kohlenhydrate zuführen. Das heißt: anhand der Herstellerangaben checken, wie viele Riegel, Gels oder Elektrolyte-Getränke diese Menge liefern und vorab im Training und bei Vorbereitungswettkämpfen ausprobieren.

Woran kann das optimale Ergebnis bzw. Erlebnis sonst noch scheitern?

An falscher Kleidung. Wer zu leicht oder zu warm angezogen ist, ruft nicht die beste Leistung ab und scheitert im schlimmsten Fall. Deshalb Wetterbericht checken! Defekte sind besonders ärgerlich, deshalb vorab das Material auf Vordermann bringen, dabei aber bitte keine Experimente mehr wagen.

Erfahrung Eschborn-Frankfurt

Ohne Krise durchkommen und im ersten Viertel aller Teilnehmenden finishen – das waren meine Ziele für die lange Runde bei Eschborn–Frankfurt, meinem ersten von zwei Trainingszielen im Rahmen dieses Selbstversuchs. Beides hat geklappt, der Weg war aber durchaus schmerzhaft: Denn die ersten 20 von 103 Kilometern wurde mit einem unglaublichen 46er-Schnitt durch die Häuserschluchten von Frankfurt geballert. Kurz vor Oberursel – dem Start des 11-Kilometer-Anstiegs zum Feldberg – musste ich die erste Gruppe ziehen lassen. Nach dem höchsten Punkt des Rennens folgten rasante Abfahrten und fiese Gegensteigungen. Bei einer spürte ich etwa bei Kilometer 60 erste Krampfansätze. Angst machte sich breit, den bis zu 19 Prozent steilen Mammolshainer Berg am Schluss nicht fahrend bewältigen zu können. Also fuhr ich fast schon zu konservativ – den Mammolshainer kam ich ohne Krise hoch, bis zum Ziel wurde es wieder richtig schnell. 3:08 Stunden Fahrtzeit bedeuteten Platz 1066 von 5152 Finishern. Das Material hielt, die Verpflegungsstrategie ging auf – insgesamt eine gelungene Generalprobe und ein tolles Erlebnis! Einen ausführlichen Rennbericht gibt’s unter www.bike-x.de/velotour-2024

"Traumwetter, schöne Strecke, jubelndes Publikum in allen Ortsdurchfahrten – Eschborn–Frankfurt war ein tolles Erlebnis!"Moritz Pfeiffer, Redakteur

Das Carboloading

Ich muss zugeben: Meine Ernährung ist ohnehin eher kohlenhydratlastig. Dank eines nutzerfreundlichen Stoffwechsels habe ich mir deshalb bislang zwar keinen nennenswerten Ranzen angefuttert, das fortschreitende Alter arbeitet aber gegen mich ... Gezielt vor einem Wettkampf Kohlenhydrate zuzuführen, kannte ich bis zum Coaching durch das Radlabor nur von den obligatorischen Pasta-Partys vor Radevents. Mich 48 Stunden vor einem Rennen einen Tag lang vollzustopfen, war dementsprechend eine neue Erfahrung. Beim ersten Versuch vor dem Lizenzrennen in Zusmarshausen Anfang April waren die im Beispielplan unten aufgeführten Mengen spätestens ab dem Nachmittagssnack eher selbst verordnete Zwangsernährung als kulinarischer Genuss. Beim zweiten Versuch vor Eschborn–Frankfurt ging’s schon deutlich leichter. Beide Male war das Ergebnis aber positiv: Neigte ich bislang dazu, mich bei Radevents früher oder später leer zu fahren, verhinderte dies in beiden Fällen die Kombination aus Carboloading im Vorfeld und Gels im Wettkampf. Insofern empfehle ich, Carboloading einmal auszuprobieren. Klar ist: Die kulinarische Belohnung nach dem Rennen macht mehr Spaß – in meinem Fall am liebsten Pizza, Döner oder Chips...

Beispielplan für Carboloading

Experten-Interview zum Thema Carboloading

Bei hochintensivem Sport zu essen ist schwer – es nicht zu tun, wäre aber fatal, sagt Radlabor-Coach Michi Ecklmaier.

ROADBIKE: Was ist und was bringt Carboloading?

Michi Ecklmaier: Als Carboloading bezeichnet man das gezielte Auffüllen der Energiespeicher in den 72 Stunden vor dem Wettkampf. Ziel ist, die Leistungsfähigkeit zu optimieren, die Wirksamkeit der Verpflegung unterwegs zu verbessern und Leistungseinbrüche zu vermeiden – Stichwort Hungerast.

Wie genau macht man das?

Indem man futtert, was das Zeug hält. Aber nicht blindlings und alles, sondern ausgewählt. Ziel ist, an einem Tag pro Kilogramm Körpergewicht 8–10 Gramm Kohlenhydrate zuzuführen. Sprich: Ein 80-Kilo-Mensch würde 800 Gramm Kohlenhydrate verputzen. Zur Einordnung: Eine "normale" Tagesration sind 300 Gramm. Entscheidend ist der Zeitpunkt: Zwei Tage vor dem Wettkampf ist erfahrungsgemäß ideal.

Welche Fehler sollte man vermeiden?

Sich mit anderen Dingen satt zu essen und dadurch nicht genug Kohlenhydrate reinzukriegen. Deshalb an diesem besonderen Tag Finger weg von Proteinen und Fetten – greift lieber zu Reis, Nudeln, Haferflocken, Fruchtsäften, glukosehaltiger Nahrung! Und natürlich bewirkt Carboloading eine kurzfristige Gewichtszunahme. Davon bitte nicht verrückt machen lassen, am Wettkampftag ist der Energieverbrauch enorm. Um keine Überraschungen zu erleben, probiert man das Carboloading am besten vorher schon mal aus.

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"Wer schon einen Hungerast erlebt hat, der weiß: Da geht nichts mehr! Deshalb empfehle ich: Carboloading."Michi Ecklmaier, Radlabor-Coach

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