Obst und Gemüse sind gesund, Schokolade und Currywurst ungesund. Stimmt's? Alles Humbug, sagt Uwe Knop. Nach Meinung des diplomierten Ernährungswissenschaftlers gibt es weder gesundes noch ungesundes Essen. Damit wirft der Experte alle Ernährungsregeln über den Haufen - bis auf eine.
Herr Knop, gibt es ungesundes Essen?
Uwe Knop: Man kann Ernährung oder Lebensmittel nicht per se in gesund und ungesund einteilen. Das sagt übrigens auch die DGE, die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Man kann also nicht sagen: Apfel gesund, Hamburger ungesund. Auf die Allgemeinheit bezogen gibt es kein ungesundes Essen. Auf den einzelnen Menschen bezogen dagegen schon: Was dem einen Menschen gut bekommt, ist für ihn gesund, was ihm nicht bekommt, ist nicht gesund. Ballaststoffe gelten zum Beispiel gemeinhin als gesund. Aber viele Leute haben damit Probleme, weil Ballaststoffe ihre Verdauung zu stark belasten. Dann gibt es Blähungen oder Schmerzen und das führt sogar zu Besuchen in der Arztpraxis.
Also könnten sich die gängigen Ernährungsempfehlungen - beispielsweise der DGE - für manche Menschen als schädlich erweisen?
Ja genau. Denn außer Vermutungen, Hypothesen, Spekulationen lässt die Ernährungswissenschaft nichts zu - es gibt dort keine Beweise. Das gilt für die zehn Regeln der DGE und jegliche anderen Ernährungsregeln, die für manche Menschen eben auch ungesund sein können. Die DGE empfiehlt zum Beispiel jeden Tag Milch. Wenn man keine Milch verträgt, gibt das Probleme!
Nach welchen Regeln kann man sich dann überhaupt noch richten?
Meine Empfehlung lautet – natürlich auch ohne wissenschaftliche Beweise, weil es die im Bereich Ernährung überhaupt nicht gibt: Vertrauen Sie auf Ihren Körper. Niemand weiß besser als er, was für Sie gesunde Ernährung ist. Man sollte sich fragen: Wann habe ich echten Hunger? Worauf habe ich Lust? Und was vertrage ich gut? Das sind die Faktoren, die meines Erachtens zählen.
Wird der "echte Hunger" heutzutage überhaupt noch erkannt?
Das ist ein beliebtes Argument gegen das intuitive Essen. Dann heißt es, der Mensch weiß gar nicht mehr, wie sich Hunger anfühlt. Ich habe mit der GfK, der Gesellschaft für Konsumforschung, eine repräsentative Umfrage für Deutschland gemacht. Dabei kam heraus, dass mehr als 70 Prozent der Deutschen ihren echten Hunger kennen. Das Argument kann man also nicht stehen lassen.
Ernährung ist ein Urtrieb des Menschen, ohne sie stirbt er. Wenn die Nährstoffe langsam zur Neige gehen, muss der Körper reagieren, um den Menschen dazu zu bewegen, etwas zu essen. Das ist der Hunger. Jeder Mensch kennt ihn, wenn er ihn einfach mal wieder ein bisschen ausreizt.
Sie betonen den Hunger. Was ist mit bloßem Appetit? Der ist ja auch ein Signal des Körpers.
Das Wort Appetit benutze ich nicht, es ist mir zu diffus. Für mich gibt es zum einen den Hunger, wenn der Körper sagt: Gib mir Nährstoffe. Zum anderen gibt es das sogenannte Emotional Eating: das Essen ohne Hunger, sondern aus Lust, Gier, psychischen Gründen, Stress, Langeweile, Gewohnheit. Vielleicht habe ich Appetit aufs Leben, aber das Leben bietet mir nix. Also setze ich mich vor den Fernseher und futtere eine Tüte Chips. Man füttert die Psyche mit Nahrung.
In Ihren Büchern beschreiben Sie die "kulinarische Körperintelligenz": Das Nahrungsgedächtnis des Körpers, das sich aus allen jemals gegessenen Mahlzeiten speist. Der Körper lerne dadurch, das einzufordern, was er braucht. Wenn ein Mensch aber in einem Haushalt aufwächst, wo es zum Beispiel kaum Gemüse gibt, kann er ja keine Lust darauf entwickeln – obwohl es ihm vielleicht gut tun würde.
Wir leben im Schlaraffenland. Sie werden kaum jemanden finden, der noch nie eine Gurke, eine Tomate, einen Apfel gegessen hat. Unabhängig davon lautet mein Appell: Auch im Alter sollte man stets Neues probieren. Es ist wichtig, dass man diese kulinarische Intelligenz immer wieder mit frischem Input füttert, damit sie sich weiterentwickelt.
Wenn jeder nur isst, wenn er Hunger hat und auf was er Lust hat: Wie kommt beispielsweise eine vierköpfige Familie jemals zum Abendessen zusammen?
Grundsätzlich ist das, was ich sage, als Alternative zu betrachten. Die Erkenntnisse aus der Ernährungswissenschaft sind beweislos. Bleibt die Alternative, auf den eigenen Körper zu hören, um sich gesund zu ernähren. Wie und ob man das im Alltag umsetzt, das bleibt jedem selbst überlassen. Es müssen ja nicht alle komplett hungrig am Tisch sitzen: Der eine hat dann ein bisschen mehr, der andere ein bisschen weniger Hunger.
Was halten Sie von Ernährungshypes wie es derzeit zum Beispiel der Veganismus ist?
Das kommt darauf an. Wenn jemand auf tierische Produkte verzichtet, weil er aus ethisch-moralischen Gründen nicht möchte, dass für ihn ein Tier stirbt, dann ist das eine persönliche Entscheidung, die ich akzeptiere. Wenn aber jemand sagt, er isst vegan, weil es gesünder ist und schlank macht, dann ist er einer Lügengeschichte aufgesessen. Weder für Vegetarismus noch für Veganismus, noch für Paleo-Köstler, Frutarier, Flexitarier und wie sie alle heißen, gibt es auch nur einen einzigen Beweis, dass es der Gesundheit zuträglich oder abträglich ist. In der Ernährungswissenschaft werden aus Beobachtungsstudien Szenarien kreiert, die gewisse Ernährungsformen als das Nonplusultra darstellen und andere als ungesund. Das ist nichts anderes als ganz, ganz billige Propaganda.
Steht Ihre unnachgiebige Auffassung in Ernährungsfragen Ihrer Arbeit als PR-Experte für die Gesundheitsbranche nicht im Weg?
Ich mache nicht PR im Ernährungsbereich, sondern im Bereich Medizin, Gesundheit und Gesundheitspolitik. Die Aufklärung, die ich im Bereich Ernährung betreibe, passiert sozusagen in meiner Freizeit. In Deutschland habe ich einen relativ einsamen Status: Ein Ernährungswissenschaftler, der nicht im Bereich Ernährungswissenschaften und Ernährungslobbyismus arbeitet. Trotzdem habe ich mehr als 1.000 aktuelle Studien analysiert, und zwar unabhängig und objektiv. Nur so jemand kann sagen: Kein gesunder Mensch braucht Ernährungswissenschaft.
Warum?
In der Ernährungswissenschaft liefern die Studien - zum größten Teil sind das Beobachtungsstudien - keine wissenschaftlichen Beweise. Sie liefern nur Korrelationen, statistische Zusammenhänge, aber keine Kausalitäten. Deshalb kann es in der Ernährungsforschung keine Beweise dafür geben, dass irgendein Nahrungsmittel oder eine Ernährungsform gesund oder ungesund ist. Es werden höchstens Hypothesen generiert. Die Ernährungswissenschaft ist in einer Sackgasse, aus der sie wohl niemals herauskommen wird.
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