VW belebt eine Uralt-Marke mit einem E-SUV und einem E-Pick-up wieder. Beide treten direkt gegen die etablierte US-Konkurrenz im Segment der Light Trucks an. Und beide setzten dabei auf ur-amerikanische Ansätze, eine rustikale Auslegung und ein überraschungsarmes Design.
Der VW-Konzern ist mit seinen vielen Marken extrem breit aufgestellt. Sie bringen zudem viel Historie mit, die sich mit Blick auf die Elektromobilität gut nutzen lässt. Auch für die angestrebte Expansion auf dem US-Markt. Wie VW bereits im Mai 2022 bestätigte, bringt der Konzern unter dem neuen Markennamen Scout in den USA einen vollelektrischen Pick-up und robusten SUV auf den Markt. "Die Elektrifizierung bietet eine historische Chance, jetzt als Konzern in das hochattraktive Pick-up- und R-SUV-Segment einzusteigen. Damit unterstreichen wir unsere Ambitionen, ein wichtiger Akteur auf dem US-Markt zu werden", erklärte seinerzeit der damalige VW-Boss Herbert Diess. Die Marke Scout wurde 2023 als unabhängiges Unternehmen mit Sitz in den USA wiederbelebt.
Zwei neue Scout-Modelle – SUV und Pick-up
Ende Oktober 2024 war es dann endlich so weit. Nach 44 Jahren Abstinenz betraten zwei neue Scout-Modelle die Bühne der Autowelt. Der Scout Traveler präsentiert sich als großer SUV, der Scout Terra steigt ins Pick-up-Geschäft ein. Formal erinnern beide stark an das Rivian-Duo R1T und Rivian R1S. Typisch amerikanisch setzten beide Scout-Modelle auf eine Body-on-Frame-Konstruktion mit stabilem Leiterrahmen und aufgesetzter Karosserie. Hinten gibt es eine Starrachse, Sperren an beiden Achsen versprechen Offroad-Tauglichkeit. Zudem lassen sich die Stabis an der Vorderachse ausklinken. Der SUV darf bis zu 3,2 Tonnen ziehen, der Pick-up sogar bis zu 4,5 Tonnen. Die Nutzlast bei beiden wird mit über 900 Kilogramm angegeben. Ausgerüstet mit 35 Zoll großen Offroadreifen beträgt die Bodenfreiheit gut 30 Zentimeter. Die Wattiefe soll bei über 90 Zentimeter liegen. Der SUV setzt auf einen Radstand von 3,06 Meter und eine Gesamtlänge von 5,28 Meter. Im Pick-up Terra lauten die Daten: 3,78 Meter Radstand, 5,82 Meter Gesamtlänge. Gleichstand herrscht bei der Breite mit 2,32 Meter sowie wie nahezu bei der Höhe, die mit 1,96 Meter für den Pick-up und 1,94 Meter für den SUV angegeben werden.
Allradantrieb und Range Extender
Angetrieben werden die Scout-Modelle von je einer E-Maschine pro Achse. Die Leistung des Allradantriebs hält VW noch unter der Decke. Das maximale Drehmoment soll bei rund 1.350 Nm liegen. Eingebettet sind die E-Motoren in eine 800-Volt-Architektur, die Ladeleistungen von bis zu 350 kW erlaubt. Ladezeiten nennt Scout nicht. Als US-Modelle sind beide aber auf den NACS-Standard ausgelegt.
Auch bei weiteren Daten bleibt Scout zurückhaltend. Der Spurt auf 60 mph (96 km/h) sei in 3,5 Sekunden möglich. Respektabel, aber interessanter sind die Reichweiten. Bis zu 560 Kilometer sollen möglich sein. Wer einen größeren Aktionsradius braucht, kann optional einen Range Extender ordern. In der dann Harvester getauften Version liefert ein kleiner Benzinmotor per Generator zusätzlichen Strom. Die Reichweite steigt auf bis zu 800 Kilometer. Akku-Kapazitäten? Bislang Fehlanzeige. Dafür kündigt Scout bidirektionales Laden an. Die komplette Bordsoftware lässt sich per OTA lebenslang aktualisieren. Für zusätzliche Verbraucher finden sich 120-Volt-Steckdosen und USB-C-Anschlüsse im Innenraum verteilt. Das 1,67 Meter lange Ladebett des Terra ist zusätzlich mit zwei 120-Volt- und einer 240-Volt-Steckdose bestückt.
Um dem Anspruch als Arbeitsgerät gerecht zu werden, hält die Zubehörliste Dinge wie Seilwinden, Zusatzleuchten, massive Abschleppösen oder Offroad-Stoßstangen bereit.
Einheits-Design innen und außen
Wie bei der Technik setzen beide Scout-Modelle auch beim Design auf das Gleichteil-Prinzip. Der Pick-up Terra tritt als Viertürer mit Doppelkabine und Ladebett an, der Traveler als fünfsitziger SUV. Bis zur B-Säule sind beide identisch, erst dort trennt sich der SUV optisch vom Pick-up. Die Scout-Front charakterisiert eine steil stehende, geschlossene Kühlermaske. Vier LED-Quadrate in den Scheinwerfern nehmen einen LED-Strich als Tagfahrlicht in die Mitte. Die robuste Stoßstange ist mit massiven Abschleppösen bewährt. Den Vorderwagen schützt ein kräftiger Aluminium-Unterfahrschutz. In die hohe, waagrecht ausgerichtete Fronthaube sind zwei Abspannösen integriert. Darunter zeigt sich ein Frunk mit ausziehbarem Ladeboden und darunter liegendem Zusatzstaufach integriert.
Die Heckgestaltung ähnelt der Frontoptik, weicht konzeptbedingt zwischen beiden Karosserievarianten allerdings etwas ab. Der SUV Traveler schnallt sich das Reserverad seitlich wegklappbar hinter die Heckklappe, die sich zweigeteilt öffnen lässt. Auch hier lässt sich ein Ladeboden ausziehen. Der Pick-up Terra packt das Reserverad an den Unterboden und bietet lediglich eine nach unten klappende Ladebordwand. Weitere Gimmicks sind bislang nicht zu entdecken.
Einheitslook auch bei der Cockpitgestaltung. Die horizontal ausgerichtete Armaturentafel wird von einem großen Touchscreen in der Mitte dominiert. Darunter sitzt eine ganze Reihe mit Direktwahltasten und zwei Drehreglern. Der Pilot erhält seine Infos über ein zweites Display. Alle Oberflächen werden aus Leder, robusten Textilien und Holz-Look-Applikationen gestaltet. In der ersten Reihe können Kunden zwischen einer Zweisitzer-Konfiguration mit breiter Mittelkonsole inklusive Cupholder oder einer durchgehenden Dreierbank wählen. Im Dachbereich besteht die Auswahl zwischen Blech, Faltschiebedach und abdunkelbarem Glaspanoramadach.
Die Preise
Vorbestellbar sind Scout Terra und Scout Traveler mit einer Reservierungsgebühr von 100 Dollar ab sofort. Konkrete Grundpreise nennt Scout noch nicht, verspricht aber ein Einstiegslevel von unter 60.000 Dollar. Da beide Autos, inklusive der Batterien, in den USA gebaut werden, sind sie für den US-E-Autobonus in Höhe von 7.500 Dollar qualifiziert. Umgerechnet kosten die Scouts-E-Modelle so ab rund 55.500 Euro (abzüglich Bonus: ab rund 48.600 Euro).
Magna als Entwicklungspartner
Die Serienproduktion soll Ende 2026 anlaufen. In den Markt starten die Scout-Modelle dann 2027. Auch bei der Präsentation der Scout-Modelle hielt sich VW bedeckt, wer der Kooperationspartner bei der Entwicklung war. Medienberichte hatte im Vorfeld Magna ins Spiel gebracht. Wie die "Kleine Zeitung" aus Österreich berichtete, hat VW den Entwicklungsauftrag für zwei Modelle an Magna vergeben. Rund 450 Millionen Euro hat sich VW diese Fremdentwicklung kosten lassen. Fertigen wird VW die Autos dann allerdings in Eigenregie. Für die Formgebung der Scout-Modelle wurde Ex-Fiat-Chrysler/Stellantis-Designer Chris Benjamin angeheuert.
Zusätzlich hat Scout ein eigenes Forschungs- und Entwicklungszentrum unter dem Namen Scout Innovation Center in Novi, Michigan, eingerichtet. Dort werden die Produkt-, Design- und Engineering-Teams von Scout Motors sowie Mitglieder funktionsübergreifender Support-Teams untergebracht. 200 Mitarbeiter sollen hier beschäftigt werden.
So wurde die Marke Scout wieder eingeführt
Zur möglichen Namensgebung gab es im Vorfeld zahlreiche Hinweise und Gerüchte. Diverse Patentanmeldungen von Scout in den USA gaben aber schon einen gewissen Korridor vor. Unter den 42 Patentanmeldungen beim amerikanischen Patentamt finden sich neben diversen Marketingslogans und Bezeichnungen, die in der Vergangenheit mit Scout in Verbindung standen, auch 13 neue, die mögliche Modellbezeichnungen für die kommenden Modelle vorwegnehmen. Besonders vielversprechend klingen Scout Hauler, Scout Reaper, Tellus und Travelstar XL. Acht weitere geschützte Wortmarken zeigen eine Verbindung zum Namen Harvester (übersetzt: Mähdrescher oder Erntemaschine), wobei Harvester auf die ursprüngliche Markenabstammung von International Harvester (siehe letzter Absatz) abzielt. Swather, Cultivator, Grade, Thresher, Forma, Harrow, Baler und Scythe bezeichnen alle landwirtschaftliche Geräte.
Der Rest der neu geschützten Bezeichnungen reüssiert auf alte Ausstattungsvarianten oder Sondermodelle der alten Marke Scout. Dazu zählen Travelstar, Rallye, Traveltop, Aristocrat, Trailstar, Terrastar, Scout Terra, Terra, Sportstar und Sno-Star. Darüber hinaus hat sich Scout auch verschiedene Modellbezeichnungen früherer Scout-Modelle neu schützen lassen. Darunter fallen Bezeichnungen wie Scout 80, Scout 800, Scout II, Super Scout, SSII oder SR-2.
Scout mit eigenem US-Werk
Ende 2022 galt der Bau einer weiteren Fabrik neben dem bestehenden VW-Werk Chattanooga noch als unwahrscheinlichste Lösung. Nach ersten Gerüchten Ende Februar 2023, dass VW für Scout doch ein eigenes US-Werk plant, gab es Anfang März die offizielle Bestätigung. Der VW-Konzern baut für die Marke Scout ein neues Werk in der Nähe von Columbia/South Carolina. Für den Bau des Werks, in dem bis zu 200.000 Autos jährlich gefertigt werden können, wurde am 15. Februar 2024 der Grundstein gelegt. VW investiert zwei Milliarden Dollar in das Projekt, das langfristig rund 4.000 Arbeitsplätze schaffen soll. Vom US-Bundesstaat South Carolina erhält der Autobauer im Rahmen des Inflation Reduction Act (IRA) Zuschüsse für die klimaschonenden Investitionen in Höhe von 1,29 Milliarden Dollar. Zusätzlich kann VW mit Steuergutschriften von bis zu 180 Millionen Dollar an für die Entwicklung von Arbeitsplätzen rechnen.
Das neue Werk wird allerdings ausschließlich Fahrzeuge für die Marke Scout produzieren und nicht für andere Konzernmarken wie Volkswagen oder Audi. Das bestätigte eine ein Sprecher von VW USA gegenüber der Automotive News. Zuletzt hatte es entsprechende Spekulationen gegeben, nachdem EX-Audi-Vorstandschef Markus Duesmann noch in 2023 der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" sagte, Audi möchte künftig Elektroautos in den USA bauen. Mit den neuen Subventionen aus dem Inflation Reduction Act sei der Bau eines US-Werks für Elektroautos natürlich hochattraktiv geworden. Eine Entscheidung für Audi sei aber noch nicht getroffen. Ein eigenes Audi-Werk oder ein Werk mit anderen Marken des VW-Konzerns sei möglich. "Die Wahrscheinlichkeit, dass wir das im Konzernverbund machen, ist allerdings groß", erklärt Duesmann seinerzeit.
Mit der neuen Marke und den dazugehörigen Modellen will VW endlich die lange angestrebten zehn Prozent Marktanteil erreichen. CEO von Scout wird Scott Keogh. Die Verantwortung für das operative Geschäft der Volkswagen Group of America wird Keogh an die Führungsebene der Volkswagen Group of America rund um den neuen CEO Pablo Di Si abgeben, um sich ausschließlich auf die Entwicklung von Scout zu konzentrieren. Eine erste Idee zur Wiederbelebung von Scout hatte der ehemalige VW-USA-COO Johan De Nysschen bereits im September 2021 formuliert. Die neue Marke Scout hat nichts mit den bekannten Scout-Modellen aus dem Skoda-Programm zu tun.
Namensrechte liegen bei VW-Tochter Navistar
Aber der Reihe nach: Um seinem Lkw-Geschäft international mehr Gewicht einzuhauchen, hat die VW-Nutzfahrzeuggruppe Traton Ende 2020 den US-LKW-Hersteller Navistar übernommen. Zu Navistar gehört auch die Marke International. Die wiederum hatte zwischen 1961 und 1980, noch unter dem Namen International Harvester, mit dem Scout einen robusten Geländewagen im Programm, der es durchaus mit den Wettbewerbern von Ford, Jeep und GM aufnehmen konnte. Vom Scout wurden seinerzeit auch die beiden legendären Schweizer Geländewagen Monteverdi Safari und Sahara abgeleitet.
Im Rahmen eines Pressegesprächs in den USA hatte De Nysschen seinerzeit ausgeführt, dass man den Namen Scout durchaus wiederbeleben könnte. Und zwar mit einem Geländewagen, der – wie damals – direkt gegen den Jeep Wrangler und den Ford Bronco antritt. Als Zielpreis hatte der Manager dabei rund 40.000 Dollar angegeben. Mittlerweile siedelt Scout-Boss Keogh den Grundpreis für die kommenden SUV-Modelle eher im hohen 40.000-Dollar-Bereich an. Damit diese Idee zeitgemäß antritt, wäre natürlich ein Elektroantrieb gesetzt. Damit können die Wettbewerber bislang noch nicht glänzen. Eine Neuentwicklung mit Verbrenner wäre zudem in der aktuellen VW-Strategie nicht mehr denkbar. Unter dem Label International Harvester könnte ein neuer Scout aber nicht kommen, denn das fiel bereits 1985 bei der Navistar-Umstrukturierung an den US-Traktorenhersteller Case IH. © auto motor und sport
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