- Der Virologe Hendrik Streeck hat sich in den vergangenen Monaten viel mit der Corona-Pandemie beschäftigt.
- Nun hat er ein Buch geschrieben - nicht über Corona, sondern das Immunsystem.
- Ein Gespräch über Tipps, Mythen, Spucke und ausgiebiges Küssen.
Wenn
Streeck hat sie für sein Buch "Unser Immunsystem" gezeichnet, in dem er die menschliche Immunabwehr erklärt. Mit der Deutschen Presse-Agentur spricht er über die Gemeinsamkeiten von Kunst und Medizin, die Zukunft der mRNA-Technologie und über die wohlige Wirkung einer guten Hühnersuppe.
Herr Streeck, man sieht es ab und zu noch auf der Straße: Eine Großmutter oder ein Großvater, die auf ein Taschentuch spucken und dem Enkel damit das Gesicht sauber machen, wenn er hingefallen ist. So besonders ratsam ist das nicht, oder?
Hendrik Streeck: Eines vorweg: Ich sehe nicht alles, was im Leben passiert durch die Linse des Virologen. Aber grundsätzlich kann man sagen, dass Spucke viele Stoffe enthält, die einen Schutzmechanismus gegen Erreger bilden. Sie macht es Bakterien und Viren schwieriger, sich festzusetzen und zu vermehren. Daher ist Spucke generell auch ein Mittel, das antibakteriell wirkt oder das man auf eine Wunde machen kann, wenn gar nichts anderes zur Hand ist. Das große Aber: Wichtig ist, dass man seine eigene Spucke benutzt und nicht die von jemand anderem. Wenn eine Oma das also so macht, kann es durchaus zu einer Infektion kommen.
"Das Immunsystem ist so stark, dass es - wenn es ganz schlimm kommt - den Menschen umbringen kann"
Das Immunsystem ist sehr komplex. Was fasziniert Sie daran?
Faszinierend ist, dass das Immunsystem überhaupt keinen Ort hat. Eine Leber kann man rausnehmen, auch von einer Niere weiß man, wo sie ist. Aber das Immunsystem kann man nicht lokalisieren. Zudem ist es so stark, dass es - wenn es ganz schlimm kommt - den Menschen umbringen kann, ihn aber in den allermeisten Fällen sehr erfolgreich vor Attacken beschützt. Es leistet eine Extremarbeit, von der wir aber nur ganz selten etwas bemerken.
Sie wählen zur Beschreibung mitunter Vokabeln, als sei es eine Armee.
Es ist auf jeden Fall extrem schlagkräftig. Der militärische Vergleich ist nicht aus der Luft gegriffen - vor allem auch, weil es eine organisierte Abwehr ist. Nach einer ersten schnellen Reaktion wird sehr koordiniert vorgegangen. Das ist nicht wahllos.
Sie haben die Bilder in Ihrem Buch selbst gezeichnet, der Stil erinnert an einen Comic. Humane Papillomviren - kurz HPV - sehen aus wie Discokugeln. Wo haben Sie so gut zeichnen gelernt?
Ich will meine Zeichenkünste nicht überbewerten. Aber deswegen hat es auch so lange gedauert mit dem Buch. Ich habe 2015 schon damit angefangen - eigentlich für ein Kinderbuch. Ich selbst habe Medizin gelernt, in dem ich viel aufgemalt habe. Wenn man das Gefühl hat, dass es etwas Menschliches hat, dann kann man oft einfacher lernen und verstehen. So ist es zumindest bei mir.
"Medizin hat etwas sehr Rationales. Aber auf der anderen Seite ist sie auch etwas sehr Emotionales"
Gibt es zwischen Kunst und Medizin Gemeinsamkeiten?
Ich nehme da in der Tat Überschneidungen wahr. Es gibt viele Mediziner, die musikalisch sind und in einem Orchester spielen. Ich glaube, dass Medizin auf der einen Seite zwar etwas sehr Rationales hat. Aber auf der anderen Seite ist sie auch etwas sehr Emotionales. Man muss sich einfühlen können in einen Patienten.
Technologisch ruhen momentan viele Hoffnungen auf der mRNA-Technologie, mit der auch Impfstoffe für die Corona-Pandemie entwickelt wurden. Manche Experten glauben, dass sich damit auch viele andere Krankheiten bekämpfen lassen. Teilen Sie diese Hoffnung?
Die große Hoffnung dieser Technologie liegt zunächst darin, dass man Impfstoffe vergleichsweise schneller als bei früheren Laborverfahren entwickeln kann. Wir haben aber noch keine Erfahrungen damit, wie gut das bei anderen Erregern als Corona gehen kann, und wie lange ein Schutz überhaupt anhält. Wir müssen erst noch mehr lernen, um beurteilen zu können, wie hoch der Quantensprung ist.
"Wenn man eine Multivitamintablette nimmt, produziert man leider nur teuren Urin"
Dann mal weg von Hochtechnologie und hin zu Hausmitteln. Was kann ich einnehmen, um mein Immunsystem zu stärken?
Das ist die große Preisfrage, mit der speziellen Problematik, dass man das eigentlich gar nicht richtig kann. Wenn man beispielsweise eine Multivitamintablette nimmt, produziert man leider nur hauptsächlich teuren Urin. Das Beste für ein Immunsystem ist es, wenn man sich körperlich und geistig fit hält. Da gibt es auch sehr interessante psychologische Effekte. Lachen zum Beispiel ist gut für das Immunsystem, das haben Studien gezeigt. Wenn man trotzdem krank wird, gibt es natürlich bestimmte Stoffe, die einen Vorteil bringen können. Etwa eine heiße Zitrone bei einer Erkältung.
Oder Hühnersuppe.
Ja genau. Eine frische Hühnersuppe hat Vitamin C und Vitamin E, das hat einen positiven Effekt. Zudem regt sie die Schleimbildung im Rachen an. Mit einer größeren Schleimproduktion werden Erreger leichter rausgespült. Zudem: Wenn sich ein Immunsystem neu formt, braucht es dafür Bausteine, bestimmte Aminosäuren. Die findet es ebenfalls in der Hühnersuppe.
Offenbar profitiert das Immunsystem auch von Romantik. Sie würdigen in Ihrem Buch "intensives Küssen" bei Paaren als Methode - wenn möglich, mehrmals täglich.
Durch den Kontakt mit einer anderen Mundflora wird das Immunsystem etwas hochreguliert. Es geht in eine latente Alarmbereitschaft und kann Erreger so leichter abwehren. Zudem wird die Mundflora durch Küssen diverser, weil sich beide Floren anpassen. Dadurch wird sozusagen das eigene Immun-Arsenal erweitert. (dpa / Jonas-Erik Schmidt / mgb)
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