• Nicht erst seit den letzten Enthüllungen einer Ex-Facebook-Mitarbeiterin werden die Auswirkungen von sozialen Medien auf Psyche und Gesellschaft diskutiert.
  • Studien zeigen, dass die intensive Nutzung von Social Media psychische Erkrankungen nach sich ziehen kann.
  • Kinder und Jugendliche sind besonders gefährdet. Wie gelingt ein gesunder Umgang mit sozialen Medien?

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Durch die Veröffentlichung interner Informationen brachte Whistleblowerin Frances Haugen ihren ehemaligen Arbeitgeber in Erklärungsnot. Die 37-Jährige hatte dem "Wall Street Journal" brisante Informationen über Facebook zugespielt. Diese wurden in der Artikel-Serie "The Facebook Files" aufgegriffen.

Neben Ausnahmeregelungen für prominente Facebook-Nutzer, der Suche nach Auftragskillern über die Plattform und der Verbreitung von Verschwörungstheorien wird in "The Facebook Files" (Bezahlinhalt) auch der Einfluss von Instagram auf junge Nutzer thematisiert.

Aus den geleakten Unterlagen geht hervor, dass im Unternehmen durch selbst in Auftrag gegebene Studien bekannt war, dass Instagram sich negativ auf die psychische Gesundheit auswirken kann – insbesondere auf die junger Mädchen. Die Unterlagen enthalten Sätze wie "Wir verschlechtern das Körperbild bei einem von drei Mädchen im jugendlichen Alter".

So reagiert Facebook auf "The Facebook Files"

Auf die Anschuldigungen von Frances Haugen, die dem Unternehmen unter anderem vorwirft, wegen Interessenkonflikten nicht ausreichend Maßnahmen zum Schutz der Nutzer getroffen zu haben, reagierte Facebook-PR-Chef Nick Clegg mit einem ausführlichen Blog-Beitrag. In diesem betont er, dass Forschende den Einfluss von sozialen Medien auf das Wohlbefinden nicht abschließend bewerten können.

Besorgniserregend wäre es, wenn Facebook diese Art von Forschung erst gar nicht durchführen würde. Für derart komplexe Probleme gebe es keine einfachen Antworten.

Pro und Contra von Social Media

Komplexe Probleme bringt die exzessive Nutzung elektronischer und sozialer Medien in der Tat mit sich. Ein im Jahr 2017 veröffentlichter Bericht von der Royal Society for Public Health fasst zusammen, welchen Einfluss soziale Medien insbesondere auf junge Menschen haben können – positiven als auch negativen:

Positiv:

  • Zugang zu Gesundheitsinformationen
  • emotionale Unterstützung und Aufbau von Netzwerken
  • sich selbst ausdrücken können
  • Freundschaften schließen und pflegen

Negativ:

  • Minderwertigkeitsgefühle
  • Cyberbullying
  • Angstzustände und Depressionen
  • Schlafdefizit
  • verzerrtes Körperbild
  • Angst, etwas zu verpassen

Studien belegen negative Auswirkungen von Social Media auf die Psyche

Die Auswirkungen sozialer Netzwerke auf die Psyche sind längst Bestandteil vieler Studien: Die Online-Befragung "Instagram & Körperbild" von Katrin Döveling von der Hochschule Darmstadt mit Jugendlichen ergab, dass mehr als 50 Prozent der Teilnehmenden durch Instagram einen Druck hinsichtlich ihres Aussehens spüren. Vor allem Mädchen und junge Frauen neigen dazu, sich mit anderen zu vergleichen.

Auch Beauty-Filter können Selbstwert und Körperwahrnehmung verzerren. Eine Statistik der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) zeigt, dass immer häufiger soziale Medien vor allem junge Frauen zu einem Schönheitseingriff motivieren. Viele erhoffen sich dadurch ein optimiertes Erscheinungsbild auf Selfies.

Eine Langzeitstudie der Universität Montreal mit 4.000 Jugendlichen ergab, dass sich mit intensiverer Nutzung von sozialen Medien verstärkt depressive Symptome entwickelten.

Eine Studie des University College London mit rund 11.000 14-Jährigen ergab Ähnliches. Auch hier waren überwiegend Mädchen von Depressionen im Zusammenhang mit intensiver Social-Media-Nutzung betroffen. Zudem zeigte sich, dass Mädchen soziale Medien häufiger nutzen als gleichaltrige Jungen.

Übler Verdacht: Bevorzugen Algorithmen schöne Menschen?

Einige Daten-Analysten vermuten, dass Algorithmen neben Inhalten passend zu den jeweiligen Suchpräferenzen bevorzugt Fotos von möglichst schönen und leicht bekleideten Menschen zeigen. Die gemeinnützige Organisation AlgorithmWatch wollte dem Algorithmus von Instagram auf die Spur kommen.

Allerdings wurde das Datenspende-Projekt beendet, da – so AlgorithmWatch – Facebook damit gedroht habe, "formellere Schritte einzuleiten", sollte das Forschungsprojekt zum Instagram-Algorithmus nicht eingestellt werden.

Im September forderte AlgorithmWatch das Europäischen Parlament und die EU-Mitgliedstaaten in einem offenen Brief auf, eine Gesetzesgrundlage zu schaffen, die Wissenschaftlern, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Journalisten den Zugang zu Daten von Online-Plattformen rechtlich garantiert.

Soziale Medien – eine Gefahr für Kinder?

Wer Plattformen wie Instagram nutzt, kommt an Inhalten mit vermeintlich makellosen Menschen nicht vorbei. Und das ist gefährlich, schließlich sieht man hier nicht die Realität. Sozialpsychologe Hans-Peter Erb rät, sich stets bewusst zu machen, dass man in sozialen Medien oder auch in der Werbung meist eine geschönte Welt sieht – perfekt inszeniert, ausgeleuchtet und digital bearbeitet. Erwachsene können sich das beim Scrollen ins Bewusstsein rücken.

Doch wie sieht es aus, wenn Kinder und Jugendliche Social Media nutzen wollen? Bieten Apps wie Instagram und Co. einen sicheren Raum für junge Mensmchen? Iren Schulz ist Mediencoach bei der Initiative "Schau hin!", die Pädagogen, Eltern, aber auch Kindern und Jugendlichen hilft, Medienkompetenzen zu entwickeln. Was hält sie von Social-Media-Plattformen in den Händen von Kindern?

"Grundsätzlich finde ich es wichtig bei der Entscheidung, ob das Kind Social Media nutzen darf, auf das Alter zu achten. Nicht umsonst sind Social-Media-Plattformen offiziell für Kinder ab 13 Jahren oder älter empfohlen oder freigegeben", sagt Schulz im Gespräch mit unserer Redaktion. Dass WhatsApp erst ab 16 ist, sei auf den ersten Blick nicht plausibel und jenseits unserer Lebenswelt, zeige aber an, dass es sich um Angebote mit Ecken und Kanten handelt, die Kinder voll umfänglich noch nicht verstehen können.

"Gerade Apps wie TikTok oder Instagram, die auch bei Grundschulkindern schon hoch im Kurs stehen, haben ebenfalls Ecken und Kanten, die nicht ohne sind. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern von den Altersgrenzen wissen", sagt Iren Schulz.

Klare Regeln für Social-Media-Nutzung vereinbaren

Eltern, die unsicher sind, rät sie: "Wenn Eltern kein gutes Bauchgefühl haben, vielleicht weil das Kind in seiner Entwicklung und Fähigkeiten das alles noch nicht richtig verstehen kann, dann können Eltern auch nein sagen. Oft fragen Eltern uns, ob sie ihre Kinder ausgrenzen, wenn sie ihnen die Nutzung sozialer Medien verbieten. Man kann durchaus Grenzen setzen, das ist durchaus richtig und wichtig für die Entwicklung."

Wer seinen Kids die Nutzung erlauben möchte, sollte das Profil gemeinsam mit den Kindern so sicher und eingegrenzt wie möglich einrichten und klare Regeln darüber vereinbaren, was nicht gepostet werden darf oder dass Bescheid gegeben werden muss, wenn Fremde sie kontaktieren.

"Bei TikTok gibt es mittlerweile auch Elternbereiche. So können die Eltern verfolgen, was geschieht. Hier ist es aber ganz wichtig, das nicht heimlich zu machen. Gespräche, Transparenz und Austausch halte ich für den sicherlich anstrengendsten Weg, langfristig aber für den sinnvollsten", sagt Schulz.

Sicheres soziales Umfeld für Kinder schaffen

Zwar lässt sich eingrenzen, wer das eigene Profil sehen kann. Doch wie sieht es mit ausgespieltem Content wie unrealistischen Körperbildern aus? "In den Medien gab es ja schon immer Vorbilder, die diskussionswürdig sind. Mit Social Media haben sich sehr stereotype Körperideale und Rollen für Mädchen und Jungen entwickelt. Die wirken oft sehr nahbar. Als wäre es die beste Freundin von nebenan, die mir sagt: 'Du kannst auch so aussehen, wenn du dir mal ein bisschen Mühe gibst.'" Auch gefährliche Challenges seien hochproblematisch, sagt die Medienpädagogin.

Deshalb sei es wichtig, Kindern ein gutes soziales und emotionales Fundament mitzugeben. "Sind Kinder gut gestärkt und sozial eingebunden, dann sind sie eher nicht dafür anfällig." Medien seien selten eine Ursache, sondern eher ein Ventil. "Ist ohnehin schon im echten Leben viel Unsicherheit da, wenig Bestätigung, dann suchen sich Kinder und Erwachsene immer mehr Anerkennung und Erfolg in den Medien. Und dann gerät das in eine Schieflage. Man wird es nicht schaffen, Kids von diesen Inhalten fernzuhalten. Wichtig ist es, ein gutes Fundament zu legen und im Gespräch zu bleiben", rät Schulz.

Was tun bei Cybermobbing?

Neben Fake News und Hate Speech, also Hasskommentaren, spielt auch Cybermobbing eine zunehmende Rolle im virtuellen Raum. Eine Studie zum Thema Cybermobbing (PDF) bei Schülerinnen und Schülern vom Bündnis gegen Cybermobbing und der Techniker Krankenkasse ergab, dass die Zahl der Betroffenen zwischen acht bis 21 Jahren seit 2017 um 36 Prozent gestiegen ist – das sind rund zwei Millionen junge Menschen.

Was können Kinder und Eltern unternehmen, wenn im Netz gemobbt wird? Medienpädagogin Schulz rät, die Spirale umgehend zu unterbrechen, also die Nutzung des Mediums zu unterbinden und so viele Beweise wie möglich zu sammeln, falls rechtliche Schritte eingeleitet werden.

"Natürlich muss man das auch emotional auffangen. Kinder, die Opfer von Mobbing im Netz geworden sind, müssen aus diesem Teufelskreis geholt und positiv bestärkt werden", sagt die Medienexpertin.

Es sei wichtig, ein sicheres Umfeld zu schaffen, einen Ort, an dem sie nicht attackiert werden können. "Für die Opfer ist es zudem von Bedeutung zu wissen, wer die Täter waren. Mobbing gab es ja schon immer. Neu beim Cybermobbing ist, dass man oft nicht weiß, von wem es ausgeht und wer alles schon Bescheid weiß."

Wichtig sei es daher, die Täter zu identifizieren und sie nach ihren Beweggründen zu fragen. "In Schulen gibt es Sozialarbeiter oder Konfliktlotsen. Also: nicht nur rechtlich aktiv werden, sondern auch versuchen, den Vorfall in Gesprächen aufzulösen."

Auch für Erwachsene können soziale Medien gefährlich werden

Auch Erwachsene können durch Hasskommentare oder Fake News in emotionale Ausnahmezustände geraten. Auch kann der ständige Vergleich der eigenen Person mit scheinbar makellosen und bedingungslos glücklichen Menschen zu Minderwertigkeitsgefühlen führen.

Grund für diese negative Emotion ist unter anderem das Idealselbst, ein gewisses Idealbild der eigenen Person, das oft nicht der Realität entspricht. Wird das Idealselbst mit der Realität verglichen, mag man sich selbst weniger.

"Nicht erreichbar zu sein ist für die psychische Gesundheit wichtig"

Gibt es Strategien für einen gesunden Umgang mit den sozialen Medien? Iren Schulz sagt: "Erwachsene müssen sich darüber bewusst sein, dass sie Vorbilder für Kinder sind. Aufgestellte Regeln wie Handyverbot beim Essen müssen Erwachsene den Kindern vorleben."

Generell sei es wichtig, sich medienfreie Zeiten zu schaffen. "Weil wir das Smartphone immer dabei haben, sind wir permanent im Standby-Modus. Wirklich mal nicht erreichbar zu sein ist für die psychische Gesundheit ein sehr wichtiger Punkt."

Wichtig sei auch, eine kritische Distanz zu Inhalten zu bewahren und den Unterschied zwischen Meinung und Nachricht zu verinnerlichen. "Das sollte auch schon in der Schule vermittelt werden: 'Wie erkenne ich Fake News? Wie komme ich schnell an seriöse Informationen, ohne stundenlang recherchieren zu müssen?'"

Das werde nirgendwo vermittelt, weder Erwachsenen noch Kindern. "Die Frage ist, ob Familien das alles leisten können, neben all den anderen Aufgaben, die anfallen", kritisiert Schulz. An dieser Stelle sieht die Medienpädagogin die Politik in der Verantwortung. Ihrer Meinung nach müssten diese Themen verbindlich im Schulplan stehen.

Über die Expertin: Dr. Iren Schulz ist Mediencoach bei "Schau hin!", Medienpädagogin und selbst Mutter einer Tochter. Als freie Dozentin im Bereich Medienkompetenz und Medienbildung bietet sie deutschlandweit Fortbildungen, Workshops und Projekte an. Im Mittelpunkt stehen aktuelle Themen wie Cybermobbing, Mediensucht und Datenschutz sowie Fake News, YouTube und Sexualisierung. An der Universität Erfurt ist Iren Schulz Dozentin im Masterstudiengang Kinder- und Jugendmedien und im Studiengang Pädagogik der Kindheit.

Verwendete Quellen:

  • The Wall Street Journal: the facebook files
  • Bündnis gegen Cybermobbing: Cybermobbing: Jeder sechste Schüler betroffen. Anstieg von 36 Prozent - Corona verstärkt das Problem
  • Royal Society for Public Health: Social media and young people's mental health and wellbeing
  • AlgorithmWatch: Undress or fail: Instagram’s algorithm strong-arms users into showing skin
  • AlgorithmWatch: Facebook macht dicht: Forschung braucht Zugang zu Plattformen
  • UCL: Heavy social media use linked to depression in young teens, new study shows
  • Jama Network: Association of Screen Time and Depression in Adolescence
  • Katrin Doeveling: Eine aktuelle Onlinebefragung zur Nutzung und Wirkung von Sport- und Fitnessinhalten auf Instagram
  • DGÄPC: Umfrage: Motiviert der Selfie-Boom immer häufiger zu Schönheitsoperationen?
  • about.fb: What the Wall Street Journal Got Wrong
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