Immer mehr Länder erlauben den Freizeitkonsum von Marihuana. Dabei fehlen Studien über die Auswirkungen der Droge auf die menschliche Gesundheit, etwa inwieweit Cannabis-Konsum die Körperabwehr schwächt und damit das Risiko für schwere Virusinfektionen erhöht.

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2019 kam es in Hildesheim zu einem ungewöhnlichen Masernausbruch. Ein Fall gab den Fachleuten zunächst Rätsel auf: Denn eine junge, eigentlich gesunde Frau starb. Eine Spur, die die Experten und Expertinnen verfolgten, ergab sich durch die chemisch-toxikologischen Untersuchungsergebnisse. Diese hatten ergeben, dass es sich bei der Verstorbenen um eine aktive Cannabis-Konsumentin handelte.

Ob der Cannabis-Konsum tatsächlich dazu beigetragen hat, dass die 33-Jährige an einer Infektion mit Masernviren starb, kann auch die genaue Analyse des Falles nicht abschließend klären. Ungewöhnlich ist der Tod der fünffachen Mutter allemal.

Sie starb an einer schweren Lungenentzündung, genauer an einer durch Masernviren ausgelösten Riesenzell-Pneumonie. Normalerweise erkranken daran nur Menschen mit einem geschwächten Immunsystem. Doch die junge Frau war bis auf die Maserninfektion gesund. Welche Rolle spielte das Cannabis in diesem Fall und hatte es die Körperabwehr in ihrer Lunge womöglich geschwächt?

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Inhaltsstoffe der Hanfpflanze, die Cannabinoide, können nachweislich beide Arme der Immunabwehr beeinflussen, das angeborene und das erworbene Immunsystem. Viele dieser Aktivitäten seien immunhemmend, schreiben Forschende der McGill University in Montreal/Kanada in einem Übersichtsartikel.

Das könne in bestimmten Situationen, etwa bei chronischen Entzündungen vorteilhaft, in anderen aber schädlich sein. Ob die entzündungshemmende Wirkung die Anfälligkeit oder die Schwere von Infektionen erhöht, insbesondere bei Atemwegserkrankungen, ist unklar.

Nach Uruguay, Kanada, einigen US-Bundesstaaten und Tschechien ist der Cannabis-Konsum für Erwachsene seit dem 1. April 2024 auch in Deutschland legal. "Angesichts der wachsenden Zahl von Ländern und Staaten, die den Freizeitkonsum von Marihuana legalisieren, sind die Auswirkungen auf die Gesundheit im Zusammenhang mit der Krankheitsanfälligkeit ein wichtiger Aspekt, der bewertet werden muss", schreiben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Institut National de la Recherche Scientifique (INRS) im kanadischen Laval.

Was weiß man über die Wirkung von Cannabis auf die Immunabwehr? Wie ist die Studienlage, wo gibt es Wissenslücken und vor welchen generellen Herausforderungen steht die Forschung in diesem Bereich?

Cannabis-Konsumenten setzen ihren Körper einer Fülle an Substanzen aus

Nach Alkohol und Tabak ist Cannabis die dritthäufigste psychoaktive Substanz, die Menschen konsumieren. Schätzungen gehen von etwa 150 Millionen Nutzenden weltweit aus.

Der Gebrauch als Medizinpflanze reicht weit in die Vergangenheit zurück. Bereits vor knapp 4.800 Jahren setzten Heilkundige in China Hanf bei der Behandlung von Schmerzen, Rheuma, Magen-Darm-Erkrankungen und Gicht ein. Auch in Indien findet die Pflanze nachweislich seit über 3.000 Jahren Verwendung als antientzündlicher und antibiotischer Wirkstoff.

Die berauschende Wirkung rührt hauptsächlich vom Inhaltsstoff Tetrahydrocannabinol (THC) her. Doch Cannabis enthält mehr als 500 Inhaltsstoffe, darunter mehr als 100 verschiedene Cannabinoide. Ihre Wirkung entfalten sie unter anderem über die körpereignen Rezeptoren CB1 und CB2, die sich insbesondere auf Nerven- und Immunzellen, aber auch in der Leber, den Knochen und der Schilddrüse befinden.

Diese Rezeptoren sind eigentlich Andockstellen für körpereigene regulatorische Stoffe, die Endocannabinoide. Diese sind wichtig für die Entwicklung des zentralen Nervensystems, für die Plastizität des Gehirns, das Gedächtnis, den Schlaf, die Stimmung, den Appetit und das Schmerzempfinden. Sie sind aber auch an der Regulation der Immunfunktion beteiligt.

Beim Konsum von Cannabis wirken also eine Fülle an Substanzen auf den Körper ein. Als Joint geraucht, sind auch toxische Verbrennungsprodukte dabei, die die Zellen in den Atemwegen belasten. Die Wirkung dieser vielen einzelnen Stoffe kann sich addieren, an mancher Stelle womöglich auch aufheben oder gar verstärken. Das macht die Erforschung der klinischen Effekte schwierig. Eine weitere Hürde ist die Tatsache, dass 90 Prozent der Cannabis-Nutzenden zusätzlich Zigaretten rauchen – die ihrerseits die Immunabwehr beeinflussen.

Viele Studien zum Einfluss von Cannabis auf die Immunabwehr untersuchen einzelne Bestandteile des Rauschmittels im Labor an isolierten Immunzellen. Die Aussagekraft ist daher eingeschränkt. "Das Verständnis der immunologischen Folgen inhalierter Cannabis-Produkte wird durch die Vielfalt der Produkte, das Fehlen standardisierter präklinischen Modelle, die die Konsummuster beim Menschen nachbilden, und die im Laufe der Zeit aufgetretenen Schwankungen des THC-Gehalts weiter erschwert", schreiben die Forschenden aus Kanada.

Cannabis-Inhaltsstoffe hemmen die Immunabwehr im Labor

Kommen natürliche Killer-Zellen im Labor mit THC oder Cannabidiol (CBD) in Kontakt, schütten sie weniger Botenstoffe aus, wie etwa den Tumornekrosefaktor oder das Interleukin 8. Cannabinoide können außerdem die Aktivitäten von Fresszellen, den Makrophagen, hemmen und die Ausreifung einer weiteren wichtigen Immunzellgruppe, die dendritischen Zellen.

THC kann die Apoptose – also die Selbstmordrate – von T-Zellen steigern, sowie die Anzahl der regulatorischen T-Zellen in die Höhe treiben. Das sind die Immunzellen, die eine Abwehrreaktion beenden. Cannabinoide beeinflussen zudem die B-Zellen auf mehreren Ebenen: Sie fördern deren Zellteilung, stimulieren möglicherweise die Ausreifung und Wanderungsbewegung von B-Zellen im Körper, verringern aber die Menge der von B-Zellen hergestellten Antikörper.

Makrophagen, also Fresszellen, aus den Lungen von Cannabis-Rauchern, sind deutlich vergrößert und wie diejenigen von Tabakrauchern funktionell eingeschränkt. Im Laborexperiment fällt es ihnen schwer, krankmachende Bakterien wie Staphylococcus aureus zu phagozytieren und abzutöten.

Im Gegensatz zu nichtrauchenden oder Tabak rauchenden Vergleichspersonen schütten die Makrophagen von Cannabis-Rauchern weniger Immunbotenstoffe wie IL-6, TNF-alpha und GM-CSF aus. Es besteht also der Verdacht, dass Cannabis die Abwehr von Krankheitserregern in den Atemwegen schwächen könnte.

Immunhemmung nur bei einigen Erkrankungen von Vorteil

Die immunhemmende Wirkung der Cannabinoide kann sich bei einigen Krankheitsbildern positiv auswirken. So reduziert Cannabidiol (CBD) in Modellversuchen mit Mäusen die Symptome einer entzündlichen Gelenkerkrankung (Arthritis). Cannabinoide hemmen die autoaggressiven Aktionen des Immunsystems in einem Mausmodell für Multiple Sklerose. CBD lindert im Tiermodell die Symptome von entzündlichen Darmerkrankungen.

Bei Infektionen kann sich diese Immundämpfung jedoch als nachteilig erweisen. So reagierte die Körperabwehr von Mäusen in einer älteren US-Studie unter dem Einfluss von THC schlechter auf Grippeviren, mit denen die Tiere infiziert wurden: Die angeborene Immunabwehr, also Killerzellen und Makrophagen, war schwächer und es wurden weniger T-Zellen aktiviert.

In einer aktuellen Studie konnte ein Team der McMaster University in Hamilton, Kanada, diese Ergebnisse bestätigen und sogar erweitern. Unter Einfluss von Cannabis-Rauch erhöhte sich nach einer Infektion mit Influenza-Viren die Viruslast im Lungengewebe von Mäusen stärker als ohne den Einfluss des Rauschmittels. Weniger Immunbotenstoffe wurden ausgeschüttet, weniger Immunzellen angelockt und aktiviert – besonders auffällig war dieser Effekt bei weiblichen und weniger bei männlichen Tieren.

Offenbar gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Immunschwächung durch Cannabis. Die Forschenden nennen als mögliche Ursache Unterschiede bei der Anzahl von Cannabinoid-Rezeptoren auf Körperzellen bei Männern und Frauen sowie eine unterschiedlich schnelle Verstoffwechselung der Inhaltsstoffe des konsumierten Hanfs im männlichen und weiblichen Organismus.

Cannabis-Konsum und Covid-19

Bezogen auf Covid-19 ist die Studienlage widersprüchlich. Einerseits scheint sich unter dem Einfluss von Cannabis die Menge des Virusrezeptor ACE2 zu verringern und damit auch die Möglichkeit für Sars-CoV-2, Körperzellen zu kapern. Immun- und entzündungshemmende Eigenschaften von Cannabis könnten sich außerdem als hilfreich erweisen. Schließlich ist bei schweren Covid-19-Verläufen gerade die ausufernde Immunantwort für die lebensbedrohlichen Symptome verantwortlich. Dennoch wurde Cannabis in einer Studie von chinesischen Forscherinnen und Forschern mit einer schlechteren Überlebensrate bei Covid-19 in Verbindung gebracht.

Auf einen völlig anderen, aber ebenfalls wichtigen Zusammenhang weisen chinesische Forschende vom Sun Yat-sen University Cancer Center in Guangzhou hin: In einer Studie an Mäusen verringerte THC die Wirksamkeit einer Immuntherapie gegen Krebs. Die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren sollen bei dieser Behandlung T-Zellen gegen Tumorzellen aufbringen. In Anwesenheit von THC gelang es diesen Wirkstoffen nicht, tumorspezifische T-Zellen zu aktivieren. Cannabis sollte, so empfehlen die Fachleute, während einer Immuntherapie vermieden werden.

Mehr Studien müssen offene Fragen zur Immunschwäche durch Cannabis klären

Zwar gibt es Hinweise, dass der Cannabis-Konsum verbunden ist mit einer Verschlechterung von Atemwegssymptomen bei Infekten. So leiden die Betroffenen unter stärkerem Husten, produzieren mehr Schleim und sind vermehrt kurzatmig. Und es gibt anekdotische Verdachtsfälle, wie die an Masern verstorbene Frau aus Hildesheim.

Zuverlässige klinische Untersuchungen jedoch fehlen, die prüfen, ob der Cannabis-Konsum Menschen tatsächlich anfälliger für Infektionen beziehungsweise schwere Verläufe macht. Genau das sei jedoch aufgrund der Labordaten zu vermuten, schreiben Carolyn Baglole und ihre Kollegen von der McGill University in Montreal.

Mehr als überfällig sind also Studien, die untersuchen, welchen Einfluss der Cannabis-Konsum auf die Leistungsfähigkeit der menschlichen Immunabwehr vor allem im Bereich der Atemwege hat – nicht nur im Labor, sondern auch im wahren Leben.

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Verwendete Quellen

Polizei sieht Klärungsbedarf bei Cannabis-Kontrollen

Am 1. April ist das lang erwartete Gesetz zur Teillegalisierung von Cannabis zur Freude vieler Menschen in Kraft getreten. Doch die Polizei sieht noch Klärungsbedarf – vor allem in puncto Verkehrskontrollen.

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