• Autoantikörper können sich gegen körpereigene Strukturen richten und auch Teile der Immunabwehr außer Kraft setzen.
  • In letzter Zeit wurde viel zu Autoantikörpern gegen Typ-1-Interferone geforscht, die für die Bekämpfung von Viruserkrankungen wie COVID-19 besonders wichtig sind.
  • Studien haben ergeben, dass diese Autoantikörper vor allem für ältere Männer ein Risikofaktor sind.

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COVID-19 ist eine Erkrankung mit besonders vielen Facetten: Wer wird überhaupt krank? Warum erkrankt jemand schwer? Warum haben die einen lange mit den Folgen zu kämpfen, andere nicht? Die Wissenschaft versucht darauf Antworten zu finden und hat ihren Fokus hier zuletzt verstärkt auf die sogenannten Autoantikörper gelegt.

Autoantikörper werden wie "normale" Antikörper vom Immunsystem gebildet, sind aber "fehlprogrammiert". Denn sie richten sich nicht gegen schädliche Eindringlinge von außen, sondern gegen körpereigene Strukturen. So können sie etwa eigene Körperzellen angreifen und schädigen.

Ist der Körper nicht in der Lage, ihre Produktion einzustellen, kann sich das zu Autoimmunerkrankungen wie zum Beispiel Rheuma oder Colitis ulcerosa auswachsen.

Fehler im System

Einige dieser Autoantikörper richten sich speziell gegen Botenstoffe, die für die Abwehr von Viren zuständig sind, die sogenannten Typ-1-Interferone. "Virusinfizierte Zellen schütten diese Botenstoffe aus. Sie sorgen dafür, dass sich benachbarte Zellen, die nicht befallen sind, verschließen und nicht mehr infiziert werden können. Die befallenen Zellen werden von den T-Zellen zerstört", erklärte der Kinder- und Jugendarzt Horst von Bernuth von der Charité in Berlin im Gespräch mit unserer Redaktion.

Werden die Interferone durch Autoantikörper neutralisiert, wird die Immunabwehr geschwächt. Doch wie sehr wirkt sich das bei COVID-19 aus? Vor allem ein Team von Wissenschaftlern unter anderem der Universität Paris und der Rockefeller-Universität in New York hat hier Interessantes herausgefunden.

Ein Risikofaktor vor allem bei Männern über 65

Die Forscher um Paul Bastard und Lindsey B. Rosen haben das Blut von mehr als 1.600 COVID-19-Erkrankten nach Typ-1-Interferonen untersucht. Dabei entdeckten sie, dass bei den 987 Patienten, die lebensbedrohlich an COVID-19 erkrankt waren, mehr als 10 Prozent Autoantikörper gegen bestimmte Typ-1-Interferone hatten. Von den 663 Menschen, die einen milden oder einen Verlauf ganz ohne Symptome hatten, hatte hingegen kein einziger diese Antikörper.

Insgesamt waren bei 10 Prozent der Patienten mit schweren Verläufen die Autoantikörper gegen Typ-1-Interferone vorhanden. "Die Studienergebnisse zeigen, dass das Vorhandensein von Autoantikörpern mit einem schweren COVID-19-Verlauf korreliert", sagt Horst von Bernuth, dessen Hauptforschungsgebiet angeborene Immundefekte sind.

Jedoch gelte das nicht für alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen. "Besonders bei Männern über 65 Jahren ist das ein Risikofaktor." Bei jüngeren Menschen und bei Frauen hingegen wohl deutlich seltener.

In der Gruppe, die Autoantikörper hatten und schwer an COVID-19 erkrankten, lag der Anteil der Männer bei 94 Prozent. Zudem war rund die Hälfte älter als 65 Jahre. Das führte die Forscher zu der Schlussfolgerung, dass Autoantikörper gegen Typ-1-Interferone bei mindestens 2,6 Prozent der Frauen und 12,5 Prozent der Männer für einen lebensbedrohlichen Verlauf verantwortlich waren.

Jüngere Menschen sind trotz der Autoantikörper immuner

Warum ältere Männer offenbar besonders betroffen sind, ist noch unklar. Eine These der Forscher ist, dass Männer mit zunehmendem Alter mehr Autoantikörper bilden als Frauen im gleichen Alter oder jüngere Männer und Frauen.

Dass Autoantikörper nicht für jeden ein Risikofaktor sind, hat ein Team um Horst von Bernuth, Christian Meisel und Christine Goffinet an der Berliner Charité und dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) selbst jüngst gezeigt. "Unsere Studie hat ergeben, dass es bei Kindern und jungen Erwachsenen, die diese Autoantikörper schon seit sie klein waren aufweisen, keine schweren Verläufe gab", sagt von Bernuth.

Die Untersuchung ist eine Stichprobe, das Ergebnis spricht jedoch nicht gegen die größere Untersuchung aus Paris/New York. Denn die vier Probandinnen der Berliner Studie (13, 14, 22 und 25 Jahre alt) hatten trotz einer großen Zahl von Autoantikörpern gegen Typ-1-Interferone alle einen milden COVID-19-Verlauf. "Wir können uns das im Moment nur so erklären, dass bei Jüngeren, die diese Autoantikörper gegen Typ-1-Interferone haben, ein anderer Teil des Immunsystem einspringt", erklärt von Bernuth.

Autoantikörper entstehen wohl nicht durch die Infektion

Welche Rolle Autoantikörper gegen Interferone oder andere Strukturen des Körpers für die Entstehung von Long Covid spielen, ist noch nicht erforscht. Es wird aber wie in einem Bericht vom Deutschlandfunk angenommen, dass es einen Unterschied macht, ob sie jemand hat oder nicht.

Als unwahrscheinlich gilt hingegen, dass Autoantikörper gegen Interferone erst durch eine Infektion - oder gar durch eine Impfung - entstehen. "Es ist nicht anzunehmen, dass solche Autoantikörper in den ersten zehn Tagen einer akuten Infektion gebildet werden. Eigentlich brauchen sie dafür mehr Zeit", sagt von Bernuth.

Bei den Teilnehmern der Berliner Studie waren die Autoantikörper nachweislich bereits vor der Infektion vorhanden. Das nehmen auch Paul Bastard und seine Co-Autoren für ihre Probanden an - wenn sie es auch nicht für jeden einzelnen Fall nachweisen konnten.

Autoantikörper gegen Typ-1-Interferone sind nicht besonders häufig

Auch wenn Autoantikörper offenbar eine Rolle spielen bei der Frage, warum jemand schwer an COVID-19 erkrankt: Sie sind kein Massenphänomen. In der gesunden Kontrollgruppe der Pariser/New Yorker-Studie hatten nur 0,33 Prozent der Teilnehmer Autoantikörper gegen Typ-1-Interferone.

Andererseits sind laut einer Studie der Universität Yale, die Autoantikörper gegen Typ-1-Interferone die häufigsten bei Patienten mit Autoantikörpern und einem schweren Verlauf. Andere Autoantikörper kamen weniger häufig vor.

Es gibt Möglichkeiten, Menschen mit Autoantikörpern und einer schweren COVID-19-Erkrankung gezielt zu helfen. Eine davon ist die sogenannte Plasmapharese, eine Blutwäsche, bei der die Autoantikörper entzogen werden.

Da Autoantikörper aber nicht für alle Menschen einen Risikofaktor darstellen, raten die Berliner Forscher davon ab, sie präventiv bei Menschen mit Interferon-Autoantikörpern einzusetzen. "Das ist ein massiver Eingriff, das würde man nur bei wirklich nur sehr schwer an COVID-19 erkrankten Menschen machen", sagt von Bernuth.

Verwendete Quellen:

  • Telefoninterview mit Professor Horst von Bernuth, Leiter der Sektion Immunologie der Charité - Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin; von Bernuth ist Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin mit dem Forschungsschwerpunkt "Angeborene Immundefekte"
  • The Journal of Clinical Investigation (JCI): Mild COVID-19 despite autoantibodies against type I IFNs in autoimmune polyendocrine syndrome type I
  • Science: Autoantibodies against type I IFNs in patients with life-threatening COVID-19
  • Nature: Diverse functional autoantibodies in patients with COVID-19
  • Ärzteblatt: Autoantikörper können Patienten langfristig schaden
  • Deutschlandfunk: Greift das Immunsystem den eigenen Körper an?
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