- Die Welt ist nicht mehr die, die sie war: Erst Corona, nun beendet Putins Krieg den Frieden in Europa.
- Hilflos und gelähmt fühlen sich die meisten von uns - und überfordert: Wie sollen wir mit alldem umgehen?
Wir sind bereits aufgerieben durch zwei Jahre Pandemie. So groß, so berechtigt war die Hoffnung auf einen unbeschwerten Frühling – und nun überrollen uns Nachrichten von einem Krieg in Europa. Fassungslos und ohnmächtig fühlen wir uns, laut einer Forsa-Umfrage befürchten zwei Drittel der Deutschen sogar einen Dritten Weltkrieg.
"Wichtig ist in diesen extrem schwierigen Tagen vor allem: anerkennen, dass es wirklich schlimm ist", sagt Therapeutin Anette Frankenberger im Gespräch mit unserer Redaktion. "Da gibt es nichts zu interpretieren: Ja, das ist schrecklich und wir stellen uns nicht an, wenn wir darüber auch Tränen vergießen." Eines aber müsse jeder jetzt unbedingt für sich überlegen und herausfinden: "Wie viel davon kann ich im Moment ertragen?"
Sie selbst habe sich in den ersten Tagen des Krieges intensiv und fast permanent mit dem Geschehen rund um die Angriffe Russlands beschäftigt, erzählt Frankenberger: "Das nimmt man dann mit in den Schlaf, mit in seine Träume. Und das hilft am Ende niemandem – vor allem uns selbst nicht, irgendwie in der Situation zurechtzukommen und für unsere Familien da zu sein."
Corona und Krieg: Wenn eine Angst die andere verdrängt
Nicht selten hört sie derzeit in ihrer Praxis "Dass wir so etwas noch erleben, niemals hätte ich das gedacht – wie soll nur alles weitergehen?" oder "Dagegen scheinen mir meine Sorgen während des Lockdowns nun geradezu unwichtig." Die Menschen treffe dieser Krieg mit großer Wucht: "Bei vielen verdrängt eine Angst die andere – Corona ist einfach nicht mehr so ein Thema. Bei anderen kommt die Angst vor einem Krieg zur Angst vor COVID hinzu." Beides sei nachvollziehbar, und beides sei belastend.
Nachrichtenpausen, in denen man sich ablenkt und mit anderen Dingen beschäftigt, hält sie daher für unverzichtbar: "Am besten ist, sich klare Zeiten festzulegen, in denen man sich informiert, und dann wieder Abstand gewinnen", rät sie. Dabei helfe es, sich in Erinnerung zu rufen: "Wo bin ich, wer und was um mich herum ist wichtig?" Und vor allem: "Wo kann ich in diesem Moment wirksam sein?" Frankenberger berichtet von Klientinnen und Klienten, die genau das aus den Augen und dadurch den Halt verlieren: "Sie sind dann nicht mehr imstande, sich um die Ihren zu kümmern, weil sie so gelähmt sind vom Geschehen in der Ukraine."
Lesen Sie auch: Alle aktuellen Informationen zu Russlands Krieg gegen die Ukraine im Live-Ticker
Wir werden gebraucht im Hier und Jetzt
Vor diesem Punkt warnt die Therapeutin besonders: "Wir müssen unsere Kräfte einteilen, uns gut beobachten, sehen, was uns hilft – das kann beten sein, meditieren, in die Natur gehen oder sich immer wieder Sätze sagen wie: 'Ich bin in Sicherheit, wir befinden uns hier nicht im Krieg und nun brauchen mich meine Kinder.'" Eines, meint sie, dürfe nicht passieren: "Wir dürfen den Krieg nicht in unsere Herzen einziehen lassen."
Sie nennt als Beispiel Kinder, die vom Krieg gehört hätten und bei denen sie ganz eigene Mechanismen zur Bewältigung der Situation beobachtet hat: "Sie stellen aus Figuren kleine Truppen auf, um Putin abzuwehren – das sollten wir auch bloß nicht korrigieren! Nehmen Sie sich diese Fantasie vielmehr zum Vorbild. Wir fühlen uns alle hilflos, aber verdammt zur Tatenlosigkeit sind wir auch wiederum nicht."
Die zahllosen kleinen und großen Hilfsaktionen vieler Menschen im Moment, die sich wie ein Mosaikbild zu einem Gesamtbild der Solidarität zusammensetzen – das sei etwas Positives, das wir uns bewusst vor Augen führen sollten. "Auch, wie kompromisslos jetzt umgegangen wird mit jenen Personen, die sich nicht klar von Putin distanzieren: Diese Entschlossenheit kann uns Mut machen und uns Lichtblick sein – ebenso wie die bewundernswerte Tapferkeit vieler in diesem Krieg: Man denke nur an die Klitschko-Brüder, den Präsidenten und so viele andere Menschen in der Ukraine, die ihre Heimat verteidigen."
All der Schmerz, der uns dieser Tage bei Bildern aus dem Krieg überkommt, berge auch eine große Kraft, sagt Frankenberger. Das große Mitgefühl und die Betroffenheit könnten Hebel sein, um aktiv zu werden und etwas Gutes zu bewirken: "Spenden, Decken und Windelpakete abgeben – das mag manchem vielleicht wie ein Tropfen auf den heißen Stein erscheinen. Aber in der Masse sind sie das eben nicht mehr." Sich das bewusst zu machen, sei auch uns selbst Hilfe: "Wir können sehr wohl für etwas gut sein. Wir können dazu beitragen, große Not abzuwehren. Und wir können sogar sehr viel dafür tun, uns und unsere Angehörigen möglichst gut durch diese Zeit zu bringen."
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.