Der Kabarettist Florian Schroeder hat neben 50 weiteren Kulturschaffenden als Teil der Bewegung #AlarmstufeRot einen offenen Brandbrief an die Bundesregierung unterzeichnet. Sie fordern in der Coronakrise effektive Finanzhilfen, Wertschätzung und eine Wiederinbetriebnahme der Kulturbetriebe. Ein Gespräch darüber, warum Schroeder der Regierung "Weltfremdheit", Willkür sowie fehlende Souveränität vorwirft - und was der Bierdeckel von Friedrich Merz mit der ganzen Sache zu tun hat.
Herr Schroeder, bereits beim ersten Lockdown wurde die Kulturbranche vollends lahmgelegt. Nun passiert dasselbe nochmal. Haben Sie damit gerechnet, dass erneut so radikale Maßnahmen die Kultur-Bereich treffen?
In dem von Ihnen mitunterzeichnetem offenem Brief wird der Regierung vorgeworfen, dass sie die Kulturbranche in dieser Hinsicht im Stich lässt – gerade durch diese radikalen Schließungen. Was läuft da aus Ihrer Sicht schief?
Ich habe den Eindruck, dass das von Seiten der Politik eine ungeheure Hilfslosigkeit ist. Man ist jetzt endgültig beim folgendem Standpunkt angekommen: "Wir müssen den Laden dichtmachen und halten nur das offen, was der Wirtschaft dient." Der Mensch als Konsumobjekt. Das Vorgehen erscheint mir sehr willkürlich. Es ist zwar ein schönes Vorhaben und auch legitim, Weihnachten retten zu wollen, aber so eine Rasenmäher-Methode kommt mir sehr 'unsouverän' vor. Ich hätte erwartet, dass – nachdem im Frühjahr sehr bedacht agiert wurde – hier eine etwas steilere Lernkurve zu beobachten ist und die Regierung sieht, dass Theater und Veranstalter sich seit Monaten Gedanken über ausgefeilte Hygienekonzepte machen. Zudem muss man bedenken: Menschen, die in klassische Konzerte, ins Theater oder zu Comedy- oder Kabarettshows gehen, sitzen dort mit Abstand. Sie tanzen nicht, umarmen sich nicht und stecken nicht Wildfremden die Zunge in den Hals. Die wollen einfach nur zwei Stunden unterhalten werden. Außerdem sind bisher keine Kulturveranstaltungen Superspreader-Events.
Das geht auch aus einer Analyse des RKIs hervor. Trotzdem muss die Kulturbranche jetzt schließen. Liegt das vielleicht an der mangelnden Gegenwehr? Hat die Kulturbranche nicht genug Druck gemacht?
Ich finde schon, dass genug Druck gemacht wurde. Es gab viele Kolleginnen und Kollegen, – mich miteingeschlossen – die immer wieder gesagt haben: "Es geht hier eine Branche vor die Hunde. Wir müssen etwas tun und brauchen dringend Unterstützung." Im Vordergrund stehen hier vor allem die kleinen Veranstalter und Künstler, die kein großes Publikum haben. Das haben wir immer wieder betont. Ich wüsste nicht, was wir hätten noch mehr tun sollen. Die Politik scheint nicht verstanden zu haben, wie diese Branche funktioniert. Und das ist von Weltfremdheit und fast schon von einem bösartigen Willen zur Ignoranz geprägt.
Sie haben demnach das Gefühl, dass die Arbeit der Kulturbranche von der Politik nicht wertgeschätzt wird?
Ja, das Gefühl habe ich. Dass vonseiten der Politik keine Wertschätzung gezeigt wird, scheint mir auch etwas mit dem deutschen Verständnis von Kunst zu tun zu haben. Es wird nicht wahrgenommen, dass es sich dabei um ein Handwerk handelt, das für die Ausführenden Disziplin und Entbehrung bedeutet. Von vielen Menschen wird diese Szene für etwas gehalten, die von ein paar Freaks am Laufen gehalten wird, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben und sich selbstverwirklichen wollen.
Nun hat Kulturstaatsministerin Grütters Kultur als "das notwendige Korrektiv in einer lebendigen Demokratie" und "natürlich systemrelevant" bezeichnet. Ein richtiger Schritt in die richtige Richtung oder ein reines Lippenbekenntnis?
Dieses Statement sagt überhaupt nichts. Das Agieren von Frau Grütters in den vergangenen Monaten war das Gegenteil dessen, was sie jetzt sagt. Sie hat ausschließlich Ausfall-Honorare an Kolleginnen und Kollegen gezahlt, die an Häusern beschäftigt waren, die der Bund betreibt. Das ist ein Witz. Das heißt, dass sie 20.000 privatwirtschaftliche Unternehmen – allein bei den darstellenden Künsten – überhaupt nicht wahrgenommen hat. Für sie endet offenbar der Horizont bei dem, wofür sie selbst als Bund zuständig ist. Und dieser Horizont ist noch enger als der Steuererklärungs-Bierdeckel von
Apropos Hilfsmaßnahmen: In dem Brief wird behauptet, dass Künstler in dieser Hinsicht durch das Raster fallen. Gibt es wirklich Kreative, die vom Sozialstaat völlig alleine gelassen werden?
Ja. Der Großteil bekommt gar nichts. Bisher sind alle freien Künstlerinnen und Künstler, die nicht festangestellt sind, auf Grundsicherung angewiesen. Diese Perversion geht momentan so weit: Selbst wenn sie Rücklagen von über 60.000 Euro haben, beispielsweise als Alterssicherung, bekommen sie nichts und werden dafür bestraft, dass sie sparsam waren. Wenn sie nichts zurücklegen konnten, werden sie damit bestraft, dass sie auf Grundsicherung zurückgeworfen werden. Insofern geht eine ganze Branche tatsächlich leer aus.
Das Finanzministerium hat nun bekannt gegeben, dass die bisherigen Überbrückungshilfen angepasst werden sollen. Das heißt, es soll in eine dritte Phase mit besseren Konditionen gehen. Nur ein weiterer Tropfen auf den heißen Stein für die Kultur- und Veranstaltungsbranche?
Das ist schwer zu sagen, weil wir noch nichts Konkreteres wissen. Prinzipiell werte ich diesen Vorstoß als Zeichen der Lernfähigkeit. Wenn es dazu kommen und wirklich so unbürokratisch laufen sollte, dann fände ich das sehr aufrichtig und sehr gut. Allerdings kommen diese Überbrückungshilfen zu spät und in einem nicht ausreichenden Maß – gerade vor dem Hintergrund, was in den vergangenen Monaten schon kaputtgegangen ist.
Welche Maßnahmen wären Ihrer Meinung nach sinnvoll, um der Kulturszene wirklich zu helfen?
Vor allem die Maßnahme, die Theater während eines Lockdowns offen zu lassen. Somit würde man den Menschen die Möglichkeit geben, Kunst und Kultur zu erleben, andere Erfahrungshorizonte zu eröffnen – jenseits von Statistiken und Supermarktbesuchen. Außerdem könnten die Kultur-Häuser dadurch wenigstens ein paar Einnahmen – wenn auch auf niedrigem Niveau – generieren. Gleichzeitig muss natürlich eine finanzielle Unterstützung erfolgen. Das Offenlassen wäre demnach nur ein Zusatz. Eine radikale Schließung halte ich nicht für sinnvoll, denn der Witz besteht darin: Man kann im Lockdown das bravste Leben führen. Aber sobald man morgens um acht oder mittags um zwölf in eine überfüllte Bahn steigt, ist alles, was man die restlichen 23 Stunden sonst tut, hinfällig. Denn dann ist man ganz eng, mit ganz vielen Leuten, auf einem Haufen.
Wie sehr hat Sie die Pandemie in ihrer Arbeit getroffen?
Ich konnte – wie viele andere Künstler auch – nicht mehr auftreten. Zwischendurch habe ich eine Phase gehabt, da ging das ganz gut. So habe ich zum Beispiel mein neues Programm "Neustart" geschrieben, mit dem ich zwei Monate unter den aktuell geltenden Bedingungen auf Tour war. Zwischendurch war allerdings gar nichts los. Deshalb habe ich mein Programm, wie viele andere auch, auf das Internet verlegt und über Instagram gesendet. Das hat auch Spaß gemacht. Aber ich kann mir das natürlich auch leisten: Ich habe Ideen und kann diese Zeit für mich konstruktiv nutzen, weil ich keine existenziellen Sorgen habe.
Also waren Sie nicht zu stark von finanziellen Einbußen betroffen?
Nein, das war ich nicht.
… oder mussten versuchen, staatliche Hilfe zu beanspruchen?
Zum Glück nicht. Ich wollte das auch nicht, das schien mir unangemessen.
Mussten denn in ihrem Umfeld schon viele Künstler wegen der Pandemie aufgeben?
Ich habe Fälle von Technikern im Umfeld, die auf schmalstem Fuß von Rücklagen leben, die jetzt spätestens in der zweiten Lockdown-Phase zur Neige zu gehen drohen. Außerdem haben ich von einem Fall gehört, der jetzt tatsächlich vor der Privatinsolvenz steht. Denn: Menschen, die in der Technik arbeiten, verdienen nicht so viel, dass sie davon zwangsläufig Rücklagen bilden können. Das sind alles Freelancer. Bei keinem Künstler, der unterwegs ist, gibt es viele Festangestellte. Wir arbeiten alle auf Gewinnbeteiligung. Es gibt selten feste Gagen und wir bekommen meist eine prozentuale Beteiligung pro Abend. Je mehr Zuschauer wir haben, desto mehr Geld können wir verdienen. Deshalb gilt in der freien Branche: "No show, no snow."
Sie sind in Stuttgart bei einer Demo der Organisation "Querdenker" vor Rechten und Corona-Leugnern aufgetreten. Dort haben Sie an die Vernunft der Menschen appelliert und versucht ihnen klarzumachen, dass sie sich in der Pandemie nicht der Realität entsprechend verhalten. Jetzt machen Sie das mit ihrem Brief auch mit Bezug auf die Bundesregierung und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen hinsichtlich der Kulturbranche. Was glauben Sie, wer hier leichter zu bekehren ist? Die Bundesregierung, oder die Corona-Leugner?
(lacht) Das sind beides harte Brocken. Aber ich traue der Bundesregierung doch eine größere Lernfähigkeit zu, als dem innersten Kreis der Querdenker. Bei denen muss man zudem unterscheiden, dass nicht alle, die zu so einer Demo gehen, gleich Querdenker oder Corona-Leugner sind. Da sind auch viele Verunsicherte dabei. Aber der engste Kern der Querdenker ist schwer erreichbar. Die Bundesregierung ist das zwar auch – aber es bleibt die Hoffnung auf eine gewisse Einsichtsfähigkeit.
Also glauben Sie schon, dass der Brief etwas bewirken wird?
Ich hoffe es sehr. Im Moment deutet es sich an, dass wir nach vielen Monaten, Demos und Briefen doch langsam auf Gehör stoßen. Jetzt kommt plötzlich Feedback. Bisher schien vieles von dem, was wir gesagt und gemacht haben, komplett zu verhallen. Aber jetzt langsam kommt doch ein Echo zurück und man nimmt die Kulturschaffenden nun offenbar etwas ernster.
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