Der federführende Gesundheitsausschuss im Bundestag soll sich an diesem Mittwoch abschließend mit dem geplanten Cannabis-Gesetz befassen. Erwartet wird, dass dann noch in dieser Woche der Bundestag darüber abstimmt. Nach Plänen der Ampel-Koalition sollen Besitz und Anbau ab April für Erwachsene in festgelegten Grenzen erlaubt sein.
Das Vorhaben bleibt dennoch umstritten. Dabei geht es weniger um das Ziel, Dealern auf dem Schwarzmarkt das Handwerk zu legen. Das wünschen sich fast alle. Doch aus der Medizin kommen Bedenken, ob jungen Leuten das Risiko von Cannabis ausreichend bewusst ist. Bis zum Alter von 25 Jahren reift das Gehirn. Wer diesen Prozess durch häufiges Kiffen stört, kann sich lebenslange Folgen einhandeln – Stichwort Psychose.
"Ich befürchte, dass wir mit dem geplanten Gesetz den Teufel mit dem Beelzebub austreiben", sagt Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank. Die Neurologin und Psychiaterin ist die künftige Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN). "Das Alter ist der entscheidende Punkt bei dieser Diskussion", sagt sie. Und genau den vermisst sie oft.
Was heißt riskanter Konsum?
Cannabis ist eine psychoaktive Substanz aus der Hanfpflanze, die abhängig machen kann – ob nun als Joint, Haschkeks oder anders verpackt. "Riskanter Konsum lässt sich nicht pauschal festmachen", sagt Stephanie Eckhardt, Referatsleiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Es gebe mehrere Faktoren, die zusammenspielten: Wie oft wird Cannabis genutzt? Wie viel davon? Und wie hoch ist dabei der THC-Gehalt, also die Konzentration des Rauschmittels Tetrahydrocannabinol?
Der Konsum sei in Deutschland vor allem bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren gestiegen, berichtet Eckhardt. Nach jüngsten Angaben der BZgA hatte 2021 die Hälfte von ihnen bereits Cannabis-Konsumerfahrung – das sei der höchste von ihr erhobene Wert seit 1973. Für den Anstieg gibt es nur Vermutungen: die Verfügbarkeit, das soziale Umfeld, gesellschaftliche Trends und auch der Preis auf dem Schwarzmarkt.
Nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit haben im Jahr 2022 rund 4,5 Millionen Erwachsene in Deutschland wenigstens einmal Cannabis genutzt – am häufigsten im Alter von 18 bis 24 Jahren. Viele Joints bei Teenagern sind für Eckhardt dagegen die Ausnahme. "1,6 Prozent aller Jugendlichen kiffen regelmäßig", sagt sie. "Je jünger sie sind, desto riskanter ist es für sie."
Coole Gelassenheit oder Panikgefühle
Cannabis ist dafür bekannt, dass es Stimmungen und Gefühle verstärkt. Im besten Fall sorgt das für coole Gelassenheit, manchmal aber auch für negative Erfahrungen: Das können kurzfristig Angst, Panikgefühle, Orientierungslosigkeit, depressive Verstimmungen, Herzrasen, Übelkeit und Halluzinationen sein. Langfristig können die Risiken für häufig kiffende Heranwachsende aber weitaus bedrohlicher aussehen: bis hin zu Psychosen und Schizophrenie.
Bis zur Volljährigkeit soll Cannabis nach dem geplanten Gesetz verboten bleiben. Für alle Erwachsenen soll der Besitz von 25 Gramm Cannabis demnach erlaubt werden. Zudem gibt es mit Blick auf das Alter ein Stufenmodell: In Cannabis-Clubs sollen Vereinsmitglieder die Droge gemeinschaftlich anbauen und gegenseitig abgeben dürfen – pro Monat höchstens 50 Gramm pro Mitglied. Bei 18- bis 21-Jährigen dürfen es nur bis zu 30 Gramm im Monat sein mit einem maximalen Gehalt von zehn Prozent der psychoaktiven Substanz THC.
"Das ist kein unproblematischer Freizeitkonsum mehr", urteilt Gouzoulis-Mayfrank, die Ärztliche Direktorin der LVR-Klinik in Köln ist. 50 Gramm im Monat reichten für mehrere Joints am Tag. Auch 30 Gramm seien für junge Volljährige zu viel. "Die geplante Legalisierung ist ein Feldversuch in der Gesellschaft", sagt die Ärztin für die DGPPN. "Aus unserer Sicht sollten wir im Moment nicht ganz so waghalsig voranschreiten. Denn niemand weiß so genau, wo der Weg hinführt."
Manipulation im Gehirn birgt Risiko für Psychosen
Der menschliche Körper hat ein eigenes System für sogenannte Cannabinoid-Moleküle: Im Gehirn gibt es von Natur aus Strukturen und Andockstellen für diese Substanzen. Sie regeln etwa Appetit, Emotionen und Schmerzempfindung mit. Dieses komplexe innere System reift beim Menschen langsam bis zum Alter von Mitte 20 heran. Kommt Cannabis zusätzlich von außen hinzu, kann dieser Prozess gestört werden. Mediziner gehen davon aus, dass häufiges Kiffen bei Heranwachsenden die Cannabinoid-Strukturen im Gehirn verändert und diese Manipulation Auswirkungen auf das ganze Leben haben kann.
Dafür gebe es Hinweise aus verschiedenen Forschungsarbeiten, erläutert Gouzoulis-Mayfrank. Wer früh und viel kiffe, habe ein deutlich erhöhtes Risiko für Psychosen – auch noch viele Jahre später. Eine weitere Folge könne eine größere Anfälligkeit für Abhängigkeitserkrankungen aller Art sein. Erst ab Mitte 20 wirke Cannabis anders, vergleichbar etwa mit maßvollem Alkoholgenuss, ergänzt die Ärztin. Sei die Wirkung vorbei, kehre der Körper in den normalen Zustand zurück.
Mehr Info-Bedarf wegen Unsicherheit
Die Risiken sind auch Bundesgesundheitsminister
"In den vergangenen Jahren gibt es eine zunehmende Offenheit, über Cannabis zu sprechen, auch über die Risiken. Es soll kein Tabuthema mehr sein. Das ist grundsätzlich sehr positiv", sagt Eckhardt, Referatsleiterin Suchtprävention der BZgA. Doch auch sie macht Einschränkungen. "Es gibt Chancen und Risiken. Das muss man abwarten." Die Botschaft der BZgA an junge Erwachsene laute: Lasst das Kiffen besser bleiben.
Das gilt natürlich auch für junge Leute unter 18, für die Cannabis nach dem Gesetz offiziell verboten bleiben soll. "Die momentane Aufmerksamkeit für das Thema ist mit einer ebenso großen Unsicherheit verbunden und mit einem ziemlich großen Bedarf, Teenager zu erreichen", ergänzt Eckhardt. Mit der geplanten Gesetzesänderung ist laut BZgA ein größerer Info- und Aufklärungsbedarf an Schulen verbunden. Im Internet läuft bereits seit dem vergangenen Sommer eine Kampagne des Bundesministeriums für Gesundheit. Mit "Cannabis – legal, aber..." beginnen dort Merksätze. Eine Ergänzung lautet "legal, aber Brokkoli ist mir lieber" – eine andere "legal, aber risky".
Kiffer schneiden bei IQ-Tests schlechter ab
Psychiaterin Gouzoulis-Mayfrank reicht solche Art von Aufklärung bislang nicht. "Ich rechne auch in Deutschland mit Kollateralschäden durch die Legalisierung", sagt sie. "Ich befürchte, dass es nicht gelingen wird, die Gefahren von Cannabis glaubhaft rüberzubringen." Darum spricht sich ihr Fachverband für eine Freigabe erst ab 21 Jahren aus. "Damit würde man auch ein klares Signal an junge Volljährige senden, dass Kiffen für sie problematisch ist."
In den USA haben einige Bundesstaaten Cannabis für den Freizeitgebrauch legalisiert, andere nicht. Wissenschaftlerin Yasmin Hurd vom Mount Sinai Hospital in New York hat neben Veränderungen im Hirn junger Kiffer einen Fokus auf Kinder von Müttern, die in der Schwangerschaft Joints rauchten. Deren Kinder zeigten im Vergleich zu anderen mehr Verhaltensauffälligkeiten, berichtete Hurd im Sommer im Fachmagazin "Science".
Psychologin Madeline Meier arbeitet in den USA an der Arizona State University. Sie und ihr Team analysierten bei rund 1.000 Menschen, die 1972 oder 1973 geboren wurden, die Auswirkungen des Cannabiskonsums bis ins Erwachsenenalter. Ergebnis: Regelmäßige Cannabis-Nutzer schnitten bei IQ-Tests im Schnitt schlechter ab als ihre Altersgenossen, die das Rauschmittel selten oder gar nicht nutzten, hieß es im Dezember im Journal "Nature". Der IQ-Effekt war dabei am stärksten bei Menschen ausgeprägt, die seit ihrer Jugend kifften.
Kriminalisierung scheitert an der Realität
Die Kriminalisierung von Cannabiskonsum ist für US-Forscherin Hurd keine realitätsnahe Lösung. Doch auch sie warnt davor, beim Trend zur Legalisierung Nachteile zu unterschätzen. Denn das könne eine Toleranzkultur befördern, in der Cannabis als "sichere Droge" wahrgenommen werde. Für Hurd wäre es in diesem Dilemma ein sinnvoller Weg, den THC-Gehalt in legal abgegebenem Cannabis niedrig zu halten, um gesundheitliche Risiken abzumildern.
Das geplante Gesetz in Deutschland berücksichtigt solche Ratschläge für die 18- bis 21-Jährigen. Der THC-Gehalt soll bei ihnen zehn Prozent nicht übersteigen. Auf dem deutschen Schwarzmarkt liegt er Schätzungen zufolge heute bei rund 14 Prozent, Tendenz steigend.
Psychiaterin Gouzoulis-Mayfrank fragt sich allerdings, wie der THC-Gehalt künftig kontrolliert werden kann. Denn es soll erlaubt sein, Cannabis-Pflanzen in festgelegter Zahl selbst zu züchten oder aber Anbauvereinigungen beizutreten. Wenn Cannabis staatlich kontrolliert produziert und verkauft würde – wie heute schon im medizinischen Bereich – könnte das eine Lösung sein, ergänzt sie. Der Gesetzesentwurf sieht das aber nicht vor.
Mehr Psychosen nach Legalisierung
Neben Alkohol und Nikotin gilt Cannabis nach den Recherchen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen weltweit als das beliebteste Rauschmittel. Viele Forschende vermuten, dass eine Legalisierung von Cannabis den Konsum fördert – wobei die Effekte stark von Regeln und Kontrolle im jeweiligen Land abhängen.
2019 zeigte eine repräsentative Studie des Londoner King's College in der Fachzeitschrift "The Lancet Psychiatry": Dort, wo Cannabis frei erhältlich war, erkrankten mehr Menschen an Psychosen. Das galt besonders für Städte, in denen der Stoff mit einem besonders hohen THC-Gehalt regelmäßig konsumiert wurde.
Forschende aus Dänemark schätzten im Fachblatt "Psychological Medicine", dass bei jungen Männern bis zu 30 Prozent aller Schizophrenie-Fälle auf eine problematische Cannabis-Nutzung zurückgehen. Dänemark hat Cannabis nicht legalisiert. Der THC-Gehalt lag laut Studie aber vergleichsweise hoch. Die Forschenden schränken ihre Ergebnisse zudem ein: Es könnte sein, dass Menschen mit der Krankheit Schizophrenie Cannabis zur Selbstmedikation suchten. Dann bleibt die Frage, was zuerst da war – die Krankheit oder die Sucht?
Das Für und Wider einer Freigabe spiegelte sich Anfang November bei einer öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Es ist keine leichte Entscheidung. Das Gesellschaftsexperiment soll dann vier Jahre lang beobachtet und in Stufen ausgewertet werden. Auch dazu hat Ärztin Gouzoulis-Mayfrank eine Meinung: "Das ist viel zu kurz." (dpa/the)
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