Chinas Autohersteller befinden sich auf Expansionskurs. Nachdem BYD, Geely und Co. den einheimischen Markt erobert und weitgehend gesättigt haben, streben sie jetzt mit aller Macht in andere Regionen. In Europa fassen die Autobauer aus der Volksrepublik immer stärker Fuß (wenn auch in Deutschland langsamer als gedacht); perspektivisch dürften sie auch in den USA und anderswo um Marktanteile kämpfen wollen. Doch ganz so schnell, wie sie sich das in China wünschen, geht der Etablierungsprozess außerhalb des eigenen Landes nicht vonstatten. Das liegt zu einem gewissen Teil an einem ganz praktischen, fast schon banal anmutenden Problem: Es gibt derzeit keine ausreichenden Frachtkapazitäten, um die gewünschte Menge an Autos auf dem Seeweg in die Welt zu transportieren.

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Einer Studie der Londoner Schifffahrts-Beratungsagentur Clarksons zufolge liegt das vor allem an Nachwirkungen der Corona-Pandemie. Präziser: An Fehleinschätzungen vieler Reedereien in dieser Zeit, in der die globalen Handelswege und Lieferketten zeitweise in weiten Teilen zusammenbrachen. Dies betraf auch den internationalen Autohandel, weshalb sich viele Reedereien zwischen 2020 und 2022 dazu entschieden hatten, einen Großteil ihrer in die Jahre gekommenen Roll-on/Roll-off-Schiffe ("Ro-Ro") verschrotten zu lassen. Neue Frachter wurden dagegen in dieser Phase kaum bestellt, was laut Clarksons in erster Linie mit der Unsicherheit bezüglich künftiger klimafreundlicherer Treibstoffe liegt.

Autoexport wächst, Frachtkapazität stagniert

Doch im Vergleich zu 2019, dem letzten vollen Jahr vor Ausbruch der Corona-Pandemie, ist der globale Autotransport auf dem Seeweg im vergangenen Jahr um 19 Prozent auf etwa 24 Millionen Fahrzeuge gestiegen. Einer der Haupttreiber dieses Wachstums ist China, von wo aus mehr als vier Millionen Autos in andere Regionen der Welt verschifft wurden. Besonders stark wuchs der Anteil an Elektro- und Hybridautos (29 Prozent 2023, nur neun Prozent 2019), die bekanntlich meist schwerer und oft größer sind als ihre Pendants mit reinen Verbrennerantrieben.

Das Problem: Im selben Zeitraum nahm die Flottenkapazität den aktuellsten Clarksons-Zahlen zufolge nur um ein Prozent zu. Das führt zu extrem hohen Chartergebühren: Ein Ro-Ro-Frachter mit Platz für 6.500 Autos kostete zum Ende des gerade vergangenen Jahres 115.000 Dollar pro Tag (aktuell knapp 106.000 Euro). Das ist ungefähr zehn Prozent mehr als zum gleichen Zeitpunkt 2022 und mehr als das Doppelte des Vor-Corona-Höchstwerts aus dem zweiten Quartal 2008. Gegenüber 2019 stiegen die Charterraten dem "Handelsblatt" zufolge gar um das Siebenfache. Pro Auto kostet der Transport von China nach Europa deshalb derzeit zwischen 700 und 800 Dollar (644 bis 736 Euro). Kein Wunder, dass die auf Autotransporte spezialisierten Reedereien aktuell besonders hohe Gewinne und Aktienkurse verzeichnen.

Kurzfristig kaum Besserung in Sicht

Kurzfristig dürfte sich die Situation für die Autohersteller kaum entspannen. Fast die Hälfte aller Autotransporter sind 15 Jahre oder älter und müssen demnächst ausgemustert werden. Aufgrund inzwischen erfolgter Neubestellungen für Ro-Ro-Frachter rechnet Clarksons für die Jahre 2024 und 2025 immerhin mit einem Flottenwachstum von ungefähr acht Prozent. Das Schiffsmaklerbüro Transport Overseas geht laut "Handelsblatt" davon aus, dass sich das Verhältnis von Angebot und Nachfrage beim Frachtraum für Autotransporte erst 2027 ausgleicht.

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Denn erst jetzt steuert die Branche mit Macht gegen, um langfristig mehr Frachtkapazitäten bereitzustellen. Allein 2023 wurden 80 neue Autofrachter mit der Gesamtkapazität von etwa 677.000 Autos bei Werften in Auftrag gegeben; laut Clarksons ein neuer Rekord. Der absolute Großteil davon, nämlich etwa 85 Prozent, wird in China gebaut. Der chinesische Autokonzern BYD hat sogar eine eigene Autofrachterflotte in Auftrag gegeben. Acht RoRo-Schiffe wurden fest, zwei weitere optional bestellt. Das erste Exemplar, die "Explorer 1" mit Platz für mehr als 7.000 Autos, absolvierte kürzlich ihre Jungfernfahrt. BYD folgt damit dem Modell des Autokonzerns Hyundai, der über seine eigene Reederei Glovis ebenfalls eine eigene Frachterflotte betreibt. Diese besteht aus etwa 60 Schiffen.

Drei Jahre von Auftrag bis Auslieferung

Ebenfalls 85 Prozent der georderten Schiffe sollen mit alternativen Kraftstoffen wie LNG ("Liquefied Natural Gas", also Flüssigerdgas) oder Methanol fahren. Auch die BYD-Flotte ist mit bivalenten LNG-Antrieben ausgerüstet. Doch bis alle kürzlich bestellten, oft rund 200 Meter langen Ro-Ro-Frachterriesen fertig sind, wird es noch eine ganze Weile dauern. Üblicherweise beträgt die Zeitspanne vom Auftrag bis zur Auslieferung eines solchen Schiffes etwa drei Jahre. Die internationalen Autobauer – insbesondere die chinesischen – werden also noch eine Weile weniger Autos in die Welt schicken können, als sie eigentlich wollen.

Hinweis: Im Video und in der Fotoshow informieren wir Sie noch einmal über das Feuerdrama auf dem Autotransporter "Fremantle Highway" im Sommer 2023.  © auto motor und sport

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