• Nach extremen Fallzahlen im Frühjahr 2021 sind die Neuinfektionen in Indien wieder gesunken. Aktuell liegt die 7-Tage-Inzidenz bei etwa 20.
  • Die Impfungen schreiten allerdings nicht schnell genug voran. Viele Inderinnen und Inder halten sich zudem nicht an Hygieneregeln.
  • Wissenschaftler rechnen schon bald mit einem erneuten Anstieg der Zahlen. Es besteht die Sorge, dass sich impfstoffresistente Varianten bilden.

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Vor einigen Monaten gingen schreckliche Bilder aus Indien um die Welt: Corona-infizierte Menschen erstickten auf Krankenhausfluren, weil nicht genügend Sauerstoff vorhanden war, COVID-Tote wurden in Massen verbrannt, weil man mit den Bestattungen nicht hinterherkam. Indien war vor allem im April und Mai 2021 stark von der Pandemie betroffen.

Die als hoch ansteckend geltende Delta-Variante wurde hier zuerst entdeckt. Sie ließ die Infektionskurve in Indien steil in die Höhe schnellen, an manchen Tagen infizierten sich mehr als 400.000 Menschen mit der Delta-Variante. In den letzten Wochen sind die Infektionszahlen wieder deutlich zurückgegangen. Die 7-Tage-Inzidenz pendelt sich seit Mitte Juli bei um die 20 ein, so niedrig wie seit Monaten nicht mehr.

Wie kann es sein, dass die Infektionszahlen so schnell gesunken sind? Eindeutig lässt sich das nicht beantworten. Man geht aber davon aus, dass die extrem hohen Zahlen im Frühjahr dazu geführt haben, dass sich die Menschen vorsichtiger verhalten haben und es so automatisch zu weniger Kontakten gekommen ist. Auch Ausgangssperren halfen, die Ausbreitung einzudämmen, wenngleich sich viele Inderinnen und Inder nicht an die Vorgaben der Regierung gehalten haben. Seit Anfang diesen Jahres läuft zudem die indische Impfkampagne. Auch die bereits durchgeführten Impfungen tragen vermutlich dazu bei, dass die Zahl der Neuinfektionen gesunken ist.

Daten aus Indien lückenhaft

Die Zahl der Neuinfektionen liegt in Indien aktuell bei 44.643, die 7-Tage-Inzidenz bei 20,6 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner (Stand: 6.8.2021). Ob die Zahlen aus Indien aber tatsächlich verlässlich sind, ist fraglich. Denn die Daten waren von Anfang an lückenhaft. Das Problem: Die Infektionszahlen stammen hauptsächlich aus den großen Städten, hier sind die Fallzahlen aktuell auf einem eher niedrigen Niveau. In ländlichen Regionen finden dagegen kaum Tests oder eine Datenerfassung statt. In diesen Gebieten kann es also unbemerkt Corona-Ausbrüche geben, die in keiner Statistik auftauchen. Im Nordosten Indiens steigen die Zahlen zum Beispiel schon wieder.

Diskrepanzen sind auch bei den gemeldeten Opferzahlen aufgefallen. Offiziell starben in Indien bisher über 426.000 Menschen (Stand: 6.8.2021). Bestatter, Krankenhauspersonal und Rettungssanitäter vermuten allerdings weit höhere Zahlen. Eine Untersuchung des Center for Global Development in Washington von Juli 2021 geht davon aus, dass die Übersterblichkeit zehnmal höher liegt als angenommen und Indien damit 4,7 Millionen Corona-Tote zu beklagen hat.

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Auch wenn es sich die indische Regierung zum Ziel gesetzt hat, alle Impfberechtigten (in diesem Fall etwa 900 Millionen von knapp 1,4 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohnern) bis Ende des Jahres durchzuimpfen, scheint die Impfkampagne zu stocken. Drei bis fünf Millionen Impfungen werden momentan täglich in Indien durchgeführt, mehr Impfstoff ist nicht vorhanden.

Das hört sich zunächst viel an, betrachtet auf die Gesamtbevölkerung ist es aber nicht ausreichend. Nur knapp acht Prozent (Stand: 5.8.2021) der Inderinnen und Inder sind aktuell vollständig geimpft, etwa ein Viertel hat die erste Impfdosis erhalten. Gerade der Impfstoff von AstraZeneca, der in Indien häufig verabreicht wird, bietet gegen die hoch ansteckende Delta-Variante nach der ersten Dosis allerdings keinen ausreichenden Schutz.

Droht Indien eine neue Welle?

Dass es zu einem erneuten Anstieg der Fallzahlen kommen wird, da sind sich Wissenschaftler in Indien sicher. Fraglich ist nur, wann der nächste Höhepunkt erreicht wird. Wie überall auf der Welt lässt sich die Entwicklung der Pandemie nur schwer vorhersehen. Die indischen Krankenhäuser sind mittlerweile wohl besser gerüstet, zumindest was die Versorgung mit Sauerstoff angeht. Grundsätzlich wird das Gesundheitssystem einem erneuten extremen Anstieg von Infektionszahlen aber kaum standhalten können.

Auch die indische Regierung versuchte die Ausbreitung des Coronavirus zu Beginn der Pandemie mit einem Lockdown einzudämmen. Aber in Indien führte der Stillstand zu einem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Vor allem für Wanderarbeiter und Menschen, die am Existenzminimum leben, wurde die Situation existenzbedrohend. Wer auf der Straße sein Geld verdient, kann es sich nicht leisten, den Kontakt zu anderen Menschen zu meiden oder gar zu Hause zu bleiben. Hygienevorschriften wie Abstandsregeln und Maskenpflicht werden vielerorts deshalb nicht eingehalten. Die Angst vor einem weiteren Lockdown ist bei vielen Inderinnen und Indern höher als die Angst vor einer Ansteckung.

Die großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Unterschiede in der Bevölkerung spielen auch bei den Impfungen eine Rolle. In wohlhabenden Umfeldern sind häufig viele Menschen vollständig geimpft, während in ärmeren Gruppen die meisten noch keinen Zugang zu Impfstoff hatten. Dort kann sich das Coronavirus weiter verbreiten, Varianten bilden und dann auch bereits Geimpfte anstecken. Größte Sorge dabei ist, dass sich impfstoffresistente Varianten entwickeln könnten.

Verwendete Quellen:

  • Corona in Zahlen: Corona-Zahlen für Indien
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

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