Die Feinstaubbelastung in deutschen Städten ist hoch. Ein Sündenbock scheint in der Debatte schnell gefunden: Der Dieselmotor. Doch sind Fahrverbote wirklich ein wirksames Mittel gegen die Luftverschmutzung oder doch eher eine Scheinlösung? Welche Ursachen hat der Feinstaub tatsächlich – und welche Maßnahmen wären sinnvoll?

Mehr zum Thema Gesundheit

Das Jahr 2018 war erst wenige Tage alt, da hieß es erneut: Feinstaubalarm in Stuttgart! Ziel des Feinstaubalarms sei es, "die erwartbare Belastung mit Feinstaub und Stickstoffdioxid zu reduzieren", so der Tenor einer offiziellen Pressemitteilung.

Das Stuttgarter Neckartor gilt als Straßenkreuzung mit einer der bundesweit höchsten Belastungen mit Feinstaub. Die schlechte Luft in ihrer Heimat stinkt vielen Bürgern inzwischen gewaltig, wie jüngst eine Demo von rund 300 Menschen bewies. Auch in anderen Gegenden Deutschlands ist die Feinstaubbelastung hoch, etwa in der Landshuter Allee in München.

Ein Sündenbock scheint in der Debatte schnell gefunden: Der Dieselmotor. Fahrzeugen mit dem Verbrennungsmotor droht in einigen deutschen Innenstädten 2018 deshalb sogar ein Fahrverbot.

Ein wirksames Mittel gegen die Luftverschmutzung oder doch eher eine Scheinlösung? Welche Ursachen hat der Feinstaub tatsächlich – und welche Maßnahmen wären sinnvoll?

Was ist Feinstaub eigentlich?

"Als Feinstaub (PM10) wird der Staub bezeichnet, dessen Korngröße kleiner als 10 Mikrometer ist", heißt es auf der Seite des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.

Und weiter: "Kleinere Staubpartikel können bis in die Lungenbläschen vordringen, von dort in die Blutbahn gelangen und sich im gesamten Körper verteilen. Fest steht, dass hohe Feinstaub-Konzentrationen negative gesundheitliche Folgen für den menschlichen Organismus verursachen. So werden zum Beispiel Atemwegserkrankungen und Herz-Kreislauferkrankungen hervorgerufen."

Besonders gefährdet seien Kleinkinder, Menschen mit geschwächtem Immunsystem, ältere Menschen, Asthmatiker und Menschen mit bestehenden Atemwegserkrankungen und Herz-Kreislaufproblemen.

Ist der Diesel wirklich die Wurzel allen Übels?

Michael Bargende vom Institut für Verbrennungsmotoren und Kraftfahrwesen der Universität Stuttgart ist sowohl örtlich als auch inhaltlich gesehen nah dran an der Thematik. Er beruft sich auf Daten der Landesanstalt für Umwelt in Baden-Württemberg.

Diese teilen die Feinstaub-Belastung auf in die lokale Feinstaub-Belastung und in den sogenannten Hintergrund. Der Hintergrund stehe dabei für den natürlichen Feinstaub, also beispielsweise Saharastaub, Vulkanasche und dergleichen.

"Laut diesen Daten aus dem Jahr 2013 beträgt die lokale Belastung von Feinstaub durch Abgase sechs Prozent des gesamten Feinstaubs sowie ein Prozent des Hintergrundes. Demnach also insgesamt sieben Prozent", so Michael Bargende.

Und er betont: "Diese sieben Prozent kommen nur von Fahrzeugen ohne Dieselpartikelfilter. Inzwischen sind wir im Jahr 2018, die Population von Fahrzeugen ohne Dieselpartikelfilter ist inzwischen noch weiter abgesunken. Die durch Fahrzeuge verursachte Belastung dürfte deshalb mittlerweile im Bereich um die vier Prozent liegen."

Feinstaubbelastung; Nicht Diesel allein

Der Experte folgert: "Die Feinstaubbelastung an unseren neuralgischen Punkten in Deutschland hat mit dem Diesel nichts mehr zu tun. Sie hat mit dem Verkehr als Ganzem zu tun. Um verkehrsbedingte Feinstoff-Emissionen effektiv zu reduzieren wäre es daher notwendig, das Verkehrsaufkommen insgesamt deutlich zu senken, unabhängig davon, welchen Antrieb ein Fahrzeug hat."

Die verkehrsseitig tatsächlich relevanten Feinstaubquellen seien die Feinstaub-Anteile, die durch Aufwirbelung, Brems- und Reifenabrieb entstehen. Diese seien von der Antriebseinheit zunächst völlig unabhängig.

"Ob Benzinmotoren oder Dieselmotoren macht nur insofern einen Unterschied, als der Dieselmotor einen höheren Luftdurchsatz und den Partikelfilter hat. In diesem Fall arbeitet ein Dieselmotor quasi als Luftreinigungsmaschine für den Feinstaub und damit effizienter, als ein Benziner. Dieser arbeitet wiederum effizienter als ein Elektrofahrzeug", so Bargende. "Dieses hat die schlechteste Feinstaub-Bilanz, denn es ist tendenziell durch die Batterien schwerer und hat dadurch einen höheren Reifenabtrieb. Die Aufwirbelung ist dabei ungefähr die gleiche. Einzig beim Bremsenabrieb ist die Bilanz beim Elektrofahrzeug günstiger. Aber das kann ein Hybrid genauso gut."

Unter dem Aspekt des Feinstaubs betrachtet gäbe es daher überhaupt keinen Grund, warum der Diesel verboten werden sollte. Stimmt es also gar nicht, dass Benzinmotoren weniger belastend sind als Dieselmotoren?

"Der Benziner erfüllt leicht die gesetzgeberischen Vorgaben hinsichtlich der Partikelmasse. Zwei Dinge muss man unterscheiden und zwar erstens zwischen der Partikelanzahl, die sich auf sehr kleine, unsichtbare Partikel bezieht, und zweitens zwischen der Partikelmasse, die sich auf Partikel bezieht, die relativ groß sind und die man dann auch sieht", spricht Michael Bargende einen wichtigen Punkt an. Denn unter den Feinstaubteilchen aus den Abgasen moderner Benziner finden sich viele kleine Partikel.

Steht der Diesel also zu Unrecht in der Kritik?

"Es kommt immer darauf an, ob man das Gesamtsystem oder einzelne Schadstoffe betrachtet. Bezüglich der CO2-Emissionen ist der Diesel der bessere", so Elke Sähn vom Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme in Dresden.

Auch Michael Bargende betont, dass in der Debatte um Feinstaub vieles durcheinandergewirbelt werde. "Es ist ja auch fatal, dass wir hier in Stuttgart immer von einem Feinstaub-Alarm sprechen. Durch den Feinstaub-Alarm wird tatsächlich versucht, indirekt die Stickoxid-Emissionen zu senken. Um die geht es eigentlich und nicht um Feinstaub."

Und er räumt ein: "Der Diesel ist zweifelsohne ein wesentlicher Verursacher der Stickoxid-Problematik in den Städten." "Wenn man die Stickoxid-Emissionen in Europa insgesamt betrachtet", relativiert der Experte jedoch, "dann entspricht die Höhe der Stickoxid-Emissionen durch Diesel-Pkw in etwa acht Prozent. Unsere Kraftwerke produzieren mehr als doppelt so viele Stickoxide."

Stickstoffoxide gehören laut dem Umweltbundesamt "zu den so genannten reaktiven Stickstoffverbindungen, die zu einer Vielzahl von negativen Umweltwirkungen führen können. Zusammen mit flüchtigen Kohlenwasserstoffen sind Stickstoffoxide für die sommerliche Ozonbildung verantwortlich. Stickstoffoxide tragen zudem zur Feinstaubbelastung bei."

Ist ein Diesel-Verbot gerechtfertigt?

"Für ein zeitnahes Dieselfahrverbot sehen wir derzeit keinen Anlass", so Elke Sähn vom Fraunhofer-Institut. Die Luft sei in Deutschland derzeit so sauber wie noch nie.

"Von punktuell erfassten Daten an Messstationen - oftmals an schlecht belüfteten Stellen installiert - sollte man keine flächendeckenden Aussagen treffen und darauf aufbauend unpopuläre Maßnahmen ergreifen", fordert Sähn.

Es könne nicht sein, dass nicht abgeschriebene Fahrzeuge vorzeitig verschrottet und neue mit hohem energetischen Aufwand produziert werden sollen.

Auch Michael Bargende betont, dass sich die Lage längst nicht so dramatisch darstelle, wie oftmals beschrieben. "Die Überschreitungstage bei den Stundenmittelwerten der Stickoxide – beispielsweise am Neckartor in Stuttgart – haben sich in den letzten drei Jahren signifikant und kontinuierlich nach unten entwickelt. Im zweiten Halbjahr haben wir immer klimatisch bedingt einen erhöhten Stickoxid-Eintrag. Der ist in den letzten Jahren kontinuierlich stark abgesunken."

Welche Maßnahmen sind wirklich wirksam?

"Ein einfaches und kostengünstiges Mittel zur weiteren Verbesserung der Luft wäre, den Lkw-Durchgangsverkehr dauerhaft zu verlagern und nur Anlieferfahrzeuge in den Städten zuzulassen", so Sähn. "Großes Potential sehen wir in einer Verkehrsverflüssigung durch eine dynamische Verkehrssteuerung. Damit ließen sich Staus vermeiden und die Emissionen deutlich mindern."

Für den öffentlichen Personennahverkehr empfiehlt die Expertin die Umrüstung von Busflotten auf Elektroantrieb. Selbst im Nutzfahrzeugbereich gäbe es erste Anbieter für eLkw. "Es gibt ein sehr seriöses Wirkungsgutachten für die Stadt Stuttgart das zu dem Schluss kommt, dass eine verkehrsseitige Reduzierung des Feinstaubes nur über eine Reduzierung des Fahrzeugaufkommens realisierbar ist", so Bargende.

Auch er hält ein Verbot des LKW-Durchgangsverkehrs, wie es in Stuttgart bereits umgesetzt sei, für eine sinnvolle Maßnahme, da diese einen hohen Abrieb haben und eine große Aufwirbelung verursachen.

In der gesamten Debatte rät er dazu, Ruhe zu bewahren. Durch den Austausch der Fahrzeuge werde das Problem künftig nicht mehr existent sein, so Bargende. "Wir reden von einem Problem der Vergangenheit" so der Experte und fügt an: "Die typische Feinstaubkonzentration in Innenräumen ist bis zu zehnmal so hoch, wie am Neckartor in Stuttgart."

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.