Einer, der stets sachlich über das Coronavirus aufklärt und Ruhe bewahrt, richtet nun warnende Worte an die Bevölkerung: Der Virologe Christian Drosten richtet den dringenden Appell an Familien, die Großeltern-Generation besonders zu schützen. Grund ist eine neue Einschätzung aufgrund einer eben erschienen Studie.
Bringt der Frühling ein Abflauen der Corona-Erkrankungen? Das war bisher die große Hoffnung und berechtigte Vermutung zur weiteren Entwicklung in Deutschland und allen anderen betroffenen Ländern. Es sind zwei Szenarien, die Experten zur weiteren Verbreitung von Covid-19 für denkbar halten:
- Die Infektionswelle läuft jetzt direkt weiter, die Zahlen steigen weiter kontinuierlich an
- Der Temperatureffekt im Frühling lässt die Infektionen abflauen und wir bekommen erst im Winter die große Infektionswelle
Letzteres Szenario hätte den Vorteil, dass das Gesundheitssystem Zeit gewinnt und besser vorbereitet wäre. Es war auch das Szenario, das der Direktor des Instituts für Virologie an der Charité,
Coronavirus: Sommer wird wohl keine Pause bringen
Das Ziel wäre dann gewesen: in einem ruhigen Sommer genügend Zeit zu gewinnen, um das Gesundheitssystem auf solch eine Winterwelle vorzubereiten und die Kliniken optimal auszustatten.
"Genau das hätte ich bis letzte Woche Donnerstag noch so gesagt. Aber im Moment ist meine Einschätzung eher, dass wir wahrscheinlich doch eine direkt durchlaufende Infektionswelle bekommen. Wir müssen damit rechnen, dass ein Maximum der Fälle in der Zeit von Juni bis August auftreten wird", sagte Drosten am Montag im NDR-Podcast.
Grund für seine neue Einschätzung sei eine neue Studie einer weltweit führenden amerikanischen Forschungsgruppe. "Diese Modellrechnung sagt voraus, dass der Temperatureffekt auf dieses Virus relativ klein sein wird."
Christian Drosten: "Müssen jetzt umdenken"
Diese Erkenntnis müsse jetzt ein Umdenken mit sich bringen. Bisher sei die Taktik, in der gesamten Bevölkerung eine Verzögerung der Ansteckungen zu erreichen. Das sei auch beizubehalten. Viel stärker als bisher müsse aber die Kraft in den Schutz der gefährdeten Bevölkerungsgruppen gesteckt werden:
- Menschen mit bestimmten Vor- beziehungsweise Grunderkrankungen
- Ältere Menschen
Für Menschen mit Vorerkrankungen brauche es eine Regelung, die temporäre Freistellungen oder Home Office ermögliche, betont Drosten.
Die größere Gruppe aber seien die Älteren: "Vor allem diejenigen über 65, da steigt die Fallsterblichkeit rapide an." Das Rentenalter sei ein geeigneter Maßstab: "Wir müssen die Bevölkerung jenseits des Rentenalters wirklich schützen."
Kinder nicht mehr in Betreuung der Großeltern geben: "Es ist ernst"
Jede Familie sei nun aufgerufen, dafür individuelle Lösungen zu finden. Drosten rät Eltern, die Kinder in den kommenden Monaten nicht mehr in die Betreuung der Großeltern zu geben, sondern diese "als schützenswerten Bereich" zu sehen und beispielsweise lieber für sie einzukaufen. Diese neue Art der Organisation hält er für notwendig: "Das ist ein Dienst, den wir alle leisten müssen und das wird für alle schmerzhaft sein und unbequem."
Bei Jüngeren sieht er auch die Aufgabe, die ältere Generation darauf aufmerksam zu machen: "Es ist ernst". Er beobachte selber in seinem Umkreis, dass viele Ältere die Gefahr noch nicht auf sich beziehen: "Sie haben noch nicht verstanden, dass sie die wirklich Betroffenen sind und dass ihr Sozialleben jetzt für einige Monate aufhören muss." Das betreffe allerlei Aktivitäten im Sommer, etwa das Vereinsleben, das Schützenfest - und so weiter.
Bis zu ein Viertel der infizierten über 80-Jährigen sterben
Man müsse sich die hohe Fallsterblichkeit in der älteren Bevölkerung vor Augen führen. Im NDR-Podcast vom Dienstag ergänzte Drosten dazu konkrete Zahlen aus einer internationalen Zusammenfassung. Demnach steigt die Fallsterblichkeit mit zunehmendem Alter deutlich:
- Bei über 80-Jährigen: 20 bis 25 Prozent
- 70- bis 80-Jährige: 7 bis 8 Prozent
- 60- bis 70-Jährige: 3 Prozent
- 50- bis 60-Jährige: 1 bis 1,5 Prozent
- Unter 50: 0,4 Prozent
- Jüngere: 0,2 Prozent
Alle Kraft müsse folglich investiert werden, um die Epidemie von der älteren Bevölkerung fernzuhalten, betonte Drosten.
Vorsprung durch frühe Aktivität der Labore
Deutschland habe das Virusgeschehen insgesamt sehr früh erkannt und sich damit einen extremen Vorsprung in der Erkennung der Epidemie gesichert, erläuterte der Virologe außerdem am Montag auf einer Pressekonferenz in Berlin. "Das hat dazu geführt, dass wir jetzt sehr hohe Fallzahlen in den Statistiken haben, ohne relevant große Zahlen von Todesfällen berichten zu müssen."
Hintergrund sei, dass viele Labore in der Fläche hierzulande sehr früh aktiv geworden seien und kein nationales Institut Tests allein für sich reklamiere. Damit hätten andere Länder einen Monat oder mehr an Zeit verloren. Drosten machte mit Blick auf zu erwartende Todesfälle zugleich deutlich: "Auch bei uns wird sich das ändern, wir sind da keine Ausnahme."
Verwendete Quellen:
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