Berlin gilt als Metropole zum Feiern und Ausgehen. Das ging auch in der Corona-Krise lange gut. Doch nun ändert sich das Bild.

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In Berlin steppt der Bär, wird über die bunte Kultur-, Musik- und Clubszene in der Hauptstadt gerne gesagt. Auch gerne mal ohne Ab- und Anstand, muss man in Zeiten der Corona-Pandemie hinzufügen. Polizei und Ordnungsämter mühen sich redlich, führen "Schwerpunktkontrollen" in der Gastronomie durch oder lösen Partys auf. Allerdings werden sie der urbanen Feierwut, die sich in Berlin noch nie besonders stark an Regeln orientierte, nicht Herr.

Und so sind private Feste zu Hause oder in Kneipen und illegale Partys in Parks, bei denen reichlich Alkohol fließt und vor allem jüngeren Leuten alles egal zu sein scheint, laut Behörden mittlerweile Haupt-Infektionsherde. Maske? Mindestabstand? Was war das noch gleich? Was im Sommer mit niedrigen Infektionszahlen noch weitgehend gut ging, ist nun zum Problem geworden: Berlin gilt bundesweit als Corona-Hotspot mit einem aktiveren Infektionsgeschehen als zu Beginn der Pandemie im Frühjahr.

Merkel: Es muss in Berlin was passieren

"Da sind einige Hundert, die unsere Erfolge der gesamten Stadtgesellschaft der letzten Monate gefährden", kritisiert Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) - und geißelt das "feierwütige Volk". Die Entwicklung setzt den rot-rot-grünen Senat unter Handlungsdruck, zumal zuletzt wiederholt Bundespolitiker das Bild einer Hauptstadt zeichneten, die fahrlässig mit der Pandemie umgehe und Regeln nicht durchsetze. "Es muss in Berlin was passieren", wurde etwa Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor rund einer Woche von Teilnehmern einer Videoschalte des CDU-Präsidiums zitiert.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kann nicht verstehen, dass in Berlin große Partys möglich seien und es Restaurants gebe, wo man mit Maske angeguckt werde, als wäre man "vom Mond". Bei der Durchsetzung der Regeln gehe "noch mehr", befand er erst am Montag. Ein paar Tage zuvor hatten er und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) öffentlich den Kopf darüber geschüttelt, dass der grün-linksalternativ geprägte Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg keine Hilfe der Bundeswehr bei der Kontaktverfolgung zulässt - obwohl er zu denen mit den meisten Corona-Neuinfektionen gehört.

Müller: Es muss auf allen Ebenen besser werden

Die so Gescholtenen im Senat wollen sich den Schuh eines schludrigen Umgangs mit der Seuche nicht anziehen. "Ich weiß, dass Berlin etwas zu tun hat, und ich finde, wir alle müssen auf allen Ebenen besser werden", sagte Müller. "Aber keiner hat das Recht, mit dem Finger auf andere zu zeigen." Der SPD-Mann hat gerade den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz übernommen und will im Kreis seiner Länderkollegen nicht als Corona-Lachnummer wahrgenommen werden. Auch deshalb machten er und Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) bei den Koalitionspartnern Druck, Maßnahmen zu beschließen.

Sperrstunde für Geschäfte, Bars und Restaurants

So gelten in Berlin seit vergangenem Wochenende neue Beschränkungen: Private Feiern im Freien mit mehr als 50 Teilnehmern sind verboten. In geschlossenen Räumen gilt eine Obergrenze von 25 Teilnehmern. Neu ist auch eine - bundesweit einmalige - Maskenpflicht in Bürogebäuden. Am Dienstag legte der Senat nun nach: Ab nächsten Samstag müssen die meisten Geschäfte sowie alle Restaurants und Bars von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr schließen - damit nachts kein Alkohol mehr unters Volk gebracht wird. Im Freien dürfen sich nachts nur noch fünf Personen oder Menschen aus zwei Haushalten versammeln. An privaten Feiern in geschlossenen Räumen dürfen nur noch maximal 10 Personen teilnehmen.

Hintergrund der Beschlüsse ist ein Kriterium, das bei der Bewertung des Infektionsgeschehens große Bedeutung hat: Die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen. Dieser Wert klettert in Berlin schon länger und betrug am Dienstag 44,2. Im Ländervergleich liegt Berlin damit vorn. Auch beim etwas aussagefähigeren Vergleich mit anderen großen Metropolen wie München, Hamburg oder Köln hat Berlin einen hohen Wert - in Frankfurt/Main indes ist er höher (47,1). In anderen urbanen Zentren gibt es ähnliche Probleme mit dem Infektionsgeschehen wie in der Hauptstadt.

Neukölln mit 87,3 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner

Was bei der Politik die Alarmglocken jedoch noch lauter schrillen lässt, sind Daten für die Berliner Bezirke. In Neukölln schnellte der Wert laut Gesundheitsverwaltung auf derzeit 87,3 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen hoch. In zwei weiteren Bezirken - Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte - liegt er über 60, in Tempelhof-Schöneberg weit über 50. Das ist der kritische Grenzwert, der in der Corona-Pandemie bei der Entscheidung über zusätzliche Infektionsschutzmaßnahmen eine wichtige Rolle spielt.

Folge: In Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz gilt eine 14-tägige Quarantänepflicht für rund 1,3 Millionen Einwohner aus diesen Berliner Bezirken, sollten sie einreisen. Denn das Robert Koch Institut listet in seinen Übersichten - im Unterschied zu anderen Großstädten - Berliner Bezirke als einzelne Kommunen auf. Damit stehen viele Urlaubsreisen in den bevorstehenden Herbstferien auf der Kippe. Allerdings stellte die Kieler Regierung nun Änderungen bei der Ausweisung inländischer Risikogebiete an. (mss/dpa)

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