Biohacker verstehen sich als eine Art Do-It-Yourself-Wissenschaftler: Sie versuchen, Körper und Geist mit technischen Errungenschaften und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu optimieren. Der Deutsche Max Gotzler ist einer von ihnen. Ob seine Methoden sinnvoll sind, klärt Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule an fünf ausgesuchten Beispielen.
Morgens erst einmal eine kalte Dusche, um fit in den Tag zu kommen? Brr! Was für einige Menschen schon Überwindung kostet, gehört für Max Gotzler zum Alltag. Der 33-Jährige macht noch ganz andere Dinge, um seinen Körper und seinen Geist zu stärken.
Dazu zählt zum Beispiel, in Unterhose bei Minusgraden einen Berg hinabzurasen oder am Abend die Körperteile mit Rotlicht zu bestrahlen, die tagsüber dem blauen Licht von Bildschirmen ausgesetzt waren.
Max Gotzler bezeichnet sich selbst als Biohacker. Biohacking ist "eine Art der körperlichen und geistigen Selbstoptimierung auf eine systematische Art und Weise", sagt er. Biohacker verstehen sich als Do-it-Yourself-Wissenschaftler: Sie wollen technische Errungenschaften und wissenschaftliche Erkenntnisse nutzen, um gesünder und leistungsfähiger zu sein.
"Letztlich geht es dabei auch um eine Demokratisierung der Gesundheit", sagt der 33-Jährige. "Biohacker nehmen ihr Wohlergehen selbst in die Hand."
Ursprünge liegen in der Selbstvermessungs-Szene
Der 33-Jährige ist ehemaliger Leistungssportler. Er studierte in den USA an der Boston University. "Dort bin ich zum ersten Mal mit dem Thema Selbstvermessung in Berührung gekommen", sagt er.
Jede Woche erhielt er von seinem Fitnesscoach ein Datenblatt, auf dem zum Beispiel sein Körperfettanteil und seine Maximalkraft vermerkt waren. "Das hat mein Interesse daran geweckt, Leistung auf diese Weise zu verfolgen und zu optimieren", sagt er.
Als Gotzler allerdings mit Mitte 20 aus den USA nach Deutschland zurückgekehrte, stellte er fest, dass es hier kaum Möglichkeiten gab, eigene Daten zu erheben und auszuwerten.
"Ich habe dann mit einem Labor zusammengearbeitet und Menschen angeboten, bestimmte Blutwerte zu untersuchen", sagt er. Man konnte bei ihm zum Beispiel ein Kit bestellen, sein Blut einschicken und unter anderem seinen Vitamin-D-Wert messen lassen.
Das eigene Wohlbefinden verbessern
"Viele Menschen haben damals angefangen, alle möglichen Werte zu erheben", sagt der 33-Jährige, der als Vorreiter der Selbstvermessung in Deutschland gilt. Zu diesen Werten zählten zum Beispiel der Puls, die am Tag zurückgelegten Schritte oder auch eine Aufzeichnung des Schlafes.
"Biohacking ist für mich eine logische Folgerung aus der Erhebung dieser Daten", sagt der Ex-Leistungssportler, der auch einen eigenen Blog und einen Podcast betreibt.
Es geht beim Biohacking nicht nur darum, Daten zu sammeln und auszuwerten, sondern sie vor allem sinnvoll einzusetzen. Biohacking funktioniert aber auch, ohne Körperdaten zu erheben. "Letztlich geht es dabei immer um eine Lifestyle-Korrektur", sagt Gotzler.
Durch das künstliche Licht gehen beispielsweise natürliche Rhythmen verloren, die Smartphones mit ihren dauernden Reizen rauben Ruhephasen und letztlich leide bei vielen Menschen der Schlaf.
Nicht jeder "Hack" ist für jeden geeignet
In seinem Buch empfiehlt der 33-Jährige etliche "Biohacks", die dabei helfen sollen, das Leben zu verbessern. "Manche davon sind neu, ich habe aber auch bekannte Methoden recycelt und neu verpackt", sagt er. So schreibt er zum Beispiel, dass viele Menschen davon profitieren, wenn sie regelmäßig meditieren.
Das ist an sich nicht neu. Neu ist aber, dass Gotzler dabei über Neurofeedback bei der Meditation schreibt: Dabei wird die Gehirnaktivität über Elektroden am Kopf gemessen, sodass Menschen eine Rückmeldung bekommen, wenn sie beispielsweise unkonzentriert sind.
Es gibt bereits Geräte, die sich zu Hause einsetzen lassen. Gotzler rät aber auch dazu, dafür einen professionellen Therapeuten aufzusuchen, da es bei falscher Anwendung riskante Nebenwirkungen geben könne.
Grundsätzlich sei es nicht wichtig, alle Tipps im Buch zu befolgen, sagt Gotzler. "Es geht darum, wenig ausgewählte Dinge zu tun, mit denen man sich gut fühlt", so der Biohacker. Zudem sei nicht jeder Tipp für jeden Menschen geeignet. Was helfe, müsse jeder für sich selbst probieren. Er bietet in dem Buch auch einen zweiwöchigen Fahrplan an, um einige Methoden effektiv im Alltag umzusetzen.
Fünf Tipps für den Biohacker unter der Lupe
Was ist nun von den Tipps im Einzelnen zu halten? Hier sind fünf ausgewählte aufgelistet.
1. Kalt duschen
Gotzler empfiehlt, am Morgen kalt zu duschen, um den Körper mit mehr Sauerstoff zu versorgen und um die Fettverbrennung anzuregen. Dazu sagt Professor Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule in Köln: "Kalte Duschen haben einen starken Effekt auf die Thermoregulation des Körpers. Das ist seit Kneipp bekannt. Sie aktivieren den Stoffwechsel und das Immunsystem."
Auch die erhöhte Sauerstoffaufnahme habe einen guten Effekt und sorge dafür, dass man sich nach der Dusche fit und aktiviert fühle. Eine langfristige Wirkung auf den Fettstoffwechsel habe eine kalte Dusche allerdings nicht.
2. Barfuß über Gras, Sand oder Erde gehen
Ein weiterer Tipp im Buch ist, jeden Tag ein paar Minuten barfuß über Gras, Sand oder Erde zu laufen. Damit sollen abgenutzte Elektronen abgegeben und die Mitochondrien, also die Energiekraftwerke der Zellen, entlastet werden. "Grundsätzlich hat es einen guten Effekt, wenn man barfuß durch den Wald läuft", sagt Froböse.
"Es ist auch bekannt, dass elektrische Ladungen im Körper eine Rolle spielen und die Mitochondrien beeinflussen." Wie genau das funktioniere, sei aber wissenschaftlich noch nicht ausreichend erforscht. Trotzdem tue es sicher gut, im Wald spazieren zu gehen.
3. Intensive Übungen in kurzer Zeit absolvieren
Als Training wird im Buch ein High Intensity Interval Training (HIIT) empfohlen. Dabei handelt es sich um intensive Übungen wie Liegestütze oder Kniebeugen, die man in sehr kurzer Zeit ausführt und sich damit bis an die Leistungsgrenzen bringt.
"Bei dem Thema bin ich zwiegespalten", sagt Froböse. "Ich sehe die Gefahr, dass Menschen sich mit diesem Training überfordern. Es ist nicht für jeden geeignet." Zwischendurch könne es aber durchaus eine gute Alternative sein. "Wichtig ist aber auch, dass man die Bewegungen sicher ausführt." Bei Fehlhaltungen drohen sonst Schäden an Muskeln und Sehnen.
4. Körperteile mit Rotlicht bestrahlen
Vor blauem Licht soll man sich mit einer Filterbrille schützen und außerdem die Körperteile, die blauem Licht ausgesetzt waren, am Abend gezielt mit Rotlicht bestrahlen. "Auch das Thema Fotosensorik ist noch nicht ausreichend erforscht", sagt Froböse.
Bekannt ist beispielsweise, dass in der Linse des Auges Lichtsensoren sitzen und die Haut Licht benötigt, um Vitamin D zu produzieren. "Es ist also gut vorstellbar, dass Licht noch viele weitere Effekte auf den Körper hat", sagt der Experte. "Allerdings wissen wir darüber noch nicht genug."
5. Kontrolliert hyperventilieren
Viele Biohacker schwören auf die sogenannte Wim-Hof-Atmung. Das ist eine Art kontrollierte Hyperventilation, die dem Körper mehr Sauerstoff zuführen soll. "Das funktioniert tatsächlich - so etwas setzen zum Beispiel Apnoe-Taucher ein", sagt Froböse. Im Alltag werde diese Atmung aber eher nicht benötigt, so seine Einschätzung.
Selbstoptimierung hat auch Grenzen
Auch Froböse empfiehlt, es mit der Selbstoptimierung nicht zu übertreiben. "Eigentlich wissen wir Menschen alle, was gut für uns ist. Leider machen wir unsere Hausaufgaben oft nicht und gönnen uns zu wenig Phasen für die Regeneration."
Er warnt zudem davor, sich auf selbst erhobene Daten zu verlassen: "Es ist ein Grundproblem, das häufig das gemessen wird, was messbar ist, aber nicht unbedingt das, was Sinn ergibt."
Man müsse die gemessenen Daten auch angemessen einordnen und interpretieren können. "Wichtig ist es immer, den Menschen als Gesamtsystem zu sehen, statt nur an einzelnen Schrauben drehen zu wollen."
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